laut.de-Kritik

Ein Trailer für den Film des Jahres, der nie erscheinen wird.

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Neun Minuten. So lange huldigt der vielleicht kontroverseste Rapper des Jahres der Heiligen Nacht. Nicht, dass diese fünf Skizzen von Songs irgendetwas mit Weihnachten zu tun hätten, aber "A Ghetto Christmas Carol" gibt es zumindest bei DatPiff aufs Haus. Es könnte das letzte Lebenszeichen von XXXTentacion für eine ganze Weile darstellen.

Wie er jüngst in einer Instagram-Story berichtete, steht dieser Tage der Gerichtstermin an, der über die Zukunft des jungen Mannes entscheiden wird. Bis zu fünfzehn Jahre könnte X danach einsitzen. Wenn man sich ansieht, was ihm so alles vorgeworfen wird, käme einem das auch nicht ungerecht vor.

Was macht der Kerl also in diesen neun Minuten? Erst zeigt er fünf Minuten geballt, was für ein absurdes Potential in ihm steckt, dann folgen vier Minuten unkoordiniertes Freestyle-Geschrei. Frei nach dem Motto "Furzen, dann den Raum verlassen". Rein geht es mit dem Titeltrack, einem sphärischen, passioniert besungenen Trap-Banger, der auf exzellentem, psychedelischem Ronny J-Synthesizergerüst einen ziemlich eingängigen Flow etabliert. Variation braucht das nicht, denn nach neunzig Sekunden bricht der Titel auch schon wieder ab.

Dann: Donald Trump-Sample. Ein Instrumental vom legendären J Dilla, und XXXTentacion tut all das, was seine größten Verfechter ihm je zugetraut haben: agil und anspruchsvolle Raps mit tödlich eingängiger Uptempo-Passage, und trotzdem intensive, authentische Vocal-Delivery. "Hate Will Never Win", und solche Lyrics: "I'll follow you down road / To this broken-hearted love for you / My heart has gone as still as a corpse / Never mind me while I sit and pretend to make amends." Aufrichtig, authentisch, reflektiert, überraschend nuanciert formuliert. Das ist verdammt nochmal großes Tennis - und nach neunzig Sekunden zuende.

"Indecision" setzt dieser Kurve noch einmal die Krone auf. Das könnte so eins zu eins ein Song aus der Punk/Nu Metal-Ära sein: melodramatisches Gesäusel, das sich auf einem industriellen Gitarrenloop (diesmal sogar komplett ohne Trap-Perkussion) in einen wiederholten Schrei steigert. "I quit / I quit / I quit / I quit!"

Mit diesen drei Nummern haben wir jetzt also die durchschnittliche Länge einer Single erreicht und stabile drei große musikalische Bewegungen der Dekade mit Bestnote abgedeckt: hypnotischer Trap-Banger, lyrischer Oldschool-Revivalist und intensiver Emo-Trap. Die anderen beiden Titel bestehen vor allem aus übersteuertem Bass und unelegantem Geschrei, die darf man also eigentlich auch beherzt übersehen.

Was macht man da jetzt also draus? Hätte der Kerl sich zwischen peinlichem Öffentlichkeits-Gehabe und der Bürde, ein ziemlich furchtbarer Mensch mit ein paar guten Intentionen zu sein hingesetzt und sein Potenzial zu einem echten Album mit ganzen Songs gemacht, wir schrieben hier ganz andere Artikel. Man dachte ja schon, das Debüt "17" sei eine zerschredderte Demo-Deponie gewesen.

Frustrierend. Schwer, ein sinnvolles Fazit auf diese Obskurität im Raster der kontroversen Absurditäten zu finden, die XXXTentacion der Welt in diesem, seinem Jahr zugemutet hat. "Hate Will Never Win" sei noch einmal nachträglich für die Rapsongs des Jahres nominiert, beim Rest sollte man vielleicht doch lieber auf die Vollversionen warten. "A Ghetto Christmas Carol" zeigt zu viele Stärken, um ganz ignoriert zu werden, versandet dann aber wohl am Wesen seines Autors. Eine EP, wie der Trailer für den Film des Jahres. Nur, dass der vermutlich nie erscheinen wird. It's a shame.

Trackliste

  1. 1. A Ghetto Christmas Carol
  2. 2. Hate Will Never Win
  3. 3. Indecision
  4. 4. Red Light
  5. 5. Up Like An Insomniac (Freestyle)

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