laut.de-Kritik

Psychos Norman Bates wirkt daneben wie ein freundlicher Pfadfinder.

Review von

"Achtung, Achtung, hier sind die Ultrakurzwellensender Berlin-Witzleben!", ruft eine archaische Ansagerstimme. In schöner jährlicher Regelmäßigkeit beehrt uns Herr Ratzinger mit seiner ganz eigenen Osteransprache. Doch die Rede ist hier mitnichten vom bajuwarischen Pontifex; sondern von Elektropapst Rudolf Ratzinger. Freunde seines Wumpscut Projekts sehen nach diversen eher mediokren Alben (u.A. "Siamese", "Fuck It") und dem Ausflug in fast schon plakativ selbstironische Humorismen ("Schokk & Grauss") mit dem aktuellen Werk jedoch endlich wieder Licht am Ende des düsteren Tunnels.

"Satan And Women First" gibt sich versöhnlich mit der eigenen ruhmreichen Vergangenheit und kombiniert diese mit den ansprechenderen Elementen der letzten Tonträger. Klappt und wurde auch Zeit! Trotz vieler herausragender Einzeltracks in den letzten zehn Jahren: Endlich mal wieder ein geschlossenes Album. In gewisser Hinsicht markiert diese Teufels- und Frauenplatte die Rückkehr zum Songwriting; ein wenig fort von der mitunter auch auf Publikumsseite empfundenen Thomas Harris haften Verachtung. Dafür: Steckdosenmassaker, Kirmesmelodien und verstörende Lyrics. Die Wumpscut-Achterbahn geht los.

Mit "Hallellujah" eröffnet der Mann aus Gangkofen den fiesen Reigen. Fetter Floorbrecher mit rotierender Kugelblitz-Hook. Dazu ungewohnt zahm gezerrte Vocals. Besonders schön: Weibliche Gastvokalistinnen gab es oft. Hier endlich mal dramaturgisch wie melodisch dienlich eingesetzt und die passende Stimmlage gefunden.
Das Titelstück eröffnet hernach eine kleine, täuschend echte Kraftwerk-Tonfolge. Doch der öffentlichkeitssscheue Ex-DJ wäre nicht Ratzingers Rudy, so er auf den bequemen Epigonenzug spränge. Die analog-freundliche Spur landet ganz schnell im Abseits. Sie weicht stattdessen einem brachialen Monster der Klassikermarke "Corroded Breed". Veitstanz, Baby.

Wer die Düsseldorfer Rumpftruppe um Soloartist Ralf Hütter so dermaßen gekonnt zitiert, darf das ganz ohne Hybris auch bei sich selbst, so es taugt. Entsprechend baut Wumpscut das ohrwurmige Folgestück "Death Panacea" nahezu komplett auf der bekannten "Bunkertor 7" Soundscape auf. Der Song kann es sich leisten. Vor allem im letzten Drittel haut die schaurige dentalbohrerhafte Synthiehook samt einer famos abzählreimenden Gastsängerin dem sprichwörtlichen Faß den Boden aus. Die dunklen Tanztempel werden es lieben.

Gibt es denn anno 2012 gar keine Provokation? Oh doch, und was für eine! Auch mit mittlerweile 46 Jahren auf dem Buckel scheint dem guten Rudy der Spaß am Eulenspiegeln nicht vergangen. Jenseits von Scham, künstlichen Tabus oder Hemmschwellen rotzt Ratze den Reichsbedenkenträgern mal wider einen ordentlich blutigen Fleischknochen vor die verunsichert scharrenden Füße.

Sicher, von Gobbels Sportpalastrede bis zum Totmacher Fritz Haarmann hat er bereits so gut wie alles verwurstet, womit man deutschen Tugendwächtern Gramesfurchen auf die Stirn meißelt. "Kill That Little Fuck" geht dennoch einen Schritt weiter, vom bloßen Schockmoment zur kriminologisch unterfütterten Crimestory.

Sinister, abgründig und leider nur allzu realistischer Spiegel so mancher Menschenseele. Alle, die hart im Nehmen sind und nicht lediglich am kurzen Kick interessiert, lege ich diesen 'schlimmen' Song ans Herz. Ein Lied, dessen zum Teil gesamplete Passagen in verteilten Rollen Täter/Polizei/Hinterbliebene schon als reiner Text an die Nieren gehen.

