laut.de-Kritik

808s & Nichts fühlen.

Review von

Die Sonne geht unter in Berlin. Irgendwo streift eine Mittzwanzigerin verstohlen um den Block, Hoodie tief ins Gesicht gezogen, die Kippe zittert zwischen ihren kalten Fingern. Sie streift vorbei an fremden Umrissen, lässt sich treiben. Immer wieder schaut sie nervös über die Schulter, erhascht einen Schemen, der sich schon vor geraumer Zeit an ihre Versen geheftet hat. Sein grau schwarzes Fell fällt inmitten der spärlich ausgeleuchteten Straßenecken kaum auf. Nur hin und wieder, wenn er die Oberlippe ein wenig nach oben zieht, blitzt ein verdreckter Zahn auf und durchschneidet die Nacht wie ein kaputter Scheinwerfer.

Paula Hartmann erzählt Großstadtmärchen. Kindliche Geschichten über Liebe, Freunde und Familie, verdreckt vom Schmutz der Hauptstadt. Schon auf ihrem Debüt "Nie Verliebt" flirtete Hartmann mit dem Ende. Ihre Lieder wirken gleichermaßen wie aus der Feder einer naiven Teenagerin und einer alten, gemarterten Seele, die nicht länger an ihre eigenen Kindheitsträume glaubt. "Kleine Feuer" nimmt diesen Aspekt ihrer Musik, diesen Fatalismus und kickt ihn mit dem Klang einer 808 die Kellertreppe hinunter. Auf diesem Album gibt es keine Romantik mehr. Das Berlin von Hartmann ist ein Schattenmeer, in dem hinter jeder Ecke ein weiterer Grund lauert, nicht an eine bessere Zukunft zu glauben. War ihr Debüt die Disney-Version ihrer Lebensgeschichte, so lesen wir hier das Grimmsche Original.

Schon das Cover wirkt als hätte man ein altes Polaroid-Foto aus einer Matschpfütze gezogen. Dieser Matsch befleckt auf diesem Album alles, frisst sich nicht nur in die Kleidung, sondern tief in das Wesen der Menschen. Er liegt wie Feinstaub in der Luft, der sich in Bild-Schlagzeilen und Xanax-Bars manifestiert und Träume und Sehnsucht wie Säure zersetzt. Egal ob auf der Clubtoilette, in der U-Bahn oder über den Dächern Berlins: Er gelangt in jede noch so kleine Ritze, Paula Hartmann sucht mit "Kleine Feuer" nach der Gasmaske - vergebens.

"Niemand glaubt mehr, wie verändern was. Ganzer Jahrgang 27 Club": Diese Ohnmacht einer Generation, die einer sich Tag für Tag dunkler am Horizont auftürmende Zukunft entgegenschaut, ist kein besonders neues Motiv, aber Hartmann gelingt es wie momentan niemand anderes in Deutschland, ihm eine distinktive Stimme zu geben. Ihre Beats klingen auch in den unteren BPM lebendig und nie formelhaft, oder künstlich auf Edge gepolt. Ebenso widersetzen sie sich der Plastizität, der oft aus dem Kunstanspruch vergleichbarer Musiker*innen hervorgeht, weil sie die Stimmung eben nicht musikalischen Kartenspielertricks unterordnet. Hartmann bebildert das mausgraue Berlin kompromisslos mit ballernden Drums, kalten Trap Hi-Hats und durchzechten Synth-Lines. Ein Klangbild irgendwo zwischen schlaflos U-Bahn fahren und auf der Clubtoilette einschlafen, zwischen Hangover und Horror-Trip, zwischen '808s' und 'nichts fühlen'.

Die Instrumentierung tönt in Summe nicht gerade außerordentlich wagemutig, aber sie trägt dazu bei, Hartmanns Geschichten Gravitas zu verleihen. Ihre helle Mädchenstimme prallt immer wieder wie ein Flummi an diesen instrumentalen Hochhausschluchten ab. Ein Spielball der Großstadt, hin- und hergeworfen von einer Nacht in die nächste, bis sie die aufgehende Morgensonne am Ende zu sanften Klängen wieder aushustet.

Das größte Alleinstellungsmerkmal dieser LP, und Hartmanns Musik als Ganzes, liegt jedoch in ihren Texten. Wäre die ehemalige Schauspielerin keine Sängerin geworden, hätte ich ihr eine Karriere als Autorin nahegelegt. Nicht nur findet sie immer wieder die richtigen Sprachbilder, um das Gefühlschaos dieser Generation, die sich stetig im Limbo zwischen Weltuntergang und Selbstoptimierung befindet, lebendig werden zu lassen. Die Spitzen, die sie fast beiläufig setzt, treffen auch jedes Mal mitten ins Herz.

