"Auf der winzigen Bühne schlagen zwei Gitarristen in die Saiten, metallisch und dramatisch klingt die portugiesische Gitarre, sanfter und dunkler die spanische. Eine ältere Frau schlurft langsam auf die Bühne. Sie legt ihr schwarzes Schultertuch um, schließt die Augen, reckt die Hände gen Himmel und beginnt ein klagendes Lied. Vom Schicksal singt sie, dem man nicht entrinnen kann, wie sehr man sich auch dagegen aufbäumt. Von Verlust und Liebesschmerz, von immerwährender Trauer, von Armut und Tod. Voller Herzblut intoniert die Sängerin die Litanei der ewigen Klage, den Fado" (Folker, 2008).

Fado und Saudade, die portugiesische Variante jenes Weltschmerzes, der auch in der melancholischen und wehmütigen Sehnsucht des Blues seinen Ausdruck findet, sind untrennbar miteinander verwoben. "Manche sagen, der Fado sei der portugiesische Blues, und mein Volk hat tief im Inneren tatsächlich einen Hang zur Melancholie", bestätigt Mariza. "Damit will ich nicht sagen, dass wir Portugiesen alle depressiv und traurig sind, aber es hat sich eine gewisse Nostalgie in unseren Herzen eingenistet. Wenn man den Fado singen will, ist das sehr hilfreich."

Saudade schaffte es 2007 übrigens in der Liste der weltschönsten Worte auf Platz 6. Die Zeitschrift 'Kulturaustausch' des Instituts für Auslandsbeziehungen ermittelte seinerzeit als schönstes Wort das türkische Yakamoz, "die Widerspiegelung des Mondes im Wasser". Platz zwei belegt das chinesische hu lu (schnarchen), gefolgt von dem aus Uganda stammenden volongoto (unordentlich, chaotisch). Aus Deutschland wurden zwar Heilbuttschnittchen, Kladderadatsch, Quarkkrapfen, Schienenersatzverkehr und Tohuwabohu eingereicht, konnten aber keinen Top 10-Platz ergattern. Ebenso wenig wie das schweizerdeutsche Chuchichäschtli. Aber ich schweife ab ...

Die genauen Ursprünge des Fado sind nicht eindeutig nachzuweisen und es kursieren verschiedene Gerüchte. Glaubwürdig erscheint die Herleitung, der Fado gehe auf afrobrasilianische Musikformen wie Fofa oder Lundum zurück. Einwanderer aus der ehemaligen portugiesischen Kolonie Brasilien, die seit 1822 unabhängig ist, exportierten ihre musikalische Kultur zu ihren Kolonialherren, heißt es. Durch die Fusion mit portugiesischer Volksmusik sei schließlich der Fado entstanden.

Die erste namhafte Fado-Künstlerin ist Maria Severa (1805-1871), die die Entstehung des Stils maßgeblich beeinflusst. Zu der älteren Garde zählen weiterhin Fernando Machado Soares (geb. 1938), Carlos Paredes (1925-2004) und natürlich Amália Rodrigues (1942-1999). Sie ist es, die mehr als fünfzig Jahre den Lissabonner Fado verkörpert wie keine andere. "Beim Fado kommt es einzig auf die Seele an. Ich höre, ob jemand sie beim Singen entblößt", formuliert sie die grundlegende Qualität der Fadistas.

Ebenfalls Amália Rodrigues zu verdanken ist: die Hoffähigkeit des Fado. Denn entstanden ist der Fado in den Armen- und Prostituiertenvierteln von Lissabon. Er war die Musik der Seemänner und Zuhälter. Amália Rodrigues befreite den Fado von seinem Schmuddel-Image und brachte ihn in die Konzertsäle. Als sie 1999 stirbt, wird von ganz oben eine dreitägige Staatstrauer angeordnet.

"Man darf nicht vergessen, dass der Fado immer einen Platz in den Herzen der Portugiesen hatte. Und das Herz reißt man nicht einfach so raus, auch wenn man ihm manchmal nicht zuhört", kommentiert Mariza das Anfang der 90er einsetzende erneute Interesse am Fado. Zu den Vertreterinnen und Vertretern der jüngeren Generation gehören Cristina Branco, Mísia, Ana Moura, Camané, António Pinto Basto, Telmo Pires, Dulce Pontes, Deolinda und Madredeus.

Wer will, kann zwischen dem Fado Professional und dem Fado Vadio unterscheiden. Abgesehen von der professionellen Bühnenvariante, kann man den originalen Fado, der "seine Seele auf der Zunge trägt," auch heute noch in Lissabon erleben. Dort wird er in den Lokalen gesungen, spontan und aus einem bestimmten Gefühl heraus: der Saudade!