Zwischen 'Psycho'-artiger Klangcollage und eingängigem Postindustrialhammer gibt RR smart den reflektierenden Profiler, ohne sich den Inhalt des Statements zu eigen zu machen. Große und extrem unbequeme künstlerische Leistung. Norman Bates sieht daneben aus wie ein freundlicher Pfadfinder aus Disneyfilmen.

Mit "Burial On Demand" und dem metronomen Lachsack "Blutsturz, Baby" gibt sich Onkel Rudy erneut in die musikalisch eher humoristische Ecke. Die fast Eurodance-artige Eingängigkeit zwischen Darkwave, Starkstrompumpe und Ballermann macht zwischen seinen Soziopathentracks absolut Sinn und funktioniert vor allem in den Clubs sicherlich prächtig.

Mein persönlicher Lieblingssong ist dennoch ein anderer: "Grobian". Ein Kracher, der sich genau so gut auf Klassikern wie "Bunkertor", "Embryodead" oder "Wreath Of Barbs" finden hätte können. Ein nur scheinbar oldschooliger EBMRhythmus trifft auf pure Destruktivität. Melodie und rhythmische Härte transportiert er dabei - wie in seinen besten Momenten der Vokaltracks - komplett über die vollkommen kaputte Stimme. Du hast schwarze Stiefel an. Bist der allergrößte Mann. Stehst nur da und siehst mich an. Du bist nur ein Grobian.

Zum ruhigen Ausklang dann noch die entspannt hypnotische Dunkelkammer "Enfer Noir". Das schwarze Fegefeuer wird allen das dunkle Herz erwärmen, die seit jeher seine Instrumentalstücke à la "Thorns" für die heimlichen Stars unter den :W:-Songs halten. Insgesamt ergibt sich seit vielen Jahren damit endlich wieder der herrlich böse Wumpscut-Spirit, ohne dass man dauernd die Skiptaste im Anschlag führen muss. Der olle Bürgerschreck ist sehr gut in Form und zurück. Hoffentlich bleibt diese Gluthölle kein kreatives Strohfeuer.

Trackliste

  1. 1. Hallellujah
  2. 2. Women And Satan First
  3. 3. Death Panacea
  4. 4. Kill That Little Fuck
  5. 5. Burial On Demand
  6. 6. Grobian
  7. 7. Enfer Noir
  8. 8. Blutsturz, Baby
  9. 9. Cunnilingus Creutzfeuer
  10. 10. Kaufe Deine Seele

Preisvergleich

Shop Titel Preis Porto Gesamt
Titel bei http://www.amazon.de kaufen Wumpscut – Women and Satan First €10,99 €3,00 €13,99
Titel bei http://www.amazon.de kaufen Wumpscut – Women and Satan First (Limited Boxset inkl. 2 CDs, Flagge, T-Shirt etc.) €99,99 Frei €102,99

Videos

Video Video wird geladen ...

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT :Wumpscut:

"Dies ist dein Ende und ich werde es lieben, zu weiden dich aus am Bunkertor 7". Solch wenig lebensbejahende, aber umso prägnantere Weisheiten streut …

15 Kommentare

  • Vor 12 Jahren

    Nö, in den Rap Freds posten auch immer so Deppen wie lauti und Sancho! ;)

  • Vor 12 Jahren

    @Craze: Ich wollt's einfach auch mal sagen können :)

  • Vor 12 Jahren

    @stummerzeuge (« üff, Sati und Craze spielen im Chat grad lauti und Blocki - zu niedlich die kleinen Kopfgefikkkten Lauchs.. Naja. Sati, der Typ hält sich für ganz toll und labert bekackten Mist, das wird man dann auch so formulieren dürfen. Und jetzt geh weiter an Craze´s Nudel saugen, Du Honk. »):

    derlei unflätigkeiten kannste gern in den hiphopthreads ablassen, wertester. im reich der finsternis wird solch ein burschikoser tonfall nur sehr ungern gesehen. zumal ich mich euren themen auch nicht so nähere.
    not amused!
    ich ersuche die herren um ein mindestmaß an würde. alles andere ist 'lulu' oder 'doubletime'.
    ich danke und ...äh....'whut'.... :absinth: