Bis 2022 sollen gleich viele weibliche wie männliche Acts bei der größten Jam des Landes auftreten. Wir sprachen mit dem Festivalbooker über das ambitionierte Ziel.

Wiesbaden (dani) - Führte die Tapefabrik nicht ohnehin schon das Ranking unserer Lieblings-Rap-Festivals an, sie täte es spätestens jetzt: Während andere noch in Stuhlkreisen darüber palavern, ob es denn wirklich Sexismus im Deutschrap gibt (Ja, verdammt!), machen die Organisator*innen der größten Jam des Landes einfach mal Nägel mit Köpfen und haben die Keychange-Pledge unterzeichnet. Als erstes Hip Hop-Festival ist die Tapefabrik nun Teil der internationalen Gleichberechtigungsinitiative, die Gender-Ausgeglichenheit im Line-Up anstrebt.

Das erklärte Ziel: Spätestens im Jahr 2022 sollen gleich viele männliche wie weibliche Künstler*innen auf der Bühne stehen. Den Bühnen, müsste es korrekterweise heißen: Bei der kommenden Ausgabe der Tapefabrik, die am 21. März 2020 im Schlachthof in Wiesbaden steigen wird, sind drei Stages geplant, möglicherweise werden sogar vier draus.

"Wir sind uns der Unterrepräsentation weiblicher Künstlerinnen sowie der immer noch vorhandenen sexistischen und homophoben Tendenzen innerhalb unserer Szene bewusst", schreiben die Veranstalter*innen in einer Pressemitteilung, "und haben uns deshalb entschieden, die Pledge der Keychange Initiative zu unterschreiben. Mit diesem Schritt verpflichten wir uns, nach unseren Möglichkeiten, bis zum Jahr 2022 ein bezüglich der Geschlechterverteilung ausgeglichenes Programm zu konzipieren."

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Das alles klingt nach einem überaus ambitionierten Projekt, über dessen Hintergründe und Entstehungsgeschichte uns Kai Scholtysik aus der Booking- und Programmleitung des Tapefabrik Festivals gerne noch ein paar Takte mehr erzählt:

laut.de: Gab es einen konkreten Anlass, der euch bewogen hat, diesen Schritt zu gehen?

Kai: Jedes Jahr sperren wir uns für ein Wochenende mit dem Team in einen extra angemieteten Konferenzraum ein und diskutieren unsere Ausrichtung für das kommende Jahr. Wir hatten uns schon im letzten Jahr nach dem viel diskutierten Rechtsruck im deutschen Hip Hop gegen Rassismus, Sexismus und Homophobie positioniert. Eingezahlt hatten wir aber gerade in das Sexismusproblem noch nicht in dem Maß, wie wir es gern getan hätten.

Wir beschlossen also, dass wir im Booking künftig weiblichen Acts mehr Aufmerksamkeit schenken wollen. Als ich dann das Reeperbahn Festival besuchen durfte, lernte ich die Keychange Initiative kennen und war begeistert zu sehen, dass es schon eine Vielzahl an Festivals und Kulturschaffenden gab, die dieselbe Idee hatten wie wir.

Der Weg zur Unterzeichnung war dann letztlich ein kurzer für uns – auch wenn der Weg zur Erfüllung der Pledge sicher ein langer und vielleicht nicht ganz einfacher wird.

laut.de: Gender-Ausgeglichenheit im Line-Up bis 2022: ein ehrgeiziges Ziel. Gerade im Deutschrap kursiert immer noch die Mär "Es gibt ja keine tauglichen Frauen". Vor welchen Herausforderungen steht jetzt eure Booking-Abteilung?

Kai: Zunächst: Die Mär ist völliger Bullshit. Da draußen sind Tonnen an Talent!

Die größte Herausforderung ist die Sichtbarkeit von Musikerinnen außerhalb des Mainstreams – denn genau da finden wir ja bekanntlich statt. Loredana, Juju, Haiyti, das sind Namen, die ihre persönliche Plattform bereits gefunden haben. Wir haben aber einen starken Fokus auf Musikschaffende, die in diesem Kontext nicht oder noch nicht stattfinden. Das, gepaart mit dem Anspruch, jedes Jahr eine dreitausendköpfige Hip Hop-Familie nach Wiesbaden zu locken, ist auch ohne Genderbalance schon eine knifflige Aufgabe, weil der Kosmos der Artists im Spektrum zwischen geringer Bekanntheit, coolem musikalischen Output und Zugkraft bekanntermaßen winzig ist.

