"Schuld war nur der Bossa Nova,
Was kann ich dafür.
Schuld war nur der Bossa Nova,
Bitte glaube mir.
Denn wer einen Bossa Nova tanzen kann,
Dann fängt für mich die große Liebe an.
Schuld war nur der Bossa Nova,
Der war Schuld daran"

Mit der deutschen Version von "Blame It On The Bossa Nova" (Eydie Gorme) singt sich Manuela 1963 auf Platz eins der deutschen Charts. Während das Wirtschaftswunder brummt vertreibt sich das unterhaltungssüchtige Volk in den Amüsiertempeln der goldenen Ära die Zeit. Und was ist dort der neueste Schrei? Genau! Bossa Nova!

Zum relaxten Groove schwappt mit der Bossa-Flut auch gleich der dazugehörige Tanzstil über den großen Deich. Zahlreiche Magazine widmen sich der 'neuen Welle' (wie Bossa Nova neben 'neuer Beat' und 'neue Sache' auch übersetzt wird), und drucken die dazugehörigen Schrittfolgen ab.

Ob es sich nun um die Bossa Nova oder der Bossa Nova handelt sei mal dahin gestellt, denn es verhält sich wie mit Butter, die je nach geografischer Herkunft weiblich oder sächlich ist (beides ist erlaubt). Wer mag, kann ja zwischen die Bossa Nova (als Musikstil), der Bossa Nova (als Tanz) und dem Bossa Nova als Bewusstseinszustand, den der Bossa-Theoretiker Ronaldo Bôscoli propagiert, unterscheiden.

Sicher ist, dass der neue Sound sich Anfang der 50er gleichzeitig in Brasilien und den USA zusammen braut. Zu dieser Zeit beginnen Musiker in Amerika mit lateinamerikanischen Rhythmen zu experimentieren. In Brasilien setzt man sich mit den aktuellen Jazzentwicklungen auseinander und so kommt es, dass Samba und Cool Jazz eine Ehe eingehen, die bis heute ein glückliches und zufriedenes Beieinander zelebriert.

Antônio Carlos Jobim ("The Girl From Ipanema"), Baden Powell, Luiz Bonfá, Astrud und João Gilberto sitzen in Brasilien auf dem Standesamt und gelten, neben Charlie Byrd und Stan Getz, die in Amerika den Traualtar wienern, als Begründer des Genres. Gegen Ende der Dekade verzeichnet das potente Traumpaar die ersten ernst zu nehmenden Geburten. Das 1959 von A.C. Jobim und João Gilberto veröffentlichte "Chega De Saudade" gilt als eine der ersten wichtigen Kompositionen des Bossa Nova.

Dazu folgende Anekdote von Zeit-Redakteur Josef Engels: "Wenn man es 1958 als Musiker in Brasilien zu etwas bringen wollte, musste man zunächst den Markt in São Paulo erobern. Dort hatte die Schallplatten- und Elektronik-Kette Lojas Assumpção mit ihren Filialen das Sagen. Als ihr Geschäftsführer Álvaros Ramos im Spätsommer 1958 die Single eines vielversprechenden neuen Künstlers auf den Tisch bekam, war die Reaktion jedoch katastrophal. "Warum nehmt ihr jemanden, der erkältet ist?", knurrte Ramos. Er nahm die Schellackplatte vom Spieler - und zerschlug sie an der Tischkante. "Das ist die Scheiße, die wir aus Rio kriegen." Ramos hielt nicht lange an seinem Urteil fest. Als ihm der Sänger mit dem vermeintlichen Rachenkatarrh persönlich vorgestellt wurde, war er sehr von ihm beeindruckt und nahm die Platte doch in den Handel. Ihr Titel: Chega de Saudade, zu Deutsch Nie wieder Sehnsucht. Ihr Interpret: João Gilberto. Ihre Folge: eine Revolution. "Später stellte sich heraus, dass keine andere brasilianische Platte so viele Menschen dazu inspirierte, singen, komponieren oder ein Instrument – genauer gesagt: Gitarre – spielen zu wollen", schreibt der Journalist Ruy Castro in seinem Buch, das 1990 unter eben diesem Titel in Brasilien erschien: Chega de Saudade." In Deutschland ist Castros Buch seit einiger Zeit unter dem Titel "Bossa Nova - Eine Geschichte der brasilianischen Musik" erhältlich. Die parallel zu dem Buch erscheinende und von Ruy Castro zusammengestellte CD "Bossa Nova - The Sound Of Ipanema" liefert den passenden Soundtrack.

Der internationale Durchbruch gelingt dem neuen Stil 1962. Charlie Byrd spielt mit Stan Getz das Album "Jazz Samba" ein. Von nun an gibt es kein (kommerzielles) Halten mehr und die Bossa Nova setzt zum finalen Sieg an. Im Zentrum des Geschehens: Eine sanfte Stimme, smoothe Grooves, Jazzharmonik und eine virtuose, akustische Gitarre. Die Details der gerne synkopierten Melodik, der komplizierten harmonischen Struktur oder des oft mit Besen erzeugten Grundrhythmus, der sein wichtigstes Element, den Clave-Beat, umspielt, sollen an dieser Stelle ausgespart bleiben.

1964 verändert der Militärputsch das politisch-gesellschaftliche Klima in Brasilien maßgeblich und viele Musiker sehen sich gezwungen, ihr Land zu verlassen. Sie emigrieren in die USA, wo sie sich noch ausgiebiger mit dem Jazz der westlichen Welt auseinander setzen und die Bossa Nova zu ihrer Blüte treiben. Die amerikanischen Stars dieser Zeit liefern sich gleichfalls aus und neben Ella Fitzgerald veröffentlicht auch Frank Sinatra (gemeinsam mit Antônio Carlos Jobim, 1966) einen Höhepunkt der Bewegung.

Die Wogen glätten sich gegen Ende der 60er. Übrig bleiben solch gewaltige Evergreens wie "Girl from Ipanema", "Desafinado", "Mas Que Nada" oder "One Note Samba". Ganz verebbt ist die 'neue Welle' jedoch nie und so gehört der Geist der Bossa Nova bis heute zum Repertoire der Popmusik. Steely Dan profitier(t)en von diesem Geist ebenso wie Sade, Al Jarreau und viele andere.

In den 90ern entdeckt die frickelaffine Produzentenjugend den Sound wieder und interpretiert, auf der Grundlage von moderner Studiotechnik, in zahlreichen Remixes die Originale von einst. Als Brasilectro erobert die Bossa Nova erneut die Herzen der Europäer und vor allem der Europäerinnen. Easy Listener wie De-Phazz oder die Dancefloorspezialisten von Thievery Corporation nehmen sich ihrer an, und auch die Musikerinnen und Musiker des MPB (Bebel Gilberto, Luciana Souza u.a.) entwickeln sie weiter.