laut.de-Kritik

Die Leiden des alten Simon.

Review von

Nichts erscheint in der zunehmend sensibilisierten Deutschrap-Landschaft des Jahres 2020 anachronistischer als ein Album von Rhymin Simon. Doch nach 15 Jahren setzt der Berliner mit dem Doppelalbum "Essi Duz It/Letzte Liebe" wahrhaftig seinen Weg zur raptechnischen Totalverweigerung fort. Den angekündigten Stil vergangener Tage bedient er in seiner drastischen Misogynie aber nicht. Sie erschöpft sich in müden Schenkelklopfern aus dem verkehrspädagogischen Kosmos von "Der 7. Sinn": "Fahrverbot für Frauen – das nenn' ich Weitsicht."

Vom leiernden Vortrag über die weitgehend lieblosen Inhalte bis zu den trägen Produktionen frönt die Veröffentlichung dem Minimalismus. Musikalisch beschränkt sich "Baba Kush" auf das Nötigste, um gerade noch als Beat durchzugehen. Dazu erzählt Simon in Zeitlupe von Rauschzuständen. Die auch außerhalb der Musik zur Schau gestellte ignorante Attitüde zerrt an den Nerven des Zuhörers. "Alles, was mich juckt, sind Fler-Interviews", vermittelt er mit hoher Glaubwürdigkeit. Welches Interesse sollen die Songs wecken, wenn der Rapper selbst vor Desinteresse einzuschlafen droht?

Erschwerend hinzu kommt noch, dass sich hinter der Selbstinszenierung als gelangweilter Simpel wohl in Wahrheit der Klassenbeste verbirgt. Nur punktuell hebt er die Bedeutung von Bildung hervor: "Ihr Bandsalat-Rapper haltet euch für Walter White, obwohl ihr vor der zehnten Klasse abgegangen seid?" Das mag zwar als legitime Kritik erscheinen, doch in gewisser Weise läuft sie auch ins Leere. Die Frage bleibt bestehen, wieso etwa Bass Sultan Hengzt mehr Verstand und Witz auf Alben versprüht, deren Titel bereits die Abwesenheit eines Abiturs unterstreichen, als der gebildete Simon.

Zum Abschluss der ersten Hälfte erstarrt der Berliner in "Ich Häng Auf Der Couch" vollends in Unlust. Zumindest vermittelt das Instrumental ein depressives Element, das ihm nicht nur ein wenig Persönlichkeit verschafft, sondern auch den Übergang zu den Leiden des alten Simon im zweiten Teil markiert. Bereits im Vorfeld erschien mit "Torch" ein Beitrag, der vom Hadern mit der eigenen Vergänglichkeit und dem allgemeinen Zerfall handelt. Amüsant führt er den Namen des Heidelberger Urgesteins als Synonym für "alt" ein: "Ich fühl' mich Torch. Mich lässt das nicht kalt."

Rhymin Simon steigert sich zunehmend in eine melancholische Stimmung, wenn es im Folgenden um seine gescheiterte Beziehung geht. Was in "Neuntausend" noch mit Nichtigkeiten beginnt, wie sein Ärger darüber, beim gemeinsamen Tretbootfahren als Einziger zu treten, wächst sich im elegischen "Ich Penn Auf Der Couch" zu ernsthaften Problemen aus. Der traurigschöne Song leidet ein wenig an der aufgeführten Opferpose, der es an einem Mindestmaß der Selbstkritik mangelt. Anders als Nimo, der den Perspektivwechsel auf "Nimoriginal" geschickt umgesetzt hat, bleibt Simon ganz bei sich.

"Taubstumm" erreicht die nächste Stufe der Freudlosigkeit. Zur Untergangsstimmung klagt er über die eigenen privaten und beruflichen Krisen: "Gott muss ein weibliches Wesen ohne Herz sein." Kurz vor Schluss kommt es in "Singst Du Jetzt?" dann doch noch zur dringend benötigen Selbsterkenntnis: "Ich ließ die Gefühle absterben. Meine Depressionen sollten langsam auf dich abfärben. Meine Therapie, zu spät, das weiß ich auch. Wenn mir früher was nicht passte, schlief ich auf der Couch statt zu reden." Am Ende verharrt er im rein instrumentalen Abschluss in wortloser "Trauer".

So bietet Rhymin Simon mit "Letzte Liebe" überraschend private Einblicke. Neben der zweiten Hälfte bleibt "Essi Duz It" aber im Wesentlichen ein Totalausfall. An der stolz ausgebreiteten Ignoranz, in der immer auch ein Hauch Publikumsverachtung mitschwingt, stört schlicht der fehlende Unterhaltungswert. Mit einem guten Dutzend gewitzter Zeilen in einer Stunde Laufzeit missachtet Rhymin Simon die gleichermaßen für Rap geltenden drei Grundregeln Billy Wilders für das Filmemachen: "Du sollst nicht langweilen, du sollst nicht langweilen und du sollst nicht langweilen!"

