Die Reihe begleitete uns durchs Jahr und zeigte 365 Interpretinnen und Bands. Die letzte Folge mit Vorreden von Pascal von Wroblewsky und Tom Gaebel.

Konstanz (skb) - Ein Jahr ist schnell vorüber, wenn der Regen fällt, ein Meer voller Fragen. Am Ende stehen nun 365 Künstlerinnen und weiblich besetzte Bands. Eine Ansammlung, die ihr getrost Menschen um die Ohren hauen könnt, wenn diese wieder einmal Unsinn wie "Es gibt einfach keine guten Frauen in der Musik" verzapfen. Ein so pauschales Urteil hält schlichtweg nicht stand. Die Auswahl der Künstlerinnen ist vielmehr so groß, dass diese Reihe natürlich auch nur an der Oberfläche kratzen konnte. Auch im Jazz: Viel Spaß mit …

… 31 weiblichen Jazz-Acts

Am Ende benötigt es nur etwas Eigeninitiative, um die von den Musikindustrie über Jahrzehnte aufgestellten Grenzen zu überwinden. Einfach mal ein bewusster Schritt zur Seite, um zu erkennen, was sich hinter der testosterongeladenen Fassade verbirgt. Wer also meint, wieder einmal ein Festival zu veranstalten, auf dem man eher einem Dinosaurier als weiblichen Acts begegnet, kann sich hier gerne umschauen und nach Inspirationen suchen.

Natürlich bildet die Reihe nur einen Teilaspekt ab. Aufgrund der Unterteilung in Genres blieben dabei viele großartige Künstlerinnen ungenannt. Vielleicht kommt noch der Zeitpunkt, um einen Blick auf R'n'B (Beyoncé, Kelela, Janet Jackson), in die Dunkelheit (Chelsea Wolfe, Anna von Hausswolff, Anne Clark), auf Produzentinnen oder Studiomusikerinnen wie Carol Kaye zu werfen. Genug Ideen für künftige Listen gibt es. Jede Kandidatin, die bisher fehlte, unterstreicht dabei nur die Aussage, die hinter dem Projekt steht: Frauen sind überall. Hört ihnen endlich zu.

In der vorerst letzten Folge warfen wir nun einen Blick auf den Jazz. Wer auch nur einmal einen Second-Hand-Plattenladen betreten hat, kennt sie: die rechthaberischen Hansel, die ohne Vorwarnung aus den schummrigen Ecken auftauchen. Festgefahren im Gestern, definieren sie den Jazz wortgewandt über Miles Davis, John Coltrane oder Thelonious Monk. Ganz Waghalsige schwärmen von Nils Petter Molvaer, dessen Pionierleistung "Khmer" mittlerweile auch schon zwanzig Jahre zurückliegt. Oft ist es schlichtweg traurig, wie manche Hörer und Korinthenkacker das freiste aller Genres mit Vorurteilen und Schablonendenken überladen. Fragt man diese nach Frauen im Jazz, endet der Horizont kurz hinter (den zugegeben großartigen) Ella Fitzgerald und Nina Simone.

Dabei finden sich mit minimalem Aufwand auch hier unzählige Meisterinnen ihres Fachs. In den letzten Jahren treten zudem mehr und mehr Musikerinnen, die den Jazz ebenso selbstverständlich wie unangepasst angehen, ins Rampenlicht. Doch müssen sich auch diese weiterhin einer ungerechtfertigten Voreingenommenheit stellen. "Wenn ich als Frau einen Fehler mache, muss ich mich stärker rechtfertigen. Männer bleiben bei Fehlern ganz cool, bei Frauen ist dann gleich der Verdacht da, dass sie nicht spielen können, entsprechend groß ist der Druck", erklärte etwa die Tubaspielerin Bettina Wauschke in der Berliner Zeitung.

Die weitere Vorrede überlassen wir mit Pascal von Wroblewsky und Tom Gaebel wie immer zwei Menschen vom Fach.

