laut.de-Kritik

Facettenreiches Tribute mit viel Emotion und großen Stars.

Review von

Ohne Johnny Winter hätte sein Bruder Edgar wohl nie einen Plattenvertrag bekommen, meint Edgars Ehefrau Monique. Ihr Argument war wohl das Ausschlag gebende, um nun fast acht Jahre nach dem Tod ihres Schwagers ein Tribute-Album heraus zu bringen.

Edgar bestreitet diese Aufgabe keineswegs im stillen Kämmerlein, sondern als ganz große Show, vernetzt in die Champions League des Jazzrock und Electric Blues: Totos Steve Lukather - der alleine schon Kaufanreiz genug wäre -, Keb' Mo', ZZ Tops Billy F. Gibbons, Warren Haynes von Gov't Mule, Doobie Brother Michael McDonald, Kenny Wayne Shepherd, der 88-jährige Bobby Rush, der aktuelle Blues-Grammy-Gewinner, Derek Trucks, Robben Ford, Mann der flinken Finger; ferner Doc Kupka (Tower Of Power) und John McFee (z.B. Huey Lewis' News). Aus dem Mainstream stoßen Phil X (Bon Jovi) und Eagle Joe Walsh hinzu, und dann wären da noch die üblichen Verdächtigen, Ringo und Bonamassa. Namedropping pur. Speziell von Rauschebart Billy F. Gibbons war schon immer bekannt, dass Johnny Winter ein Vorbild für ihn war.

Der Clou an der CD soll nun sein, einerseits die passionierte Gitarrenarbeit Johnnys, für die er brannte und lebte, zu würdigen. Andererseits auch seinen Einsatz für den Blues insgesamt anhand prominenter Genre-Classics, die jeder kennen dürfte, zu unterstreichen. Zusammen mit Leuten, die eben nicht die Sechssaitige spielen, sondern zum Beispiel trommeln und trotzdem von Johnny Winters Werk berührt sind, etwa Ringo Starr.

Das Ganze wiederum, ohne die Tragik im Leben des plötzlich 2014 Verstorbenen anzuschneiden: Dass er zahlreiche gesundheitliche Probleme hatte, psychische, nervliche, motorische und schließlich welche mit der Lunge. Dass sein Stil völlig resistent gegen Erneuerung und technologische Updates war, also ganz anders etwa als bei ZZ Top, und dass er die kompletten Neunziger raus aus dem Musikbiz war und es nur scheibchenweise zurück schaffte. Eigentlich starb er auf dem Zenit, als sein Comeback gelungen war. In einem Hotel, während einer Tour. Mutmaßlich erstickte er wohl im Schlaf, doch offiziell bestätigt wurde die von seinem Producer genannte Todesursache 'Lungenemphysem' nie.

Karg-reduziert in Johnnys Sinne fällt der "Lone Star Blues" aus, mit rauem Twang und saftigem Tusch aufs Becken. Da leistet Keb' Mo' recht authentische Arbeit, weil er den verwaschen-changierenden Muddy Waters-Twist gut drauf hat und sich schon lange damit befasst, selbst schon ein solches Tribute gespielt hat, und der frühe Johnny Winter immer so eine Art Muddy Waters-Double sein wollte.

Die Nummer ist gerade nicht die gleichnamige von Delbert McClinton, sondern ein neuer Biographie-Song, der eigens für diese CD hier verfasst wurde. "When I was playing music, searching for what just life means", diese Worte legt der Songtext dem toten Johnny in den Mund - eben einer, der ohne Musik nicht existieren konnte. Das zweite neue Lied ist der Closer "End Of The Line". In dieser Ballade lässt Edgar Winter die Country-Streichkünste David Campbells auffahren.

ZZ-Billy und Derek Trucks schnappen sich "I'm Yours And I'm Hers". Den hat Johnny komponiert, Opener seiner vierten LP (1969), die wie er selbst hieß. In den Anfängen fällt seine Release-Flut auf, das Ungestüme, mit dem er Jahr für Jahr ein, zwei Alben raus feuerte. Exakt dieses Rotzige, dieses Unmittelbare, einfach machen: Das strahlen Billy und Derek hier aus und jammen so lebendig, als hätten sie auf genau diesen Tribute-Moment schon ewig gewartet.