Trackliste

Essi Duz It

  1. 1. ZSUZS
  2. 2. Baba Kush
  3. 3. Ute Und Ilona
  4. 4. Skit - Ein Traum
  5. 5. Essi Duz It
  6. 6. Mein Volvo
  7. 7. Hate The Game
  8. 8. Früchtchen
  9. 9. Isn't
  10. 10. Zeit
  11. 11. Ich Häng Auf Der Couch

Letzte Liebe

  1. 1. Unglücklich
  2. 2. Torch
  3. 3. Neuntausend
  4. 4. Ich Penn Auf Der Couch
  5. 5. Taubstumm
  6. 6. Auf Schule Geschissen
  7. 7. Take That Shit
  8. 8. Singst Du Jetzt?
  9. 9. Trauer

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7 Kommentare mit 8 Antworten

  • Vor 4 Jahren

    Kann man Ihn wie Frank Zander als Musiker für Netto buchen?
    2 Sterne gehen klar aber die Thematik vom zweiten Album wären bei Kallwas besser aufgehoben, dann doch lieber die alte Schiene als Mixtape.

    • Vor 4 Jahren

      "Kann man Ihn wie Frank Zander als Musiker für Netto buchen?"

      Ich glaube kaum, hat er doch etwas gelernt, womit er mehr als mindestens 90% der deutschen Vollzeitrapper verdienen sollte.

  • Vor 4 Jahren

    Review suckt. Von der ersten Hälfte nur zwei Tracks erwähnt, inhaltliche Leere suggeriert. Aber storyteller wie "Ute und Ilona" oder "Mein Volvo" nicht erwähnt. Gelangweilter Vortrag? Heißt nicht automatisch langweilig, eher arrogant oder laid-back. Produktionen erfüllen ihren Zweck, drängen sich nicht in den Vordergrund. Sind keine 10/10 Banger, aber auch nicht "träge". Der zweite Teil erzählt Recht geschickt über mehrere Tracks von Simons Ehe, inklusive Entwicklung des Charakters. In manchen Tracks tatsächlich unreflektiert, aber die sollte man schon im Verbund betrachten. Zwischendurch immer Mal wieder "Auflockerung" mit Tracks wie "Torch".

    "Gott, muss ein weibliches Wesen ohne Herz sein."

    Dieses Zitat zeigt das Unverständnis des Rezensenten. Es ist natürlich "Gott muss ein weibliches Wesen ohne Herz sein.", was Simon da rappt.

    Mein Fazit: Erstaunlicherweise trotz der Länge nicht langweilig geworden, gute Tracks dabei, aber auch nicht so gute. Zwei Individuelle Releases wären wohl dichter gewesen, wobei bei Seiten schon Berührungspunkte haben. Entgegen des Eröffnungssatzes der Review eines der gelungsten comebacks der letzten Zeit. Und Null anachronistisch. 3,5/5

  • Vor 4 Jahren

    Abi, Dipl., Doktor. 5/5

  • Vor 4 Jahren

    Uhhhhh da hat sich der Autor wohl in seiner concious Awareness getroffen gefühlt. Uhhhhh. That's so not PC

  • Vor 4 Jahren

    ich gehe mit caps und darkO. album super, rezi teile ich nicht.

    v.a.
    "Die Frage bleibt bestehen, wieso etwa Bass Sultan Hengzt mehr Verstand und Witz auf Alben versprüht, deren Titel bereits die Abwesenheit eines Abiturs unterstreichen, als der gebildete Simon." ist halt schon der knaller. als ob auf lauch.de Bass Sultan Hengzt je positiv bewertet/erwähnt worden wäre, insbes im kontext von "witz und verstand". vor allem der (kursiv, unterstrichen, dick, betont) bass sultan hengzt von 2003 und 2005.
    absolut kein h88 gegen hengzt. die alten sachen sind klassikaz, auch das riot 2ahltag album war burner...aber ist schon befremdlich wie er jetzt hier positiv erwähnt wird

    • Vor 4 Jahren

      Spätestens wenn dieser "Witz und Verstand" dann doch mit den eigenen hehren Idealen bzgl. Genderflexibilität und Wokeness kollidiert, holt sich der Hengzt wieder seine 1/5, inkl. vorausgehender Moralpredigt ab.

  • Vor 4 Jahren

    Bin froh, dass die Alteingesessenen sich hier schon zu Genüge für Simon eingesetzt haben, kann mich dem nur anschließen.
    Einzig und allein "Früchtchen" ist für mich sehr schwer anzuhören, weil dieser Nazi-Twist so unnötig und cringy wirkt.

    • Vor 4 Jahren

      Ich schätze, das hat er für die Fler Line gerne in Kauf genommen. :D

    • Vor 4 Jahren

      Habe mich sehr an den Tarek-Part von "Der schöne und das Biest" erinnert gefühlt bei dem Ding.

      In Summe ist das Album aus meiner Sicht auch sehr gelungen - aber wenn man die Review eines Rhymin Simon Albums an den neuen Frauenbeauftragten gibt, war eine andere Wertung nicht zu erwarten