laut.de-Kritik

Der Mexikaner spielt sein Potential beharrlich nicht aus.

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Respekt zu haben, im Sinne von Ehrfurcht, ist oft keine gute Idee – Alan Palomo könnte dies trotzdem gebühren. So begründete er mit Chillwave nicht nur ein (Sub-) Genre, sein Album "Era Extraña" zählt zu den besten der Zehner-Jahre. Nach dem zwiespältigen "Vega Intl. Night School" von 2015 hörte man (mit Ausnahme eines einzigen Tracks 2019) über acht Jahre nichts mehr vom texanischen Mexikaner.

Nun kehrt er ohne seinen Moniker Neon Indian und ohne Begleitband und bis auf wenige Features sowie vereinzelte Co-Produzenten alleine zurück: "World Of Hassle" entsprang komplett Alan Palomos Kopf und Händen. Zwar betont er, dass Neon Indian nicht tot sei, er habe aber - wie einst Sting - nicht widerstehen können, ein Album unter eigenem Namen als Befreiungsschlag zu veröffentlichen.

Das Cover scheint direkt dem Videogame "L.A. Noire" entsprungen und wirkt gleichzeitig stilsicher und kitschig, vor allem dank der nur mäßig lustigen Schlagzeilen. "The Wailing Mall" als Opener springt mit einem ähnlich unlustigen Wortwitz ins Auge und offenbart direkt einen weiteren Fakt: Mit Neon Indian hat der Sound von "World Of Hassle" zunächst nicht so viel zu tun, nur wenige Synthesizer erkennt man wieder.

Der Song ist eine Art sleazy 80er-Fiebertraum. Anders als früher steht nicht die catchy Melodie im Vordergrund, sondern Palomos Vocals sowie die Atmosphäre des Songs. Erst zum Ende hin schält Palomo einen tanzbaren Popsong aus dem ganzen Neo-Noir-Kaugummi. Hätte "Cyberpunk 2077" einen Schwarz-Weiß-DLC, wäre dieser Song der perfekte Soundtrack.

Palomo erwähnte im Vorfeld der Veröffentlichung, dass er sich viel mit Cohen in seiner "I'm Your Man"-Ära auseinandergesetzt habe - das merkt man auch. Nun gibt es viele gute Gründe, weshalb Cohens Schaffen zu dieser Zeit wohl bis heute zu den in ihrer Qualität umstrittensten Perioden gehört. Kälte, wo Wärme war, Zurückhaltung, wo Dynamik war, Kontrolle, wo Loslassen war und vor allem ein Ansatz, der Spärlichkeit und eine Wall of Sound auf seltsame Art und Weise verband.

Ein Stück weit geht Palomo so den Weg von "Vega Intl. Night School" weiter, nur eben mit acht Jahren Abstand - aber zumindest auf "Meutrière" mit dem weiterhin vorhandenen Willen zur Party. Palomo wollte eine Platte mit Humor veröffentlichen, dieser ist aber schwer zu identifizieren. Schließlich könnte "Meutrière" eine Satire sein, so krass drüber wirkt das alles. Das soll aber nicht heißen, dass der Track schlecht wäre: Bei dem Beat nicht zu tanzen, ist ein wirklich ein schwerer Job. Und bei diesem Saxofon klopfen die Softpornoproduzenten vermutlich schon für die Rechte an.

Das spanischsprachige "La Madrileña" klebt an jeder Stelle, und so verkopft Palomo seine Lyrics präsentiert, so schnöde fallen sie im Endeffekt auch aus. Ob die Träumerei nun von surrealistischen Schriftstellern inspiriert ist, interessiert halt nur mäßig, und gerade satirische Texte müssen besonders interessant sein, statt einfach nur zu persiflieren. Bei "Nudista Mundial '89" darf dann Indie-Darling Mac DeMarco ran, der aber eher blass bleibt. Acht Jahre warten, und dann kommt ein Kinder-Keyboard-Beat heraus, den auch Ross von "Friends" hätte programmieren können. Danach folgt "The Return Of Mickey Milan", was man aber kaum mitkriegt, so ähneln sich die Songs.

Man könnte förmlich wütend werden, wie Palomo sein nachgewiesenes Potenzial beharrlich nicht auspielt. "Stay-At-Home DJ" bleibt maximal eine Songidee, "Club People" mit Quietsche-Sax nicht mal das. Frustrierend ist darüber hinaus, dass er sich hier überhaupt nicht neu erfindet: Der Mexikaner hat manche Elemente seiner früheren Musik einfach bis ins Karikaturenhafte überzogen, ohne neue hinzuzufügen oder eine Balance zu finden. Jeder Song fühlt sich gleichzeitig leer und vollgestopft an, "World Of Hassle" ist überproduziert und verkrampft.

"Alibi For Petra" und "Nobody's Woman" verdienen keiner Erwähnung, erst mit "Is There Nightlife After Death?" beginnt man wieder eine Ahnung davon zu bekommen, wo Palomo mit der Scheibe eigentlich hinwollte - ein zumindest in der ersten Hälfte kohärenter Track, in dem Alans Sehnsucht glaubhaft rüberkommt. "Big Night Of Heartache" beginnt ebenfalls vernünftig, driftet dann aber wirr ab. "The Island Years" ähnelt den beiden Songs wiederum, und außer Gestöhne und Panflöten gibt es keine Ideen.

So veröffentlicht der 35-Jährige, der immerhin schon zwei geniale Platten vorgelegt hat, nach acht Jahren Pause prätentiöse und vor allen Dingen langweilige Musik. Frustrierend, weil man selbst hier merkt, dass er es so viel besser könnte.

Trackliste

  1. 1. The Wailing Mall
  2. 2. Meutrière (featuring Flore Benguigui)
  3. 3. La Madrileña
  4. 4. Nudista Mundial '89 (featuring Mac DeMarco)
  5. 5. The Return of Mickey Milan
  6. 6. Stay-at-Home DJ
  7. 7. Club People
  8. 8. Alibi for Petra
  9. 9. Nobody's Woman
  10. 10. Is There Nightlife After Death?
  11. 11. Big Night of Heartache
  12. 12. The Island Years
  13. 13. Trouble in Mind

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