laut.de-Kritik

Linguistik-Professor und Zuhälter: eine Antithese zur Realness.

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Der Hip Hop und die Realness - eine Lovestory, so alt wie das Genre selbst. Heute darf man zwar auch aus behütetem Elternhaus stammen und die mörderische Kingpin-Persona nach Feierabend im Studio lassen. Aber das Narrativ des Underdogs, der es aus dem Ghetto auf die Grammy-Bühne schafft, ist nach wie vor der subtile rote Faden des Genres und der funkelnde Silberstreifen nach dem Jahr für Jahr unzählige Newcomer greifen.

Dazu kommt, dass es fast kein anderes Genre gibt, dass so von schnellstmöglichem Erfolg besessen ist. Viele Künstler*innen sind lieber eine Eintagsfliege in den Billboard-Charts, als eine Koryphäe im Untergrund. Ausnahmen bestätigen allerdings die Regel, und man wird lange suchen müssen, um hier eine größere Ausnahme zu finden als Travis Miller.

Es ist nicht nur der Fakt, dass Miller ein weißer Junge aus einer der vielleicht Hip Hop-unaffinsten Städte Amerikas ist, der ihn zu einem regelrechten Enigma macht. Es ist diese gesamte unorthodoxe Artistik, die sich so ziemlich allem widersetzt, was man von diesem Genre gewohnt ist. Ein Grund, weshalb "Mista Thug Isolation" gerade in der Retrospektive umso eindrucksvoller ausfällt.

Unter dem Moniker Lil Ugly Mane traut sich der gelernte Noise-Musiker aus Richmond Anfang der 2010er Jahre in die mörderischen Gefilde des ihm zumindest geographisch ferneren, dreckigen Südens. Ein edgy Weißbrot, dessen musikalischer Lebenslauf bisher nur Krach aufzuweisen hat, versucht sich am düsteren Memphis-Sound der 90er: Auf dem Papier klingt das wie ein schlechter Witz, aber "Mista Thug Isolation" wird diesem Sound nicht nur gerecht, es transzendiert ihn mühelos und hat seinen Platz nebst "Mystic Stylez" auf der Titelseite des Kanons dieses Subgenres mehr als verdient.

Was die Three Six Mafia an roher Energie und Einfluss mitbrachte, hat Lil Ugly Mane doppelt und dreifach an schierem Talent vor und vor allem hinter dem Mic gepachtet. Er macht sich die Trademarks des höllischen Memphis-Sounds zu eigen, befreit sie von der verschlackten, unsauberen DIY-Qualität und reichert sie mit eigens auf ihn zugeschnittenen exzentrischen Details und Spielereien an. Miller tut all das ohne auch nur eine Sekunde Zweifel an der Authentizität des Ganzes aufkommen zu lassen. Sein Debüt (!) klingt über weite Strecken wie eine hochwertige Neuaufnahme eines längst vergessenen, obskuren Horrorcore-Tapes, das im Untergrund von Memphis vor 30 Jahren unter Kennern seine Runden machte.

Die Vorbilder heißen nicht Tupac, Eminem oder Jay-Z, sondern DJ Screw, Gravediggaz, Lord Infamous oder Lil B. Die Erzählungen aus Millers Kassettendeck sind nicht von edlen Gangster-Bossen geprägt, die Zigarren qualmen und Anzüge tragen. In den Welten, denen er lauscht, herrschen aus Horrorfilmen entlaufene Psychopathen über die Drogensümpfe des Südens. Das er damals nicht vor Ort war, scheint aufgrund seiner brennenden Leidenschaft für die Ästhetik und Subkulturen dieses Sprechgesang-Kleinods im Süden fast unglaubwürdig.

Auf Songs wie "Cup Fulla Beetlejuice", "Twistin" oder "Lean Got Me Fucked Up" beispielsweise emuliert er den Reiz von sich bis zum Delirium wiederholenden Samples, die förmlich im titelgebenden Hustensaft ertrinken und von abgründig-tiefem Bass der einem den Magen umdreht, in Perfektion. Songs wie diese sind förmlich dafür gemacht, um Nachts mit den Bassboxen auf Max. Burnouts um den Friedhof zu ziehen. Auch den ruhigeren, gespenstischen Vibe, der ebenso charakteristisch für Alben dieser Zeit ist (man denke nur an “Da Summa”) reproduziert Miller auf "Breeze Em Out" oder "Serious Shit" so gekonnt, das man meinen könnte, er hätte damals DJ Paul und Juicy J über die Schultern geschaut.