Mit Chuck Berrys "Johnny B. Goode" als vogelwildem Honkytonk inklusive triumphierendem Saxophon ziehen Mellencamps Ex-Gitarrist David Grissom und Joe Walsh in die vom Klavier getriebene Party-Version des Uralt-Hits. Als er geschrieben wurde, war Johnny Winter elf; als er sie aufnahm: 25, auf seiner dritten LP ("Second Winter").

Einen besonderen Leckerbissen, der gar nicht so nahe liegt, suchte sich Steve Lukather heraus - und poliert ihn in der neuen Einspielung auf Hochglanz: Den "Rock'n'Roll Hoochie Koo" zersprengt es beinahe vor Spielfreude. Die Story zum Song klingt kurios: Eigentlich schrieb den Track Rick Derringer, Gitarrist in Johnny und Edgar Winters Band, und so führte er die Nummer schon früh als Bühnen-Stomper der Winters ein. Auf einem Album unter seinem Namen haben wollte Johnny den heißen Rock'n'Roll aber nicht, hatte mit Blues auch nur noch wenig zu tun.

So griff man zum Bandnamen Johnny Winter And, hatte aber keinen Namen für den Space nach dem 'And' und beließ es dabei. (Auch das nun gecoverte "Guess I'll Go Away" entstammte übrigens jenem stilistisch breiten Johnny Winter And-Album.) Derringer machte sein Lied schließlich '74 noch solo zum Hit, was wiederum Eddie van Halen gefiel, der den "Hoochie Koo" sogleich coverte und Derringers Treiben wachsam verfolgte - es blieb dann nicht bei dem einen Cover. Was die Winters angeht, wurde erst lange nach dem Erfolg so manche Plattenfirma beim Zusammenstellen von Samplern auf den Song aufmerksam, aber die hoch offiziellste Johnny Winter-Hymne war sie nie. Lukather reißt hier richtig die Leinen los, das macht Spaß!

Johnnys Anliegen war ja eigentlich mehr Muddys "Hoochie Coochie Man" oder solche Musik wie in "When You Got A Good Friend ft. Doyle Bramhall III": zerbrechlichen folkie Americana-Blues, bei dem man jede einzelne Schallwelle jedes Saitenzupfens nachzeichnen kann. Live machte man in den verrauchten Clubs anders Karriere, wie uns Huey Lewis einmal über eine Thin Lizzy-Tournee schilderte, während der er sich vorkam, als wäre das Publikum ein ungezähmter Löwe, dem er sich zum Fraß vorwarf.

In solchen Momenten musste man Butter bei die Fische geben und zum einen Hits spielen, die das Publikum kannte, und zum anderen laut, und zum dritten mit endlosen, bisweilen übertrieben gedehnten Gitarrensoli. So gehörte Dylans "Highway 61 Revisited" in bis zu elf Minuten langen Versionen oder der "Jumpin' Jack Flash" der Stones auf die Bühnenbretter. Was Edgar und Kenny Wayne hier aus dem Highway 61 machen, klingt, als ob der Highway auf einem besoffenen Esel beritten werde - eher schräg als gut. Gipfelt aber zum Ende hin in so wildem Geschrei, dass es doch den Trip lohnt. Derweil dröhnt der "Jumpin' Jack Flash ft. Phil X" vom ersten Ton an allererste Sahne - ein glühendes Masterpiece. Zugegeben einen Ticken vorhersehbar, aber enorm mitreißend.

Eine der besten Aufnahmen des sowieso überdurchschnittlichen Tributes legt Foo Fighter Taylor Hawkins (R.I.P.) auf: "Guess I'll Go Away" jammt so vehement und so völlig ohne die überproduzierte Soße unserer Zeit, die die Rockmusik so entrockt und entrollt: Nichts Kalkuliertes, sondern die derbsten Explosionen, als wär's live vor 50.000 Leuten. Doug Rappoport aus Strippenzieher Edgars Band steuert die Lead Guitar.