Pascal von Wroblewsky
(Jazzmusikerin, Sängerin und Schauspielerin)


(Foto: Anton Bogomolov)

Ich habe, ehrlich gesagt, keinen Überblick über die Lage von Frauen im Jazz, daher notiere ich hier nur einige Beobachtungen, und die sind schmal genug. Ich sehe eine grundsätzliche Tendenz: Es werden immer mehr Frauen. Noch vor einigen Jahren hat man beispielsweise nie so viele junge Frauen und Mädchen in Jugendbigbands gesehen. Ein Saxophonsatz kann mittlerweile durchaus vollständig aus Mädchen bestehen. In den professionellen Orchestern ist der Anteil noch mager, aber, Männer, seid tapfer, die Jazzbabies wachsen heran. Denn auch in den Hochschulen sind wesentlich mehr Frauen, auch an Schlagzeug und Bass. Das Alleinstellungsmerkmal der Herren schwindet merklich.

Eine Band, also eine Bande, besteht ja typischerweise aus Jungs. Als Mädchen mitmischen zu können, heißt, eingeschworene Strukturen zu unterwandern. Ich glaube nicht, dass es nur eine Frage der musikalischen Früherziehung ist. Frauen haben ja nun doch auch in anderen Berufen männliche Domänen besetzt. Es braucht auch Interesse, und das kann man sicher nicht immer nur erzwingen. Glücklicherweise bilden immer mehr Mädchen Banden. Auch mit Jungs zusammen, für mich die ideale Konstellation. Ich träume immer von der Augenhöhe, der Gleichheit, gleichgültig wo.

Ich bin alleinerziehend und das war nicht immer leicht. Ich habe mir nicht zu Beginn meiner Laufbahn vorgenommen, beides zu reißen: Beruf und Familie. Mein Leben hat sich so ergeben und ich wollte auf beides nicht verzichten, warum auch immer. Ich bin auch nicht so aufgewachsen. Ich gehöre einer Generation an, deren Mütter und Großmütter gearbeitet und studiert haben. Und die im Zweifel ihre Kinder selbst großgezogen haben. Für mich war und ist es selbstverständlich, unabhängig zu sein, selbst zu entscheiden, beruflich und privat. Und das habe ich auch an meine Kinder so weiter gegeben, meinem Sohn ebenso wie meinen Töchtern.

Als Mann hätte ich wahrscheinlich nicht mit kleinen Kindern auf Tour gehen müssen. Der Babysitter hätte nicht hinter der Bühne dringend darauf gewartet, dass ich das Baby stille. Ich hätte vielleicht später, als sie Schulkinder waren, nicht nachts um drei vom Konzert kommen und um sechs wieder aufstehen müssen, um ihnen Schulbrote zu schmieren. Vielleicht hätte ich auch nicht (Oh, mein Gott, was für Erinnerungen!) bei einem Konzert mit einer Bigband meine kleine Tochter noch auf dem Schlagzeugpodest abstellen müssen, weil sie sich nicht von mir trennen wollte oder in einem Theater bei einer Premiere die Requisite um Hilfe bitten müssen. Möglicherweise hätte ich auch mehr Geld gehabt, um ihnen etwas leisten zu können, das sie sich gewünscht haben. Für mich ist das kein besonderes Verdienst, als Musikerin mein Leben logistisch so auf die Reihe zu bekommen, dass keiner zu kurz kommt, nicht die Kinder, nicht die Musik, nicht ich. Das ist für alle berufstätigen Eltern ein Kraftakt, der bewältigt sein will.

Erschreckend für mich der Fall der Anna Lena Schnabel. Das Phänomen, von der Musikindustrie oder den Medien hier in Deutschland nicht wahrgenommen zu werden, betrifft ja nicht nur Frauen, da latschen uns Jazzern einfach Redakteure und A&R-Manager schlicht in den Arsch. Sie nehmen uns gar nicht wirklich wahr, es sei denn, wir klingen stinkig brav und machen nicht zu viel Lärm oder sehen wenigstens sexy aus. Und das Beispiel Schnabel zeigt an dieser Stelle, dass nicht mal der alltägliche Sexismus mehr greift, sondern dass das Geschäft knallhart ist. Dass der Jazz als zeitgenössische Musik nicht die Förderung wie die Klassik bekommt, dass Musikerinnen und Musiker immer noch für Hungerhonorare in Clubs arbeiten und als Dozenten darum kämpfen müssen, dass ihre Arbeit adäquat bezahlt wird, das ist doch der wahre Skandal.