Trotzdem, und gerade weil wir aber ein Team voller Hip Hop-Nerds sind, haben wir keine Angst vor langen Nächten und viel Gedigge. Und auch dank eines tollen Projektumfelds mit vielen FreundInnen, die die Ohren auf den Straßen haben, sehen wir uns in der Lage, diese gesellschaftlich und kulturell notwendige Genderbalance in unserer kleinen Bubble herzustellen und damit hoffentlich einen Stein ins Rollen zu bringen.

Die Gründe, warum Musikerinnen in der deutschen Hip Hop-Szene bislang unterrepräsentiert sind, kann ich aus meiner männlichen Perspektive natürlich nur bedingt widerspiegeln. Das Problem kann Patriarchat, Selbstzweifel, Unverständnis für weibliche Ausdrucksweisen oder einfach Eingefahrenheit der Szene heißen. Fakt ist, dass wir als Szene alle Mittel haben, diese Dysbalance zu beheben. Hip Hop ist eine Kultur der Gemeinschaft – also hören wir doch einfach auf, die Falschen auszugrenzen!

laut.de: Wie schätzt ihr die Reaktionen eures Publikums ein? Rechnet ihr mit Auswirkungen auf die Besucherzahlen?

Kai: Mit der Unterzeichnung der Keychange Pledge sind wir ein Risiko eingegangen – keine Frage. Dieses Risiko birgt, dass einige Menschen unsere Meinung und unsere Idee nicht teilen werden. Und diese Menschen kaufen dann vielleicht kein Ticket oder sie wollen bei uns nicht auftreten oder sie berichten nicht über uns. Wie viele Menschen das sein werden, das ist für uns nicht kalkulierbar. Das wissen wir, das wissen alle unsere PartnerInnen. Wir haben als kleines, unkommerzielles und Werte vertretendes Festival die wichtige Entscheidung getroffen, ein lautes, gesellschaftlich-kulturelles Statement für Deutschrap zu setzen. Wenn wir an dieser Entscheidung scheitern, dann hat uns Deutschrap nie gebraucht.

Hat sich noch jedes Mal gelohnt

Danke, Kai. Danke, Tapefabrik. Eine klare Haltung gegen Sexismus, Rassismus, Homophobie, Antisemitismus und jede andere Form der Diskriminierung gehört seit jeher zum Selbstverständnis der Tapefabrik. Dass sich diese schönen Worte nun auch in handfesten Aktionen niederschlagen: ein Grund mehr, um sich im März auf den Weg nach Wiesbaden zu machen. Hat sich noch jedes Mal gelohnt. Tickets gibts hier. Wir sehen uns vor Ort.

[Das uns von der Tapefabrik freundlich zur Verfügung gestellte Artikelbild hat Pauline Stölzel aufgenommen. Danke auch dafür.]

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6 Kommentare mit 8 Antworten

  • Vor 4 Jahren

    Dieser Kommentar wurde vor 4 Jahren durch den Autor entfernt.

  • Vor 4 Jahren

    .....Das Problem kann Patriarchat, Selbstzweifel, Unverständnis für weibliche Ausdrucksweisen oder einfach Eingefahrenheit der Szene heißen.....

    Oder eben einfach so ein Angebot/Nachfrage Ding?!
    Bis jetzt war ich schmunzelnd aber durchaus wohlwollend hinter dieser Frauenbewegung 2.0 gestanden aber mir damit jetzt auch den neuen Asterix zu versauen geht zu weit!

  • Vor 4 Jahren

    Seit der Prezident-Sache hat die Tapefabrik eh ihren Slot im Pseudo-Linken Limbus sicher.

    Abseits dessen ist mir dieses Thema ja so dermaßen scheißegal. Ich will ein Festival und kein "uhhhhh ih wed so diskriminidiert heul heul". Sollen doch einladen wenn sie wollen und wem es nicht passt geht nicht hin. Ich gehe nicht hin. Done deal. Liebe antifaschistische Grüße

  • Vor 4 Jahren

    Die mutigen Kämpfer*Innen gegen das Patriarchat setzen sich quasi selbst ein Denkmal.
    Das kann man doch nur unterstützen.

