laut.de-Kritik

So fühlt sich Verlust an.

Review von

Für die 46-jährige Sängerin und Schauspielerin Charlotte Gainsbourg bleibt der Tod ein ständiger Begleiter. Ein Wasserski-Unfall kostete ihr vor zehn Jahren fast das Leben. Auf "IRM", das gemeinsam mit Beck entstand, befasste sie sich 2009 dann mit der eigenen Sterblichkeit. In den sowohl elegant schwebenden als auch melancholisch dunklen Pop-Songs auf "Rest" nimmt sie auf ein anderes Schicksal Bezug.

In "Kate" erzählt sie die Geschichte ihrer Halbschwester Kate Barry, die 2013 in Paris Selbstmord beging. Charlotte Gainsbourg singt das Stück auf Französisch, da sie sich nicht zutraute, die sehr intimen Zeilen auf Englisch zu texten. Die Nummer lebt von ihren wunderbar schwermütigen Streicherteppichen, die ihren sensiblen Worten noch mehr Eindringlichkeit verleihen. Der eigenwillige Gesang, der an ihre Mutter Jane Birkin erinnert, vermittelt außerdem viel Traurigkeit und Schmerz.

Im minimalistischen Titelsong, den Guy-Manuel de Homem-Christo von Daft Punk komponierte, und der sich wie eine dichte Nebeldecke über das Gemüt des Hörers ausbreitet, klingt sie brüchig und verletzlich. Charlotte versucht, mit ihrer Trauer umzugehen und vielleicht irgendwann mit ihr abzuschließen. Wie im Track "La Collectionneuse" auf der Vorgängerscheibe sammelt und sortiert sie ihre Gefühle. Oftmals kann man ihre Lyrics mit flüchtigen Notizen oder Tagebucheinträgen vergleichen. Dennoch versucht die Französin, sich von den trüben Gedanken zu lösen.

Schon der sphärische Opener "Ring-A-Ring O' Roses", der die Naivität ihres zweiten Studioalbums "5:55" heraufbeschwört, handelt zunächst von vielen kleinen Neuanfängen. "Sylvia Says" schwingt sich mit den rhythmisch-funkigen Gitarrenläufen und den euphorischen Synthies zu einer leichtfüßigen Disco-Nummer auf. Demgegenüber erweist sich "Deadly Valentine" als ein inhaltlich überaus schwarzhumoriger Track, der mit spacigen Elektronikklängen und subtil bedrohlichen Streichern eine gewisse Schwermut versprüht. Charlotte Gainsbourg schafft den Spagat zum modernen Pop.

Dennoch umwehen sie die Geister der Vergangenheit. In "Lying With You" erinnert sie sich zu nostalgischen Keyboardsounds, wie sie als 19-Jährige neben der Leiche ihres Vaters, dem Chanson-Sänger Serge Gainsbourg liegt. Auf dessen Pionierphase in den 70er-Jahren verweist "I'm A Lie". Hier präsentiert sich die Mittvierzigerin von einer bissigen Seite und deckt eine größere emotionale Bandbreite ab.

In "Les Oxalis" geht es zum Schluss an Kates Grab. Diese groovige Uptempo-Nummer gleicht mit warmen, analogen Klängen wohl alles andere als einer tristen Abschiedszeremonie. Der Track besitzt dazu ein Fade-Out, das eine unbeschwerte Kindermelodie mit wuchtigen Pianosounds verbindet. Zuvor verbreiten majestätische Streicher in "Les Crocodiles" Hoffnung und Zuversicht: Die Französin möchte sich endlich den schönen Dingen zuwenden.

Da verblasst "Songbird In A Cage", das Paul McCartney arrangierte, eher zur unauffälligen Randnotiz. Ein bisschen Klavier und Gitarre spielt er in dem Stück trotzdem. Mehr Motivation legt Sir Paul am Bass an den Tag. Überflüssig könnte man diese nette Fingerübung trotzdem nennen. Produzent Sebastian von Ed Banger Records trägt indes maßgeblich zum Klang bei: Er führt die Platte in eine tanzbarere Richtung, geprägt von der Ästhetik des French House der späten 90er- und frühen 00er-Jahren.

Letzten Endes verdeutlicht "Rest", wie sich für die Tochter einer berühmten Schauspieler- und Musiker-Familie der Verlust anfühlt. Ohnehin offenbaren die Texte, die Charlotte Gainsbourg im Gegensatz zu ihren bisherigen Alben ganz alleine geschrieben hat, ein hohes Maß an Tiefgründigkeit, die sich vor allem dann herauskristallisiert, je mehr man sich auf nachdenkliche Scheibe einlässt. Leicht verdauliches Fast-Food bekommt man von ihr genauso wenig serviert wie von ihren Filmen mit Lars von Trier.

Trackliste

  1. 1. Ring-A-Ring O' Roses
  2. 2. Lying With You
  3. 3. Kate
  4. 4. Deadly Valentine
  5. 5. I'm A Lie
  6. 6. Rest
  7. 7. Sylvia Says
  8. 8. Songbird In A Cage
  9. 9. Dans Vos Airs
  10. 10. Les Crocodiles
  11. 11. Les Oxalis

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