laut.de-Kritik

Deutschpop mit politischem Gewissen.

Review von

Die Reputation des deutschsprachigen Pops hat in den letzten Jahren kräftig gelitten. Mark Forster, Max Giesinger und Konsorten haben unter dem Schlagwort "Neue Deutsche Poppoeten" ein ganzes Genre unter Schlager-Verdacht gestellt. Zum Glück gibt es aber immer noch Typen wie Axel Bosse. Der macht zwar ebenfalls deutschsprachige Popmusik mit Heile-Welt-Garantie, lässt sich aber nur schwerlich mit den oben Genannten in eine Schublade stecken. Erstens schreibt er seine Texte selbst. Zweitens hört sich bei ihm nicht jeder Song gleich an. Drittens ist bei ihm die Authentizität nicht nur Maskerade.

Wenn "Aki" Bosse in "Wanderer" davon singt, wie er nach Jahren unter Strom endlich Ruhe findet, dann glaubt man ihm das gerne. Er ist auch wirklich sesshaft geworden: Mit Frau und Kind wohnt der Norddeutsche jetzt am Rande Hamburgs und ist kein "Facetime-Gesicht" mehr. Er tauscht seinen "Trekkingrucksack gegen ein Billy-Regal". Das Tempo nimmt er der Nummer glücklicherweise trotzdem nicht raus. Treibender Powerpop mit prominent abgemischtem Schlagzeug untermalt seine Geschichte vom Ankommen. In der Bridge lässt sich das fast mit Caspers "Hinterland" verwechseln.

Die Musik liefert auch das stärkste Argument für "Alles Ist Jetzt". In ihrem Pop-Rahmen klingt sie überraschend facetten- und detailreich. Jedes Instrument ist klar ausproduziert und jeder Song bekommt ein variierendes Konzept. "Alles Ist Jetzt" hört gar nicht auf zu grinsen, Handclaps inklusive. "Ich Warte Auf Dich" hingegen setzt auf ein akzentuiertes Gitarrenriff und einen langsamen Beat.

Diese hohe Qualität lässt einen bei den Texten auch gerne mal ein Auge zudrücken. Grundsympathisch, dass sich Bosse immer wieder klar gegen Rechts positioniert. Nur leider beschleicht mich regelmäßig das Gefühl, im Gemeinschaftskundeunterricht einer achten Klasse zu sitzen. "Ich hab' gelernt, es gibt viele dumme Menschen / Die ihren Hass weitergeben, so entstehen Grenzen": Das mag ehrlich gemeint sein, aber wirklich intelligent wirkt es deswegen nicht. "Hass kommt von sozialer Ungerechtigkeit / vielleicht von fehlendem IQ / Aber das da ist einfach nur Nazi-Scheiß / Die allerschlimmste unmenschlichste Wut." Wieder gut gemeint, aber eben auch ganz schön platt.

Dass Bosse es besser kann, beweist "Indianer". Zum einen bewegt sich hier das musikalische Korsett wieder auf höchstem Deutschpop-Niveau. Zwei Gitarren spielen ineinander, das Schlagzeug wird ausgespart, und sogar dezente Streicher mischen mit. In diesem stimmigen Rahmen erzählt Aki nun von einem alten Bekannten (vielleicht sein Bruder?), dessen Leben eher suboptimal verlaufen ist. Dennoch hängt "über meinem Klavier ein Foto von uns", und es stimmt immer noch: "Liebe ist Liebe und Bruder ist Bruder". Innerhalb von kaum mehr als drei Minuten erzählt der Song ein ganzes Leben von Kindheit über Adoleszenz bis zum Erwachsensein, das eben irgendwann die falsche Abzweigung genommen hat.

Am besten bringt Bosse sich selbst im Closer auf den Punkt. In der Klavierballade "Ich Bereue Nichts" singt er ganz zurückhaltend: "Das Gute wird siegen / Liebe kann Krav Maga / und gewinnt am Ende jede Schlacht / und all die Idioten werden irgendwann sterben / an ihrer Dummheit und ihrem Hass."

Im Herzen ist der Aki einfach nur ein großes Kind geblieben, das bedingungslos an das Gute glaubt und das Schlechte doof findet. Dass er keine Scheu zeigt, genau das zu artikulieren, muss man ihm ganz hoch anrechnen.

Trackliste

  1. 1. Alles Ist Jetzt
  2. 2. Hallo Hometown
  3. 3. Augen Zu Musik An
  4. 4. Robert De Niro
  5. 5. Wanderer
  6. 6. Ich Warte Auf Dich
  7. 7. Die Befreiung
  8. 8. Indianer
  9. 9. Pjöngjang
  10. 10. Overkill
  11. 11. Süchtig
  12. 12. Ich Bereue Nichts

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