Selbst Bonamassa röhrt auf dem "Self-Destructive Blues" weit über sich selbst hinaus; so zappelnd und verschliffen wagt er seine Gitarre sonst nie zu foltern. In den ersten Takten denkt man noch, na, Bonamassa könnte hier wohl wieder am ehesten sich selbst spielen. Es ist faszinierend, wie sehr die Johnny-Story hier doch alle Covernden in Bann zieht und ihnen Töne abquetscht, die sie so extrem sonst nicht performen.

Wer übrigens inmitten all des Verstärker-Trubels einen gesetzten Song wünscht, den man auch am Karfreitag hören kann, ohne die Feiertagsruhe infrage zu stellen, wird bei Robben Fords Variation über dem "Stormy Monday Blues" fündig. Mein persönlicher Favorit in der Sammlung: Wenn Ringo in "Stranger" majestätisch die Stöcke schwingen lässt und Michael McDonald dazu herzzerreißend einen inneren Monolog in Szene setzt: Jemand sucht mit einem Fremden ein spontanes Gespräch über das Leben und beansprucht sofort eine Instant-Freundschaft mit dem "Stranger".

Befund: Johnny Winter war, wie dieses Stück zeigt, ein großartiger Texter. Sein seltsamer, George Harrison-artiger Wechsel zwischen Moll- und Dur-Sept-Akkorden mit einer merkwürdig verhangenen Stimmung im Ergebnis beweist, wie firm er in Harmonielehre gewesen sein mag. "Als Kinder waren wir unzertrennlich, viel näher als durchschnittliche Brüder", erinnert sich Edgar. Dass sie beide von ihrem Vater in einen Gospelchor hinein erzogen wurden, infizierte früh mit den Akkorden des Blues.
Edgars Anspruch lautete, dass man hier die gemeinsame Liebe zu dieser Musik hören würde und eben, "dass nicht nur Geschäftsleute hier eine Chance witterten, sondern auch Johnnys treue und hingebungsvolle Fans und unsere Musikerkollegen, von denen viele auf dieser Platte zu hören sind." Dieser Anspruch wurde mehr als eingelöst, satte zehn der siebzehn Tracks sind absolute Premium-Klasse.

Trackliste

  1. 1. Mean Town Blues ft. Joe Bonamassa
  2. 2. Still Alive And Well ft. Kenny Wayne Shepherd
  3. 3. Lone Star Blues ft. Keb' Mo'
  4. 4. I'm Yours And I'm Hers ft. Billy F. Gibbons + Derek Trucks
  5. 5. Johnny B. Goode ft. Joe Walsh + David Grissom
  6. 6. Stranger ft. Michael McDonald, J. Walsh + Ringo Starr
  7. 7. Highway 61 Revisited ft. K. W. Shepherd + John McFee
  8. 8. Rock'n'Roll Hoochie Koo ft. Steve Lukather
  9. 9. When You Got A Good Friend ft. Doyle Bramhall III
  10. 10. Jumpin' Jack Flash ft. Phil X
  11. 11. Guess I'll Go Away ft. Taylor Hawkins + D. Rappoport
  12. 12. Drown In My Own Tears ft. Edgar Winter
  13. 13. Self Destructive Blues ft. Joe Bonamassa
  14. 14. Memory Pain ft. Warren Haynes
  15. 15. Stormy Monday Blues ft. Robben Ford
  16. 16. Got My Mojo Workin' ft. Bobby Rush
  17. 17. End Of The Line ft. David Campbell Strings

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2 Kommentare

  • Vor 2 Jahren

    Vielleicht ist nicht jeder Song ein kreatives Highlight, aber mir hat das Album viel Spaß gemacht. Deshalb 5 Sterne von mir.

  • Vor 2 Jahren

    Eines der besten Rockalben der letzten Jahre, denn es könnte auch vor 40 Jahren entstanden sein, aber das es so frisch klingt, mit Personen die ab ober über dem 70 er sind ist schlichtweg sensationell, es gibt nichts vergleichbares!
    Es hätte voll in die Hose gehen können, wie soviele halbherzig abgelieferte Tribute-Alben, die nur Abcash-Gründen zugrunde lagen, aber dieses Werk würdigt einen der besten Gitarristen, der sich nie untreu wurde. Obwohl Johnny es selbst nie so produziert hätte, ist es eine Perle und man kann es als Beispiel einer echten Bruderliebe verstehen!