laut.de-Kritik

Tu', was du willst. Aber trau' niemandem.

Review von

"Do whatever you want."*
"But don't trust anybody."**

1979: Punk steht im Zenit, als Blondie ein Album veröffentlichen, das mit der Fuck-You-Attitüde des Genres über sich selbst hinaus wächst. Sie machen einfach nichts so, wie man es zu dieser Zeit von einer typischen New Wave-Band erwartet: eine Frau in der Hauptrolle, Pop in der Melodie und einen Dance-Nummer-eins-Hit in mehreren Ländern. Doch im Herzen bleiben sie dem CBGBs weit mehr verbunden als allen internationalen TV-Shows, die sich nun mit Sängerin Debbie Harry schmücken möchten. Eine Kombination, die "Parallel Lines" über Jahrzehnte hinweg spannend hält.

Schon das Cover zeigt, dass die Band nicht vor ikonischen Gesten zurück­­­schreckt: Vor schwarz-weißen Blockstreifen lacht die Band Boygroup-artig debil, nur Harry steht ernst und entschlossen im weißen Monroe-Dress vor den anderen.

Ein monotones Tuten eröffnet das Album: auch das ein Statement. Dann bricht Debbie Harrys Stimme wie ein Gewitter mit einem Knall in die Erwartungshaltung. Mit "Hanging On The Telephone", einem The Nerves-Cover, kommen Blondie direkt auf den Punkt: volles Energielevel von den ersten Tönen an.

Der neue Producer Mike Chapman sorgt dafür, dass jeder Ton sitzt. Hier soll Pop nicht offensichtlich nach Mainstream klingen. Die Kanten bleiben, sie ließen sich aus einer so stark im New Yorker Punk etablierten Band auch nicht herausschleifen. Genau das macht dieses Album voller Hits aus.

Allein Harrys Stimme reibt sich in den ersten drei Songs vollkommen auf, nur um dann bei "Fade Away And Radiate" zu schmelzen. "Parallel Lines" zieht den Hörer durch Gefühle. Auf den Auf- folgen der Zusammenbruch ("Fade Away.."), die Aufmunterung ("Pretty Baby"), die Verwunderung ("I Know But I Don't Know") und der Tanz ("Heart Of Glass"). Sogar einen perfekten All-American-Girl-Song meint man auf dem Album zu finden ("Sunday Girl").

Ohne seine Kanten, seinen Mut und die Roughness der Band hätte "Parallel Lines" aber nie den Kult-Status erreicht, den es bis heute hat. Eine New Wave-Band muss sich im Jahr 1979 erst einmal trauen, eine lupenreine Dance-Nummer wie "Heart Of Glass" aufzunehmen. Ein Song, der sie in eine komplett andere Liga katapultiert.

Plötzlich gehören Blondie zu den wichtigsten Bands des Jahres, und das in vielen Ländern der Welt. Debbie Harry wird erst zum Vorbild (Madonna sagte einst: "Debbie Harry hat mich stark inspiriert, weil sie sehr entschieden die Kontrolle darüber zu haben schien, was sie tut ... sie war ein role model."), dann zur Kult-Figur, deren Andy-Warhol-Bild sich als billiger Print in Studenten-WGs wiederfindet.

Der Attitüde der Band hat es nicht geschadet. Auch 2018 lauten die wichtigsten Ratschläge:

"Do whatever you want." (*Debbie Harry)
"But don't trust anybody." (**Chris Stein)

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Hanging On The Telephone
  2. 2. One Way Or Another
  3. 3. Picture This
  4. 4. Fade Away And Radiate
  5. 5. Pretty Baby
  6. 6. I Know But I Don't Know
  7. 7. 11:59
  8. 8. Will Anything Happen
  9. 9. Sunday Girl
  10. 10. Heart Of Glass
  11. 11. I'm Gonna Love You Too
  12. 12. Just Go Away

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Blondie

Ist das Punk, New Wave oder was jetzt? Das war die Frage, als Blondie Ende 1976 mit ihrem gleichnamigen Debütalbum die Manege betreten. Ausgesprochen …

6 Kommentare mit 18 Antworten