Auf "7 Mädchen" etwa, wo inmitten von Strobo-Lichtern und dröhnendem Bass fast schon etwas Dämonisches Einzug in eine Clubnacht unter Freunden erhält. "Ich will feiern, heißt, ich fühle mich alleine": Der Abend steht schon unter keinem guten Omen. Später "geht eine für Tinder weg" und betrügt ihren Freund: "Hoffe sie kann ihn vergessen, wie ihr Rücken ihre Flügel". Eine andere landet währenddessen auf der Trage. "Niemand wird sie besuchen", heißt es nüchtern in einem Nebensatz, ehe die Uhr sich unaufhaltsam weiter dreht und gen Sonnenaufgang rast. Die Morgenstunden haben die Quittung bereits im Handgepäck.

Das blonde Mädchen steht plötzlich allein auf der Tanzfläche, ihre Freundinnen hat die Nacht gefressen. Plötzlich überall fremde Gesichter, das Koks knallt irgendwie anders als sonst. Ein Büschel Fell streift ihren blassen Arm. Wie ein Parasit frisst sich Paranoia aus der Magengegend ihren Weg in den Hirnstamm und zieht am Feueralarm. Sie hört nur noch ein leises Knurren hinter sich, ehe sie die Tür der Clubtoilette hinter sich zudonnert. Kurze Stille, dann ein lautes Heulen und das Geräusch von Wut auf Holz. Der Wolf kratzt und beißt, niemand anderes scheint etwas zu bemerken. Ein weiteres Mal lehnt sich das Mädchen über den Spülkasten, bis die Geräusche wieder in den Hintergrund verschwinden.

Wenn man dem Album eines ankreiden kann, dann seinen oft etwas uninspirierten Umgang mit seinen Features. Gerade im Vergleich mit ihrem Debüt wird angesichts der geladenen Gäste klar, welchen Status innerhalb der deutschen Musikszene die 22-Jährige in den letzten Jahren eingenommen hat. Doch nur weil das Label einem einen Freifahrtschein für die Gästeliste gibt, heißt das nicht zwingend, dass es eine gute Idee ist, auch Gebrauch davon zu machen.

Trettmanns Auftritt auf "Atlantis" etwa bleibt mausgrau und Domizianas etwas platter Beitrag passt nicht so recht in das Stimmungsbild von "Gebrochenes Glas". Gleiches gilt auch für Lucio & Nizi, die das träumerische "Disney" für einen Moment auf die knochentrockene Gegenfahrbahn lenken. Ausgerechnet T-Low sorgt für den einzigen positiven Überraschungsmoment. Auf "Sag Was", dem emotionalen Nullpunkt der LP, nutzt er den von Paula ausgerollten Nadelteppich zur Selbstgeißelung. Das fällt zwar gemäß seiner sonstigen Texte etwas plakativ aus, verfehlt aber keinesfalls seine Wirkung, denn anders als vielen der sonstigen Features kauft man dem Jungen tragischerweise die Emotionen, von denen er da singt, voll und ganz ab: "Steh am Ende / Los jetzt, stoß mich in den Himmel, ja."

Gefühle sind in Hartmanns Welt Mangelware und stehen alle kurz vor dem Ablauf ihres Mindesthaltbarkeitsdatums. "Das ist so viel, das so wenig bedeutet". Es ist als läge ein Dämmungsfilter über ihrer Welt, der sie und ihre Mitmenschen davon abhält, eine wirkliche Verbindung herzustellen: "Wenn es zwischen uns funkt, nur ein kleines Blitzlicht". Wissend das die Wurzel des Unheils kaum zu lockern ist, sucht die Berlinerin stattdessen nach Mitteln die Gefühlslücken zu stopfen, den Schmerz zu betäuben. Egal ob Alkohol, schnelle Autos, Kippen oder laute Musik: Jedes Mittel ist recht. "Beats aus kleinen Boxen, jede Clap ein Schlag. Ins Gesicht, werde taub, mir egal. Hauptsache der Schmerz lässt endlich nach."

Es wäre nur zu leicht, in die Falle zu tappen diese Taubheit in musikalischer Monotonie zu ertränken, aber Hartmann und ihr Produzent Biztram heulen einem eben nicht fünfzig Minuten lang über pathetische Piano-Chords die Ohren voll, wie grausam und unfair das Leben ist, sondern nehmen uns mit auf eine ernüchternde Reise durch ein nächtliches Berlin und malen dabei den Subtext und das Gefühlsleben ihrer Mitmenschen wie Graffiti an die Wände. Auch wenn sie sich dabei ausschließlich bei verschiedenen Grautönen bedienen, fallen ihre Bilder erstaunlich abwechslungsreich aus.