Lil Ugly Manes Musik kommt einem wandelnden Lexikon an Referenzen gleich, die sich eigentlich gegenseitig im Weg stehen sollten, aber in diesem verrückten Mikrokosmos nicht nur Sinn ergeben, sondern harmonisch zu etwas ganz Eigenem verschmelzen. "Mista Thug Isolation" ist an der Oberfläche ein relativ straightes Memphis-Tape. Mit jedem Song fällt dieses Konzept jedoch mehr und mehr auseinander und offenbart die kleinen Kniffe, die diesem Album seinen Kultstatus bescheren. Die aufregendste Qualität von Millers Debüt zeigt sich nicht zwingend in den Momenten, in denen er seine Vorbilder nahe der Perfektion imitiert, es sind jene, in denen seine eigene Stimme durchscheint. Es ist eine markante, kauzige und sperrige Stimme, die einem immer gerade dann, wenn man meint, den Groove der LP gefunden zu haben, mit dem Vorschlaghammer vor den Kopf stößt.

Das fängt im Grund schon beim Intro an. Denn "12th Movement" ist keine sanfte Einführung in die Welt des Lil Ugly Mane. Vielmehr kommt das Noise-Muskelspiel Millers einem abrupten Riss in die Tiefen seiner aberwitzigen Psyche gleich. Von Sekunde eins wird man mit schrillem Getöse torpediert, das förmlich darum bettelt, abgestellt zu werden. Wie ein Warnschild hängen diese knappen drei Minuten vor der LP um jeden abzuschrecken, der mit überhaupt irgendeiner Erwartungshaltung an sie herantritt, denn sie wird garantiert nicht erfüllt.

Zugegebenermaßen, einen solch abstrakter und chaotischer Moment findet sich in der restlichen Laufzeit nicht mehr. Jedoch hält so gut wie jeder Track eine weitere Überraschung bereit. So verdrehen einem die besoffenen Synths in den Strophen von "Maniac Drug Dealer III" den Kopf bis einem schwindelig wird, ehe das fast schon fromm eingewobene Sample in der Hook wenig später wieder in die Realität zurückholt.

Auf "Wishmaster" öffnet ein Sample von Crackins Slow-Burner "Don't You Wish You Could Be There", das Miller in Kanye-esker Manier zu einem Chimpunk Pop-Rager pitcht. Auf "Lookin 4 Tha Suckin" knarzt fast die ganze Zeit ein Bettgestell und auf "Radiation (Lung Pollution)", dem vielleicht besten Beispiel für Millers Talent als Produzent, schleicht sich Stück für Stück ein Saxophon und mit ihm die Melancholie in den Beat, ehe Miller das trippige Instrumental im zweiten Teil mit Crack injiziert und ins Diabolische kippt.

Und im Grunde verrät es ja schon der Titel: "Mista Thug Isolation" hat nur oberflächlich viel mit seinen von Grasschwaden umhüllten und von Kugeln durchsiebten Vorbildern gemeint. Millers Perspektive auf all das, was bei vielen aus den Erzählungen ihres Alltags entstanden ist, geschieht durch die Linse einer animierten Persona, die die Pimp-Attitüde, die Gangster-Stereotype und den Drogenkonsum so dermaßen auf die Spitze treibt oder ins Wahnwitzige verzerrt, dass es fast zur Parodie verkommt.

Schon die absolut irrwitzigen Titel führen das vor Augen, aber es ist besonders die Sprache die Ugly Mane benutzt, die sich sämtlichen für dieses Genre typischen Hörgewohnheiten widersetzt. "She on my dick like flies on a box of fruit": Seine Metaphern sind abstrakt, seine Bilder teils ekelerregend und abgründig ("Shit's deeper than the blood I'm submerged in"). Gerade wenn er über Sex rappt, offenbaren sich die Gegensätze im Charakter, dessen Art zu rappen irgendwo zwischen Linguistik-Professor und Zuhälter liegt. "I'm getting neck from this dime ho, booty like a rhino / What's her name, hell if I know", verkündet er beispielsweise auf "Lookin 4 Tha Suckin" stolz. Nur wenig später beschreibt er ein ähnliches Szenario auf "Mona Lisa Overdrive" dann so: "Ravishing, voluptuous, a player magnetized / Mona Lisa overdrive, heaven synthesized/ The way you bust it, shorty, got me feeling crucified".

Dieser Hang zur fast schon theatralischen Überzogenheit schlägt sich aber auch in umgekehrter Stimmungslage nieder. Die Melancholie, die sich auf Alben wie "Mystic Stylez" oder "King Of Da Playaz Ball" hin und wieder angedeutet, tritt auf "Mista Thug Isolation" in ihrer deprimierendsten Tönung hervor und erdet das Gangster-Rollenspiel einmal mehr. Das Interlude "Alone and Suffering" führt dieses Konzept, begleitet von wunderschönen Klängen, noch relativ angenehm ein. Wenig später ist an Zeilen wie "Live or die, I'd rather take the later route / Rope around my neck and kick the ladder out" jedoch absolut nichts mehr angenehm. Wenn Miller flext, tut er das mit Wörtern wie "morose" und "lugubrious", die extravagant klingen, aber synonym für verwaschen, allein und deprimiert stehen. Das gespielte Gangster-Leben von Lil Ugly Mane holt ihn im Laufe der LP mehr und mehr ein, ehe es auf "Throw Dem Gunz" in totaler Finsternis kulminiert.

Das diese Ambivalenz zwischen Cartoon-Kingpin und menschlicher Verletzlichkeit niemals ins Lächerliche kippt, ist erneut der herausragenden instrumentalen Blaupause und Millers Skills am Mic geschuldet, die von Minute eins keinen Zweifel daran lassen, dass er dieses Projekt todernst meint. Die Beats von "No Slack In My Mack", "Lean Got Me Fucked Up", "Radiation (Lung Pollution)" , "Throw Dem Gunz" sind so detailliert, vielschichtig und atmosphärisch ausgearbeitet, dass sie die Songs im Grunde im Alleingang tragen könnten. Wenn dann aber Ugly Mane mit Zeilen wie "Lime green cannabis, color of Praying Mantises / No stems, no seeds, crystals like they amethyst" dem Ganzen das Sahnehäubchen aufsetzt, möchte man sich in Ehrfurcht verneigen.

Was die Platte darüber hinaus so faszinierend macht, ist, dass es Travis Millers einziges Album dieser Art ist. Die Aufmerksamkeit, die es ihm 2012 einbrachte, war so nicht gewollt. Weswegen er prompt verkündete das Projekt "Lil Ugly Mane" wieder an den Nagel zu hängen. Das geschah zwar letzten Endes nicht in letzter Konsequenz. Allerdings veröffentlichte er bis heute nur ein weiteres Album und zwei EPs unter diesem Künstlernamen, und keines davon klingt auch nur annähernd wie "Mista Thug Isolation".

Die Persona, die er auf diesem Album spielt, starb mit ihm. (Fast) alles was folgte, kehrt die Maske beiseite und lässt schonungslos in die kaputte Seele eines depressiven Mannes blicken, der es leid ist, über Dinge zu rappen, die mit seiner Realität nichts zu tun haben. Fernab vom Gangster-Rollenspiel bleibt Travis Millers Musik seitdem ein bodenloses Loch aus abstrakten Noise-Collagen und Raps die einer abgründigen Psyche entspringen.

Im Umkehrschluss verhilft dann gerade diese Tatsache "Mista Thug Isolation" zu seiner Mystik und Einzigartigkeit. Es ist gut möglich, dass es nie wieder ein Album wie dieses geben wird. Ein Album, das als Antithese zur Realness in seiner Artistik nicht realer sein könnte. Das mit soviel Hingabe und Liebe für das Genre verschiedenste, die Dekaden überspannende Einflüsse miteinander verheiratet, ohne das große Ganze aus den Augen zu verlieren, und das trotz seiner vermeintlichen Sperrigkeit und Abstraktheit nicht atmosphärischer und einfacher zu hören sein könnte.

Wenn "To Pimp A Butterfly" (zurecht) das vorzeigbare Kronjuwel der letzten Dekade Mainstream-Rapgeschichte ist, dann ist "Mista Thug Isolation" die andere, verkrustete Seite der Medaille. Ein fast schon vergessenes Meisterwerk des Untergrunds, das nie die Aufmerksamkeit erhielt, die es verdient hätte. Auch, wenn Travis Miller das wahrscheinlich anders sieht.

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Mista Thug Isolation (12th Movement)
  2. 2. Serious Shit
  3. 3. Maniac Drug Dealer III
  4. 4. Radiation (Lung Pollution) (feat. SupaSortaHuman)
  5. 5. Slick Rick
  6. 6. Wishmaster
  7. 7. Alone And Suffering (Interlude)
  8. 8. Bitch I'm Lugubrious
  9. 9. Cup Fulla Beetlejuice
  10. 10. Breeze Em Out
  11. 11. Hoeish Ass Bitch
  12. 12. Mona Lisa Overdrive
  13. 13. Twistin (feat. Denzel Curry)
  14. 14. No Slack In My Mack
  15. 15. Lookin 4 Tha Suckin
  16. 16. Lean Got Me Fucked Up
  17. 17. Throw Dem Gunz
  18. 18. Last Beath (Outroduction)

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