Ich habe mir oft gesagt, dass ich mit meiner Arbeit keinem Menschen das Leben rette wie ein Chirurg oder füttern kann wie ein Bäcker. Ich bin wie die fiedelnde Grille im Märchen. Die hat den ganzen Sommer für die anderen, die gearbeitet haben, die Geige gespielt, um sie zu erfreuen. Und dann, im Winter hat die Grille keine Vorräte und geht zu den anderen, um sie um ein bisschen Essen zu bitten. Doch an allen Türen wird sie abgewiesen, weil sie im Sommer nur gefaulenzt und gefiedelt habe, statt selbst zu arbeiten. Dieses scheißmoralische Märchen erzählt genau die Situation von freiberuflichen Künstlern. Man liebt sie, wenn sie kommen und fiedeln. Aber wenn sie verarmen und altern und ihrem Beruf nicht mehr nachgehen können, weist man sie von den Türen wie die Grille im Märchen.

Wenn uns die Kunst nichts mehr gilt, dann verlieren wir unsere Wurzeln. Deshalb freue ich mich, zu sehen, wie viele junge Menschen sich trotzdem mit Courage und viel Chuzpe auf diese harten Wege machen. Denn es sind auch schöne und lohnenswerte Wege.

Tom Gaebel
(Jazzsänger, Entertainer und Bandleader)


(Foto: Christoph Kassette)

Ein Sänger, der seit vielen Jahren mit einer zwölfköpfigen, rein männlichen Band durch die Lande tourt, macht sich Gedanken über die Frau im Jazz – wird langsam Zeit, sollte man meinen!

Tatsächlich ist das Thema - wie immer, wenn man sich mit einer Sache intensiver beschäftigt – interessanter und komplexer, als man meinen könnte. Jazz ist offensichtlich nach wie vor, mehr als zum Beispiel Klassik, eher eine Männerdomäne. Ich würde mich wundern, wenn mehr als 20 Prozent der Improvisierenden Frauen wären.

Das festzustellen, ist kein Hexenwerk, die Frage nach dem Warum schon deutlich schwieriger zu beantworten. Ein Grund ist sicherlich in den typischen Jazz-Instrumenten zu finden. Wenn ich an meine Anfänge als mittelmäßiger Geiger im Schulorchester zurückdenke, erinnere ich mich, dass es dort mindestens so viele Mädchen wie Jungs gab, die dort unseren Leiter mit schiefen Tönen quälten. Aber damals galt bei den meisten jungen Damen: Geige Top - Trompete Flop.

Ebenso war es in der Musikschul-Big-Band: Viele Saxophonistinnen, aber nur eine Posaunistin, keine Schlagzeugerin, keine Bassistin. Über die Gründe lässt sich sicherlich streiten, klar ist aber: Da wuchs schon mal kein großer Bestand an zukünftigen Jazzerinnen heran, die man dann später auf der Hochschule oder Bühne wiederfinden konnte.

Mittlerweile ist die musikalische Landschaft glücklicherweise viel offener geworden, und die gestiegenen Wahlmöglichkeiten zeigen sich schon darin, dass der Backstagebereich mehr und mehr zur gemischten Umkleide wird. Männer und Frauen jazzen gemeinsam – und vor allem mit Selbstverständlichkeit.

Ich selber durfte noch vom Minderheiten-Bonus profitieren als einer von ganz wenigen Jazzsängern während meines Studiums, denn das "Ungewöhnliche" ist immer auch interessant. Ungewöhnlich in diesem Sinne war auch der Workshop mit Maria Schneider, der einzigen Arrangeurin, die ich während meines Studiums kennenlernen durfte – und gleichzeitig mein absolutes musikalisches Highlight in diesen fünf Jahren!

Musik steht dann glücklicherweise am Ende doch noch immer für sich – unabhängig davon, wer sie macht!

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