laut.de-Kritik

Die Lieblingssongs der Arschgeweihe.

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Wir können das Geschirr vom Tisch fegen, beleidigt die Luft anhalten, uns auf den Boden werfen und schreiend mit den Beinen strampeln, doch am Ende passiert es uns allen: Wir werden erwachsen. Egal, wie viel Peter Pan zuvor in uns steckte. Nun hat es auch Avril Lavigne erwischt, die sich so sehr dagegen wehrte und auf ihrem letzten Album noch "Here's To Never Growing Up" sang.

Dem Umdenken ging ein unfreiwillige sechsjährige Pause voraus, in der ihre Ehe mit Chad Kroeger in die Brüche ging und sich die mittlerweile 34-jährige Sängerin aufgrund einer Lyme-Borreliose sogar mit dem Tod konfrontiert sah: "An einem Abend dachte ich, ich müsse sterben, und ich akzeptierte das. Meine Mutter lag bei mir im Bett, sie hielt mich. Ich dachte, ich ertrinke. Ich betete dann zu Gott – bitte hilf mir, den Kopf über Wasser zu halten. In diesem Moment formte sich auch der Song. Die Lyrics flossen in mich, es war eine spirituelle Erfahrung." So etwas kann die Einstellung zum Leben schon einmal gehörig durcheinander werfen.

Wie setzt man solche unschönen Erlebnisse und dass es einem wirklich ernst mit dem Erwachsenwerden ist, nun am besten in Musik um? Richtig: mit Balladen. Ganz vielen Balladen. Mal mit Piano, mal mit Gitarre, und immer mit jeder Menge Pathos. Balladen nehmen auf "Head Above Water" den meisten Platz ein. Der Bubblegum-Rock gehört weitestgehend der Vergangenheit an. Die lange Pause nutzte Avril zudem ganz offensichtlich auch für jede Menge Gesangsstunden. Ihr einst so dünnes Stimmchen zeigt sich von Beginn an weitaus kraftvoller, mit mehr Facetten und Tiefe.

Das melodramatische Titelstück versprüht mit seinem persönlichen Hintergrund den Charme der kurzen Einspielfilmchen bei "Deutschland sucht den Superstar", in denen die Kandidaten von ihrem schlimmen Lebenslauf erzählen. Auch sonst eignet sich der Song perfekt zum mehrfachen Einsatz in der Sendung. Sei es als Hintergrundmusik oder als Cover. Vordergründig scheint die bis an die Decke mit Streichern zugekleisterte Ballade von Avrils Kampf gegen die Krankheit zu handeln ("My life is what I'm fighting for"). Letztendlich beschreibt sie viel mehr Lavignes Weg und ihr Bekenntnis zu Gott und ihr Versprechen, man werde sich vor dem Altar wiedertreffen. "God, keep my head above water / Don't let me drown, it gets harder / I'll meet you there, at the altar / As I fall down to my knees."

Wem das alles zu persönlich wird, der darf sich im weiteren Verlauf auf Geschichten über die Liebe freuen. Die Frau, die uns Perlen wie "He was a skater boy / She said: See you later, boy" ("Sk8er Boi") oder "Let's all slumber party / Like a fat kid on a pack of Smarties" ("Hello Kitty") schenkte, zeigt sich dabei weiterhin lyrisch stark herausgefordert. Selbst der Vergleich, sich in einer unglücklichen Beziehung wie ein Vogel in einem Käfig zu fühlen ("Birdie"), erscheint ihr nicht zu ausgelatscht. Auch eine Art von Mut. Würde Avril Lavigne, die Jeanette Biedermann Kanadas, auf Deutsch singen, Spotify würde sie uns zwischen Mark Forster, Wincent Weiss und Sarah Connor vorschlagen.

Mit "Dumb Blonde" kehrt für einen Track doch noch einmal die Rotzgöre von einst zurück, vermischt ihren Pickel-Punk-Esprit mit Gwen Stefanis "Hollaback Girl". Nicki Minaj, die gegen schnöden Mammon wohl auch für den Wendler rappen würde, mischt sich ebenfalls kurz ein. "It was me young Avril", gibt diese unreflektiert von sich, als hätte sie eine Persönlichkeitsstörung. Nein, Nicki, das warst du nie.

Mit "Tell Me It's Over" und "Crush" versucht Avril Lavigne sich an einer stark vom Pop gefluteten Version des Souls. "I Fell In Love With The Devil" spitzt das Dramalevel mit einem ganzen Orchester und zerstörungswütigen Schlagzeugbreaks bis aufs Äußerste zu. Dazu singt Lavinge Quatsch wie "Shotguns and roses make a deadly potion" oder "Got me playing with fire / Baby, hand me the lighter / Taste just like danger / Chaotic anger". Hätten Arschgeweihe Ohren, dies wäre ihr Lieblingssong.

Wenn "Head Above Water" mit seinen stockkonservativen Balladen aber vor allem eines ist, dann bocklangweilig. Ein überproduzierter Klumpen, der sämtliche Gefühle verklebt. Auch wenn ein emotionaler Hintergrund das Album trägt, transportiert Avril Lavigne diesen nicht glaubhaft. Fast wünscht man sich Stücke wie "Sk8ter Boi" oder "Hello Kitty" zurück. Über die konnte man sich wenigstens noch zünftig aufregen.

Trackliste

  1. 1. Head Above Water
  2. 2. Birdie
  3. 3. I Fell In Love With The Devil
  4. 4. Tell Me It's Over
  5. 5. Dumb Blonde
  6. 6. It Was In Me
  7. 7. Souvenir
  8. 8. Crush
  9. 9. Goddess
  10. 10. Bigger Wow
  11. 11. Love Me Insane
  12. 12. Warrior

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