laut.de-Kritik

Die 60er sind (auf einmal) so nah.

Review von

"Nick Waterhouse" ist zwar kein Soundtrack, den Film sehe ich aber trotzdem vor mir. Er spielt sicher in Kalifornien, oder wenn nicht dort, so gewiss an einer Küste mit warmem Klima, vielleicht in Neuseeland. Er beginnt in einer Stadt wie San Francisco, dort rollen Taxis über die Hügel, später entwickelt sich ein Road Movie daraus. Hotelzimmer kommen im Setting vor. Garantiert fallen, springen oder plumpsen irgendwann Menschen in einen Swimming Pool. Betäubungsmittel spielen auch eine Rolle. Das Geschehen spielt in den 60er oder frühen 70er Jahren.

Willkommen in der Welt des Nick Waterhouse. Hier ordnet sich alles dem Zweifel unter. Es handelt sich um einen Kosmos, in dem "love's not a gamble, love's a trap" ist, in dem Liebe nicht romantisch, sondern "suicide packed" ist. In dieser Welt sind Bebop-Jazz, Jukebox-Rock'n'Roll und Surf Sound nach Art der Beach Boys bereits erfunden. Vieles andere nicht.

Ganz wichtig aber ist der Bürgerrechts-Soul. Dessen prickelnden Thrill benutzt Waterhouse gerne als Gestaltungselement. Da erklingen Doo Wop-inspirierte Chorgesänge im Stile von Martha Reeves & The Vandellas oder den Marvelettes, also Musik des Early Sixties Soul. An Hippie-Riffs von Grateful Dead fühlt man sich in den Riffs von "Man Leaves Town" leicht mal erinnert.

Düster, schunkelig und von ermüdenden Erlebnissen gezeichnet klingen die schlaftrunkenen und doch beschwingten Arrangements. Nein, Nick Waterhouse ist kein Lou Reed, nur ähnlich existentialistisch beeinflusst. Waterhouse baut nicht die Musik auf den Texten auf, sondern nuschelt die Texte bisweilen in den Hintergrund.

Viel wichtiger scheint ihm der Album-Flow zu sein. Tatsächlich bieten anno 2019 bis dato wenige Alben eine solche Durchhörbarkeit an. Die elf Titel bilden ein spannendes Set mit Anfang und Ende, wobei die Reihenfolge auch anders sein könnte. Was aber fixiert an der Stelle des vorletzten Tracks Sinn ergibt, ist das dort platzierte einzige Instrumental: "El Viv", als Moment zum Innehalten.

Dick Dale war bekannt für solcher Art Surf-Instrumentals. Wo Surfen zum Wasser gehört, überrascht es, dass man Waterhouse punktuell auch für einen geschmackvollen Wiederkäuer der Desert Rock-Welle halten könnte, also des Sounds von Calexico, Howe Gelb & Co.

Diese Platte klingt entsprechend crazy. Sie steckt an, weil sie kreuz und quer durch die Rhythmen zappt. Dieses Switchen macht Spaß. Wie behände der Songwriter von einem schmissigen R & B-Soul-Titel ("I Feel An Urge Coming") zu einem Rock-Titel ("Undedicated") übergeht, dessen Intro wie "Smoke On The Water" wabert, diese Flexibilität fasziniert. Das rhythmische Können reißt mit. Obwohl das Tempo auf- und abwärts geht, wirkt die Platte beim ersten, auch beim zweiten Hören recht gleichmäßig. Die Handlungselemente sind, sobald sich etwas vom Text aufschnappen lässt, problembehaftet: 'Opfer der Umstände' ("victim of circumstance") und 'krank' ("are you sick?") etwa in "Song For Winners", der paradoxerweise von Losern handelt.

"Long before cold computing" ist die Schlüsselaussage im alles bezeichnenden Titel "Black Glass". Schwarzes Glas kennt man in der Regel von Sonnenbrillen, auch wenn eine Fast Food-Kette 2018 schwarze Trinkgläser einige Tage lang gegen die richtige Menükombination verschenkte. Vor den kalten Computern war das Industriezeitalter. Da gab es noch mehr Dinge aus Papier und Holz, mehr Langsamkeit und geförderten Kunstbetrieb. Falls Waterhouse das alles meint. Egal, was er meint: Wer Jazz-Bausteine im Rock-, Pop- und Soul-Umfeld mag, kann bei dem Saxophonsolo in "Black Glass" nur vor Freude herumhüpfen. Selten macht so düstere Musik so viel gute Laune.

Einiges erinnert an die Blaxploitation-Soundtracks der frühen 70er, und so entsteht vielleicht der Filmscore-Effekt. Während andere Songautoren (Kiwanuka, Fields, Cee-Lo Green) textlich und instrumental ein Copy und Paste alter Musik machen, versetzt sich der Hemdenträger mit Pomadenfrisur Waterhouse komplett in die alte Ära, als Bandmaschinen im Studio standen und ein 'Un-Do' erschwerten. Aufnahmen versemmelte man und machte Take 2 oder auch mal Take 37. Aber alle spielten zusammen.

Waterhouse und seine Leute spielen fokussiert ihre 37 Minuten, also die klassische Vinyl-Albumlänge, und langweilen dabei keine Sekunde. Ihnen gelingt organische Musik, ein Album aus einem Guss. Und das war mit dem Wort 'Album' damals in den mittleren, späteren 60ern mitunter gemeint.

Der kauzige, undeutliche, bisweilen in "Man Leaves Town" und "Song For Winners" gar keifende Gesang ruft stellenweise Bob Dylan ins Gedächtnis. Den halten die meisten Rockfans und Musikkritiker für keinen guten Sänger. Waterhouse verfügt schon über Timbre, wie in "Thought & Act", aber ein Weltklassesänger ist er sicher nicht.

Doch er setzt seine Stimme in verschiedenen Ausdrucksformen ein scheu, bissig, aber auch mal über den Dingen stehend. Sein Nuscheln wirkt wie Absicht. Alles wirkt wie Absicht. Beispiel: Bläser erscheinen in dunklen Klangfarben. Es darf eher etwas aus dem Spektrum Oboe, Horn, Tenorsaxophon für Waterhouse sein, als dass es zu hell klänge. Der Clou an all diesem Vintage-Sound ist das Alter des Musikers: Mit Anfang 30 macht dieser Kerl die Musik, für die seine Eltern noch zu jung waren.

Trackliste

  1. 1. By Heart
  2. 2. Song For Winners
  3. 3. I Feel An Urge Coming On
  4. 4. Undedicated
  5. 5. Black Glass
  6. 6. Wreck The Rod
  7. 7. Which Was Writ
  8. 8. Man Leaves Town
  9. 9. Thought & Act
  10. 10. El Viv
  11. 11. Wherever She Goes (She is Wanted)

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