  • Vor 4 Jahren

    Mir ist nicht ganz klar, warum ein "kleines, unkommerzielles und Werte vertretendes Festival" eine Quote für so etwas braucht?
    Ein nicht-kommerzielles Festival bewegt sich doch sowieso außerhalb der maßgeblichen Treiber dieser Problematik.

    • Vor 4 Jahren

      Avantgardismus einer bürgerlichen Elite. War schon immer prägend!

    • Vor 4 Jahren

      Aber ist das nicht ein bisschen wie diese „Was kann ich denn schon ausrichten“-Ausflüchte, Haine? Irgendwer muss ja mal anfangen (zumindest sofern man sich hinsichtlich des Problems einig ist ;)).

      @Squall: Finde ich in diesem Fall nicht. Auch das stets wunderbare Tapefabrik-Lineup hat sich bzgl. des Frauenanteils ja bisher nicht besonders hervorgetan. Ist also nicht die siebte, sondern eher die erste Stufe auf der Eskalationsleiter. Wobei ich das 50 %-Ziel in der kurzen Zeit schon seehr mutig und auch generell Mindest-Quoten in der Höhe nur begrenzt sinnvoll finde.

    • Vor 4 Jahren

      Mit der Absicht ein Zeichen zu setzen, kann ich das ja noch nachvollziehen. Dennoch finde ich Quoten immer schwierig, da diese Quoten implementieren, dass es ohne ja nicht klappt. Auf einen Markt oder eine Branche bezogen macht das Sinn, aber ein nicht-kommerzielles Festival sollte das auch ohne schaffen. Und da ist auch der springende Punkt bezüglich der Signalwirkung: Wenn selbst ein nicht-kommerzielles Festival damit Schwierigkeiten hat, die Waage zwischen Mann und Frau in Booking zu halten, wie soll es denn dann ein Vorbild für ein kommerzielles Festival sein, dass wesentlich stärker den Zwängen der Zielgruppe unterliegt und sich demnach an den Charts orientieren muss, die nunmal männlich dominiert sind?

    • Vor 4 Jahren

      Naja, dass es "ohne ja nicht klappt" zeigt der Blick auf die Ergebnisse (sprich Line-Ups) schon recht deutlich. Insofern mMn durchaus ein geeignetes Bsp. für einen "Quoten"-Einsatz. Parität finde ich als "weiches" Ziel richtig, eine entspr. Mindest-Quote finde ich wie gesagt auch schwierig.

      Ob das Festival kommerziell ist oder nicht, finde ich für den Vorbild-Charakter dagegen eigentlich gar nicht soo entscheidend. Die Hürden sind ja vielfältiger als ein reines Mädels-im-Rap-verkauft-sich-nicht-gut-genug (weniger Frauen als Männer entwickeln Interesse für das Genre, weniger intensivern das, werden Nerds, greifen selber zum Mic/bauen Beats, werden bekannt, werden gepusht etc.), mal ganz außen vor gelassen, wieviel davon nun platter Diskrimminierung ("Frauen können das nicht!") oder subtileren Mechanismen geschuldet ist. Wenn sich jetzt eine kulturell einflussreiche Institution (darunter würd ich die Tapefabrik schon ablegen) hinstellt und sagt, wir steuern an der Stelle gegen, an der wir das transparent können (=am Ende der Kette), kann man sich davon finde ich schon erhoffen, dass das auch einen gewissen Einfluss auf weiter vorne liegende Engstellen (oder parallele, sprich: andere Festivals) hat und somit einen Beitrag leistet.

      So etwas dauert aber natürlich. Die Zahlen 50 und 22 kommen mir deshalb auch sehr ambitioniert vor. Aber warum unbedingt das Haar in der Suppe suchen? Die Aktion ist mbMn in jedem Fall ein Schritt in die richtige Richtung :)

  • Vor 4 Jahren

    Ich hoffe ja auf eine Quote fürs RaR, damit diese sterbenslangweiligen Line-Ups mit Opa-Bands endlich aufhören.