laut.de-Kritik

Schön, manchmal aber zu sehr.

Review von

Nicht ohne Grund wird er in England nach einem seiner Songs auch "The Changingman" genannt, denn ein neues Paul-Weller-Album ist auch immer wie eine gemischte Tüte beim nächsten Kiosk: Man weiß nie, was man bekommt, aber es ist auf jeden Fall was Gutes dabei. Der Mann fing mal als Punk mit The Jam an, mischte mit The Style Council im Blue-Eyed-Soul mit und versuchte sich als Solo-Künstler seit Anfang der 90er an fast jedem populären Genre. Mal war das zugänglich ("Saturns Pattern"), mal etwas wirr ("22 Dreams"), Stillstand gab es bei Weller aber definitiv nie und der eine oder andere starke Song war immer dabei.

Mit 62 gönnt sich der Brite nun die dritte Veröffentlichung in zwei Jahren, "On Sunset" ist sein fünfzehntes Studioalbum. Anfang des Jahres veröffentlichte Weller eine EP mit vier musique-concrete-Songs, 2019 gab es ein Live-Album mit großem Orchester. Und auch wenn das Cover so aussieht, als hätte ein Grundschüler entdeckt, dass das Schreibprogramm seiner Eltern auch andere Schriftarten als Arial und Times anbietet, hat "On Sunset" wieder viel Spannendes zu bieten, selbst wenn nicht jeder Song überzeugt.

"Baptiste" beispielsweise ist recht schnöder Soul, der nicht viel mehr will, als gefällig sein und den man so auch auf den neueren, öden Van-Morrison-Alben findet. "Village" hingegen tendiert sehr in Richtung Wohlfühl-Pop, wie ihn die Lighthouse Family Anfang der 2000er verbrochen hat. Interessant wird es immer dann, wenn Weller sich moderner Stilmittel bedient und unterstreicht, dass er den Titel "Modfather" immer noch zu recht trägt. "Old Father Tyme" etwa beginnt mit elektronischen Percussion-Elementen, verfällt dann in einen verfunkten Soul-Sound und hält so angenehm die Waage zwischen retro und zeitgemäß.

Der Opener "Mirror Ball" schlurft längere Zeit vor sich hin, schaukelt sich aber später in einen breit instrumentierten Hauptteil, der nach kurzen Breaks immer wiederkehrt. Mit Synthies, verzerrten Gitarren, Rasseln und einem Xylophon erzeugt Weller hier einen fetten Instrumentalrahmen, um mit seiner weiterhin beeindruckenden Stimme drüber zu croonen. Der Song erinnert an Damon Albarns Solo-Album, im speziellen an "Heavy Seas Of Love".

Der Titeltrack liefert bestens aufgelegten Folk-Pop mit Karibik-Vibe, gar nicht unähnlichen der Musik von Sixto Rodriguez. Das Stück bietet neben röhrenden E-Gitarren auch einen Frauen-Chor, Bläser und sogar eine Flöte und greift immer wieder die berühmte Melodie aus Nik Kershaws "Wouldn't It Be Good" auf, um sie kurz darauf zu verwerfen. "No long goodbyes / I have no point to prove", singt Weller, und tatsächlich scheint er auf diesem Album niemandem etwas beweisen zu wollen. Besonders ausgelassen klingt auch der Country-Rocker "Walkin'", in dem Weller die ganze Wucht seiner Stimme präsentiert.

Der stärkste Track ist aber das zu Beginn grummelnde "More". Hier wechselt sich Weller mit einer weiblichen Stimme ab, die das Stück um einige französische Zeilen ergänzt, dessen Refrain sich aber immer in einen stimmigen Pop-Refrain öffnet. Über einer groovenden Bassline und treibenden Drums passiert hier vieles, immer mal wieder driftet der Track ins Psychedelische ab und entwickelt einen wunderbaren Sog, aus kleinen Gitarren-Einwürfen, Percussion und mächtigen Bläser-Motiven. Das Streben nach immer mehr ist Thema des Songs, die Zeile "The more you get, the more you lose" eine der Kernaussagen.

Mit seinen großen Arrangements, sonnigen Klängen und der Mischung aus Spielereien mit elektronischen Elementen und akustischem Grundgerüst ist das Album eine schöne Ergänzung des Weller'schen Œuvres. Etwas weniger Wohlklang und ein paar mehr Kanten hätten "On Sunset" aber gut getan.

Trackliste

  1. 1. Mirror Ball
  2. 2. Baptiste
  3. 3. Old Father Tyme
  4. 4. Village
  5. 5. More
  6. 6. On Sunset
  7. 7. Equanimity
  8. 8. Walkin’
  9. 9. Earth Beat
  10. 10. Rockets

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