laut.de-Kritik

Gar nicht so langweilig, wie man meinen könnte.

Review von

"Sie liebt jemanden anderen. Jemanden anderen, der sie nicht fallen lassen wird." Dieser andere stammt aus dem eigenen Freundeskreis, und das Pärchen wohnt in derselben Stadt. Bei der irischen Band Walking On Cars ist das Wort 'Stadt' relativ. In ihrem Zweitausendseelen-Ort Dingle kennt sogar jeder jeden, sagen sie. Die Eindringlichkeit des zitierten Songs "Somebody Else" lässt sich daher gut nachvollziehen - es quält, wenn man sich nicht aus dem Weg gehen kann und sich Sehnsüchte nonstop durch Begegnungen nähren.

"Somebody Else" kündigte das Album "Colours" nicht als Single an, obwohl der Tune das Zeug zum perfekten Popsong mitbringt. Für einen reinen Albumtrack ist auch "Two Straight Lines" zu schade. Beide Titel eint das gleiche gelungene Strickmuster: In den stillen Einleitungen melden sich nur die Keyboards, um den Gesang zu untermalen. Sänger Patrick steigt ohne Intro-Takte direkt ins Thema ein, eine gute Minute lang baut das Quintett Spannung auf, bis der Refrain zwar hymnische Gestalt annimmt, ohne dabei aber übertrieben aufgeregt zu klingen.

Die Drums fangen an, intensiver zu pluckern, doch die Führungsrolle behält immer der Sänger bei, bis knapp vor Ende der zweiten Minute das Gitarren-Gewitter einsetzt. Von weitem mag man sich an U2 erinnert fühlen, wenn Pathos, Melancholie und diese irische Art, die E-Gitarre kühl und schrill aufblitzen zu lassen, einander kreuzen. Auch INXS klingen an, wohl, weil Patrick Sheehy sich ähnlich wie damals Michael Hutchence gut dem jeweiligen Musikbett anpassen kann. Dominieren die Keyboards, klingt der Gesang wie ein Rufen und zudem recht androgyn, im Stile von Dance und Disco. Besonders bei "Straight Lines" setzen Walking On Cars diesen Urban-Style für eine Rockband aus der Provinz erstaunlich gut um.

Heulen die Gitarren, dann wird der Sänger expressiv. Scheppert das Schlagzeug, dann shoutet er auch im Poserrock-Stile. Um die Lücke von INXS zugunsten guten allgemeinverträglichen Radio-Rock-Pops mit Dance-Einschlag zu schließen, braucht es Hymnen, Hammer-Hook Lines und Songs mit gepfefferten Rhythmen. Leider erreichen Walking On Cars dieses Level nicht konsequent. Gerade die Singles "Monster" und "Coldest Water" langweilen.

"When We Were Kids" schiebt sich als trauervolles Coldplay-Imitat vorwärts. Hier erhalten die Gitarren die undankbare Nebenrolle, lediglich als monotones Rhythmusinstrument dabei zu sein. Lasst sie weg, möchte man der Band sagen, dann hört sich das wenigstens originell an. Damals, als sie Kinder waren und über Geld nicht nachdachten, sei alles besser gewesen, trägt der Sänger im Intro vor. Durchaus ist das keine so häufige und auch gar keine so schlechte Song-Idee. Aus dem Gedanken ließe sich ein spannender Text mit explosiver oder trauriger Musik machen, ein starkes Lied. Die Möglichkeit sahen die sechs (!) Songautoren im Team wohl nicht und ersäufen das Stück in einem Wust aus Pseudo-Indie-Pop und peinlichen Textbausteinen wie "really really lost without you" und "I still call out for you", die kein Mensch so sagen würde. Die Stimme vibriert im hysterischen Jammer-Modus. Das kann man nicht ernst nehmen und auch nicht genießen. Die ganze Aufnahme ist also ein kompletter Fail. Solche Songs sind wohl auch der Grund, weshalb viele Kritiker abschätzig über die Gruppe schreiben.

In "Too Emotional" entscheidet sich die Band dagegen für peitschende Beats, eine erwachsene Stimmlage von Patrick und ein Synthie-Pop-Arrangement, das an MGMT und The 1975 erinnert. Krachende Drums im Refrain und zurückhaltend gespielte Strophen wechseln einander ab. Besonders schön wirken die psychedelischen Disharmonien hier (und auch in "Somebody Else"), mit denen Keyboarderin Sorcha Durham fein dosiert experimentiert.

Auf Dauer vermisst man dennoch ein komplexeres Stück. Dafür beherrscht die Band das gute alte Genre der Softrock-Ballade, wie sie abschließend in "Pieces Of You" beweist. Nach den unverbindlich klingenden Singles sollte man die Gruppe daher nicht beurteilen, denn da würde einem mancher wirklich guter Song durch die Lappen gehen. Aber auch da muss man erst dreimal hinhören. Von der Auskopplung "Coldest Water" gibt es digital sowohl einen sehr guten Remix als auch eine angenehme Akustikversion, während die Masterings für Album und Radio-Airplay gar grauenvoll und unentschlossen Dance-Elektronik und Gitarrenrock vermischen.

Den Albumtitel löst die Band aber durchaus ein. Die fünf Iren drehen sich prismenartig um einige Klang-Farben und Schattierungen herum und tönen gar nicht so langweilig, wie man auf den ersten Eindruck meinen könnte.

Trackliste

  1. 1. Monster
  2. 2. Waiting On The Corner
  3. 3. Coldest Water
  4. 4. Somebody Else
  5. 5. Two Straight Lines
  6. 6. When We Were Kids
  7. 7. Too Emotional
  8. 8. One Last Dance
  9. 9. Pieces of You

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