laut.de-Kritik

Die Tage des Zorns sind gezählt.

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Die Tage des Zorns sind gezählt. So oder so ähnlich ließe sich der gepriesene Spirit des fünften Bring Me The Horizon-Streichs ziemlich schmucklos entzaubern. Wo einst Breakdowns lauerten und geschlachtet wurde was das Zeug hält, weht nun endgültig ein poppiges Lüftchen.

Wie so häufig spaltet ein Stilbruch, wie die Jungs aus Sheffield ihn auf "Sempiternal" eingeleitet haben, die Hörerschaft. Die einen erinnern sich schmachtend an das entfesselte Geknüppel der vergangenen "Suicide Season", andere wiederum verteufeln Oli Sykes wüstes Geplärre und heißen die neu gewonnene Zutraulichkeit herzlich willkommen.

Bemerkenswert quetschte "Sempiternal" alle Parteien in einem unantastbaren Kompromiss unter einen Hut. Aggressivität, Elektronik-Experimente, strukturiertes Songwriting und eine edle Produktion spendierten geballte Überzeugungskraft jenseits jeder Genre-Diskussion.

Einmal am kommerziellen Erfolg geschnuppert, wagt "That's The Spirit" nun bisweilen den berühmten Schritt zu viel. Zwar lädt der weich geklopfte Synthie-Teppich noch mehr Teens zum Träumen ein, doch der harte Kern dürfte sich nun nicht mehr verführen lassen.

"Doomed" eröffnet mit Stöhn-Samples wie im Softporno, nährt sich am wabernden Techno-Beat und streut glasklaren Gesang ein. Sogar Ausflüge in die Kopfstimme zieren Oli Sykes Repertoire. So viel Besinnlichkeit hätte man den verschlissenen Stimmbändern des gelernten Brüllwürfels gar nicht mehr zugetraut. Steht ihm aber gar nicht mal schlecht, tuschelt inbesondere das weibliche Klientel. Doch erst seine kratzige Röhre schleift den Opener zum Diamanten.

Dass er flauschige Melodien mit bratenden Gitarren paart, wird dem "Happy Song" nicht zum Verhängnis. Vielmehr stört die abgekartete Aufbereitung: Mansons Cheerleader-Chor, traumwandlerisches Gesäusel und ein Chorus, der einmal zu oft ein Grinsen aufsetzt, ohne es zu fühlen. Das Schema des Songs ist zu früh entschlüsselt, um dem verirrten Ausraster gegen Ende eine gebührende Bühne zu bereiten.

Im Grunde hat die vermeintliche Killer-Single "Throne" eine wesentliche Crux der Platte in ihrer DNA implementiert. Ein wirklich genialer Strophen-Groove schiebt an. Der lag Linkin Park womöglich schon seit Jahren auf der Zunge. Bis dato absolutes Hit-Format. Das grölende "Throoo-Oh-Oh-ne" lässt den fetten Einstieg dann aber in einer kurzlebigen Endlosschleife verebben.

Wie geistlose Zombies wandeln "Drown", "Blasphemy" oder das mit O.C. California-Romantik verkitschte "Follow You" auf einem schmalen Grat zwischen belangloser Highschool-Mucke und Chart-Schablone. Spätestens "Oh No" entscheidet sich unter der Überschrift "Be careful what you wish for" für Letzteres. Das kann man eigentlich nur gut finden, wenn man auf tanzbare Disco-Balladen steht.

"True Friends" trotzt den verpuffenden Ansätzen und wird sicher viele Lauscher als hartnäckiger Ohrwurm behelligen. Spätestens nachdem "What You Need" gepflegten Indie-Rock exorziert hat, kommt eine "Avalanche" ins Rollen. Ein Granaten-Refrain verschüttet vorübergehend sämtliche Zweifel daran, ob Bring Me The Horizon mit ihrer neuen Masche noch der Aha-Effekt gelingt.

Jede Menge Melancholie und noch mehr Melodie winden sich durch das synthiegetränkte Soundkleid auf "That's The Spirit". Zuweilen bleiben sie stecken, gelangen aber ebenso oft zum versöhnlichen Abschluss. Hinge "Sempiternal" der Erfolgsformation nicht als lästiger Maßstab am Bein, würde das vielleicht reichen.

Immer wieder klopft die strahlende Aura des Vorgängers an und fragt im Interesse der metallischen Fraktion nach, was mit weniger atmosphärischem Strophengedudel und mehr Garstigkeit noch drin gewesen wäre. Falls die Briten ihre Metamorphose in der schick verpackten Massentauglichkeit abschließen wollten, haben sie den richtigen Geist beschworen. So viel steht fest.

Trackliste

  1. 1. Doomed
  2. 2. Happy Song
  3. 3. Throne
  4. 4. True Friends
  5. 5. Follow You
  6. 6. What You Need
  7. 7. Avalanche
  8. 8. Run
  9. 9. Drown
  10. 10. Blasphemy
  11. 11. Oh No

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