Das Video zur neuen Single "Stress" des französischen Elektro-Duos Justice sorgt für Wirbel in den Medien. Der Vorwurf: Gewaltverherrlichung! Eine angebrachte Anschuldigung oder Resultat des ersten Sommerlochs?

Paris (mmö) - Das Video zur neuen Single "Stress" des französischen Elektro-Duos Justice sorgt für ein Rauschen im Blätterwald. Gewaltverherrlichend sei der Spot, die Musiker würden mit dem ohnehin geschundenen Image des Banlieue-Bewohners fahrlässig umgehen. Ist die Aufregung gerechtfertigt?

Der 6:45 Minuten lange Clip zeigt in dokumentarischem Stil eine Gruppe Jugendlicher, die bei ihrem Streifzug durch Paris eine Schneise der Verwüstung hinterlassen. Nicht nur die rohe Gewalt gegen Dinge und Personen soll dabei den Zuschauer verstören, sondern wohl auch die Tatsache, dass die Gang im Video angeblich nur aus Teenagern afrikanischer und arabischer Herkunft besteht.

Kai Müller vom Blog Stylespion hatte es als einer der Ersten. Das Video erschien pünktlich zum ersten Mai, vielerorts in Deutschland ein Datum, an dem ritualisierte Gewaltausbrüche ungefähr soviel Tradition haben wie Trachten auf einem Treffen der Sudetendeutschen. Stilistisch erinnert der Kurzfilm an die Mockumentary "Mann Beißt Hund" aus dem Jahr 1992, die Story ist Stanley Kubricks Meisterwerk "A Clockwork Orange" entlehnt.

Videos, deren gewalttätige Inhalte Gegenstand kontroverser Diskussion wurden, hat es immer gegeben. Michael Jacksons Video zu "Black Or White" war u.a. deswegen umstritten, weil der King of Pop am Ende des Clips ein Auto mit einer Brechstange demoliert. 1997 sorgte Prodigys Video zu "Smack My Bitch Up" wegen seiner gewalttätigen Szenen für Aufregung.

Kai Müller kommentierte das Video zu "Stress" mit den Worten: "Für meinen Geschmack ist es eine Nummer zu derbe ausgefallen." So wie der Blogger sehen es viele, oft herrscht einfach Verwirrung, wie bei Sabrina Kreyssig vom Musikblog Myoon: "Die Intention der Franzosen ist mir unklar. Da waren mir die lustigen bunten Shirts aus D.A.N.C.E. schon lieber."

Bisher waren Gaspard Augé und Xavier de Rosnay die derzeitigen Helden der französischen Elektroszene, eher bekannt als die netten Party Animals aus Paris. Nicht ganz zu Unrecht fragt Odile de Plas in Le Monde: "Que veut dire Justice?", was wollen Justice uns mitteilen?

Henning Lohse von Spiegel Online vermutet, nachdem er sich ausführlich über die Gewalt echauffiert hat, hinter dem Video einen perfiden Marketingschachzug. Gewiss, "Stress" bringt die Band wieder ins Gespräch, das werden auch die beiden Protagonisten gewusst haben. Einen Vorwurf kann man ihnen daraus allerdings kaum schustern.

Auch die Anschuldigung, Justice stigmatisierten mit ihrem Clip die Bewohner der Pariser Banlieues und bedienten somit leichtfertig Rassismen, lässt sich kaum halten. Zum einen taugen die Personen Augé und de Rosnay nicht als Rassisten, zum anderen sind die Einwohner der vernachlässigten Vorstädte längst als Außenseiter gebrandmarkt. Politik und Gesellschaft haben jahrzehntelang erfolgreich daran gearbeitet.

Und so trifft wohl eher zu, was René Walter vom Popkultur-Blog Nerdcore so formuliert: "Genau sowas muss sein. [...] Den Finger in die noch offene Wunde der Riots in den Vororten von Paris vor wenigen Jahren legen. [...] Was läuft da schief?" Denn jenseits aller erschreckenden Gewalt kann man das Video auch als kritischen Kommentar zur Politik des französischen Staatschefs Nicolas Sarkozy lesen.

Der hat sich bislang wenig darum gekümmert, die Lebensbedingungen und Perspektiven der jugendlichen aus den Vororten zu verbessern, die vor zweieinhalb Jahren ihrem Unmut gewalttätig Ausdruck verliehen. Somit ist "Stress" nicht nur ein krasses Video, sondern gleichzeitig ein Reminder an die hohe Politik, das "Problem" Banlieues nicht vollkommen zu vergessen.

Fotos

Justice

Justice,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Justice,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Justice,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Justice,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Justice,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Justice,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Justice,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Justice,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Justice,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Justice,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Justice,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Justice,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Justice,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Justice,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Justice,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Justice,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Justice,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Justice,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof)

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37 Kommentare

  • Vor 16 Jahren

    Spiegel.de als Pokemon = Slowpoke

  • Vor 16 Jahren

    Also ich seh in dem Video keine Gewaltverherrlichung. Ich weiß nicht, was daran so schwer zu lesen sein soll. Wie es eben im letzten Laut.de-Abschnitt steht, eine Art "Reminder". Bloß sind die Medien mal wieder zu blöde. Provokativ ist das Video natürlich, aber wenn es weniger hart wäre, würde es dann noch diese erschreckende, aufrüttelnde Wirkung haben?
    Das mit den Logos auf den Jacken soll entweder zur Provokation beitragen oder einfach signalisieren, dass es sich um ein Justice Video handelt... :rolleyes:

  • Vor 16 Jahren

    @[Ninja]Killer (« Also ich seh in dem Video keine Gewaltverherrlichung. Ich weiß nicht, was daran so schwer zu lesen sein soll. Wie es eben im letzten Laut.de-Abschnitt steht, eine Art "Reminder". Bloß sind die Medien mal wieder zu blöde. Provokativ ist das Video natürlich, aber wenn es weniger hart wäre, würde es dann noch diese erschreckende, aufrüttelnde Wirkung haben?
    Das mit den Logos auf den Jacken soll entweder zur Provokation beitragen oder einfach signalisieren, dass es sich um ein Justice Video handelt... :rolleyes: »):

    Naja es ist ziemlich leicht alles unter dem "ich will doch nur aufmerksam machen"-Deckmäntelchen zu präsentieren. So wird auch den unsinnigsten Kreationen noch was positives abgewonnen. Im Falle diese Videos geht mir jede Form der kritischen Auseinandersetzung mit der dargestellten Problematik ab. Es handelt sich um die reine Darstellung von Gewalt, nichts weiter. Promo der untersten Schublade!