laut.de-Kritik

Rap über die Schwere der Flüchtigkeit.

Review von

In New York wächst eine neue Generation abstrakten Hip Hops heran. Namen wie Standing On The Corner, Navy Blue und [Slums] knüpfen an Extrempunkten der Raptradition an, öffnen Vergleiche zu Madvillain, zum Alchemist, zu moderneren Kryptikern wie dem Def Jux-Raster oder einem Earl Sweatshirt. Doch keiner dieser Artists hat bisher ein so direktes und sofort nahe gehendes Songwriting an den Tag gelegt wie der 21-Jährige Rapper mit dem fast provokant schlichten Namen Mike: Mit "Weight Of The World" veröffentlicht er sein achtes Projekt und erschafft ein zehrendes Abbild vom Verlorensein in der großen Stadt.

Bereits der Vorgänger "Tears Of Joy" beschäftigte sich mit dem Tod von Mikes Mutter. "I know my mama sing that song so I'll never forget / And you still grievin' over mom's, no, I'll never forget" rappt er auf dem Fast-Titeltrack "Weight Of The Word" nach einem Beatbreak. Nachdem plötzlich ein optimistisches Sample eingesetzt hat, viel zu optimistisch für die Platte, viel zu optimistisch für den Song. Aber das scheint die musikalische Arbeitsweise von "Weight Of The World" zu sein. Die Songs tragen wenig Perkussion, wenig Fluff, seine Produktion unter dem Pseudonym DJ Blackpower beschäftigt sich kaum damit, schön oder eingängig zu sein.

Eher sammeln die Beats Eindrücke, Geräuschkulissen. Vieles klingt nostalgisch, die Technik der Sample-Mosaike erinnert ein wenig daran, wie MF Dooms Produktion auf seinen klassischen Projekten mit Popkultur umgegangen ist. Es schwemmt Fetzen aus Serien und Tagträumen am Hörer vorbei, auf dass der den Superhelden-Fiebertraum miterleben kann. Nur ist Mike kein Battlerapper und "Weight Of The World" keine Heldenreise. Stattdessen transportiert Mike die Songs an undurchdringbaren Häuserfronten vorbei, die verschwommenen und oft bis zur Unkenntlichkeit zerlegten Samples klingen, als würde man von der Straße aus Radios aus drei Häusern und drei Welten auf einem Ohr hören.

Mikes Mutter, die immer wieder ins Zentrum des Albums zurückkehrt, hatte ihn Zeit seines Lebens immer wieder durch die Welt mitgenommen. Mal in Essex, in anderen Ecken des Vereingten Königreiches, dann wieder in New York City. Inhaltlich greifen gerade Songs wie "222" oder "Whats Home 1/2" dieses Gefühl auf: Mike macht Anonymitäts-Rap, Regentag-zwischen-Wolkenkratzern-Rap, seine Art, Texte zu schreiben federt impulsiv zwischen Gedanken und Erinnerungen. "I slept through sermons, dreamin' how to work through a stint / I'm never learnin', I mean, i never purposely did".

So schlägt er die Eindrücke der Unzugehörigkeit ins große Thema der Identität um. Natürlich geht es um Identität, wie sollte es bei irgendeinem Künstler dieser ominösen Generation nicht um Identität gehen. Es blitzen Entwürfe auf, nur um sie direkt wieder zu zerknüllen, später wieder aufzufalten und doch wieder wegzuwerfen. Manchmal funken Worte durch, die sein Vater ihm einst sagte, manchmal denkt er an die Kirche. Dann kommt die Idee des Künstlerseins auf. Auf Songs wie "Coat Of Many Colors" reflektiert Mike das Konzept des Performens, hinterfragt Ideen wie Loyalität, wo er doch seine eigene Zugehörigkeit kaum festnagelt. Manchmal blitzt Dickköpfigkeit durch, dann sofort wieder Entfremdung.

Das Bild, das am Ende von "Weight Of The World" am eindringlichsten bestehen bleibt, ist die in zwei Zeilen geschilderte Todesszene seiner Mutter. Ein namenloses Krankenhaus, ein paar Schwester, wahrscheinlich maskiert, die Bahre wird weggetragen, Mike bleibt allein zurück. Der Rest ist eine Wanderung durch Gedankengänge, die selbst nicht ganz erklären könnten, wo sie hinführen. Die Vergleiche sind klar, sie zeigen auf MF Doom und Earl Sweatshirts "Some Rap Songs". Aber im Gegensatz zu diesen Ikonen des abstrakten Hip Hop fehlt es Mike an einer Sache: Dieses Tape ist gar nicht so abstrakt. Immer, wenn man zwischen den dekonstruierten Samples und den atemlos gemurmelten Rapparts mal eine Aussage zu fassen kriegt, ist sie direkt. Aber der wandernde, rastlose Ton, in dem die Platte sie formuliert, macht "Weight Of The World" zu einer einzigartigen Erfahrung. Mike macht die Schwere der Bilder flüchtig und schwerelos. Wodurch er sie letzten Endes auf seine ganz eigene Art und Weise fixiert.

Trackliste

  1. 1. Love Supremacy
  2. 2. Alert*
  3. 3. Coat Of Many Colors
  4. 4. Never Thought (Tribute)
  5. 5. 222
  6. 6. More Gifts
  7. 7. What's Home 1/2
  8. 8. Delicate
  9. 9. No, No
  10. 10. Plans
  11. 11. Get Rich Quick Scheme
  12. 12. Trail Of Tears
  13. 13. Weight Of The Word*
  14. 14. Iz U
  15. 15. Da Screets (feat. Jadasea)
  16. 16. Allstar (feat. Earl Sweatshirt)

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