Als markanteste Pinselstriche sind sicherlich "Gebrochenes Glas" und der Titeltrack zu nennen, wo sich Hartmann gänzlich außerhalb ihrer bislang geschaffenen Komfortzone bewegt. Doch egal ob Trap den instrumentalen Begleiter gibt, oder den Hauptdarsteller: Für das Narrativ dieses Albums funktioniert beides hervorragend. Gerade auf "Kleine Feuer" mischt Hartmann eine Prise Zynismus und Wut in ihren emotionalen Molotivocktail, was dazu führt, dass das Klangbild geradezu explodiert. Bevor das Feuer jedoch zu weit ausarten kann, erstickt es der Closer mit einer Plastiktüte.

Am Ende verweigert sich "Kleine Feuer" nämlich jeglicher Katharsis. "Snoopy" fühlt sich an wie das Ende der Nacht, wie die letzte Kippe, bevor die Sonnenstrahlen das Gesicht kitzeln. Doch nur weil sich die Tageszeit ändert, ziehen nicht alle Wolken schlagartig vom Himmel. Der Song klingt nämlich auch wie das erlischende Feuerwerk der letzten Endorphine auf dem Nachhauseweg, das müde Starren aus dem Busfenster, der letzte warme Schluck Bier, die Unsicherheit vor dem nächsten Tag. Das Ende der Nacht bringt nicht die Lösung aller Probleme mit sich, sondern einfach nur den Beginn eines neuen Tages.

Die Kordeln des Hoodies des blonden Mädchens tanzen in den ersten Sonnenstrahlen des Tages. An einem Ende hat sich ein wenig Fell verfangen. Die letzten Stunden ein einziger Spießrutenlauf, doch die roten Backen und die keuchende Lunge sind Zeichen, dass sie auch aus dieser Nacht als Siegerin hervorgeht. Der Triumph ist kurzweilig, der Tag endlich. Irgendwo in den Schatten bleckt der Wolf erneut seine Zähne. Doch für den Moment hat sie es sich verdient durchzuschnaufen. Denn in der Morgensonne sieht Berlin tatsächlich ziemlich märchenhaft aus.

Trackliste

  1. 1. Gespenst
  2. 2. DLIT (Die Liebe Ist Tot)
  3. 3. Crossfades (feat. Levin Liam)
  4. 4. Candy Crush
  5. 5. Disney (feat. Lucio101 & Nizi19)
  6. 6. Zwischen 2 Und 5
  7. 7. 7 Mädchen
  8. 8. Schwarze SUVs
  9. 9. Gebrochenes Glas (feat. Domiziana & Verifiziert)
  10. 10. Atlantis (feat. Trettmann)
  11. 11. Sag Was (feat. T-Low)
  12. 12. Kleine Feuer
  13. 13. Snoopy

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16 Kommentare mit 13 Antworten

  • Vor einem Monat

    Das ist schon eigen, ziemlich groß und die beste Fänger im Roggen Emulation, die ich seit Langem gehört hab.
    Für 5/5 hat es mir ein paar zu deutliche Schwächen, aber es hat trotzdem definitv Klassikerpotenzial.

    Da sind tolle Sprachbilder auf dem Album und Paula bringt die passende Delivery mit, um den Gedanken an Poetry Slam großflächig zu ersticken. Die Stimmung ist angenehm dreckig und die Produktion groß für deutschen Pop. Bitztram wischt mit diesem Beatzarre und Djoarkeff Radiogrütze definitiv den Boden auf. Und vor allem passt der Vibe! Die kriegt ihren Adoleszenz-Existenzialismus so gut vermittelt, dass mir da höchstens Tuas Grau als Referenz einfällt. Da kann man auch vergeben, dass das aneinandereihen von schönen Bildern manchmal ein wenig zum Selbstzweck verkommt.

  • Vor einem Monat

    ''...Frag mich wie dein Album ist - so lala...''

  • Vor 30 Tagen

    808s und nichts fühlen trifft den Nagel eigentlich auf den Kopf. Bis auf „zwischen 2 und 5“ find ich die Beats einfach nur grauenhaft langweilig, da passiert einfach gar nichts. Das passt iwo aber auch auf den immer gleich betonten Vortrag. Die Traurigkeit sitzt anscheinend so tief, das man selbst in den passendsten Momenten (z. B. Ende von Gebrochenes Glas) einfach keine anderen Emotionen zeigen kann / will.
    Lieber auch nicht zu sehr auffallen, man möchte die Kids, die sich von den IN JEDEM SONG vorkommenden Keywords angesprochen fühlen, sicher nicht überfordern. Die braucht es doch aber eigentlich gar nicht, das hier oft erwähnte Texttalent konnte ich auch sehen.