Peter Wicke - "Rammstein: Provokation als Gesamtkunstwerk"
Worum gehts?
Na, das war ja klar: Ein Buch für die Jetzt-erst-recht-Fanarmee musste ja auch noch kommen. In Zeiten, in denen Rammstein aus ekelhaftesten Gründen in den Schlagzeilen und ihr Frontfritze Lindemann - uäch! - in aller Munde war, konnte man ja runterzählen, wie lange es dauert, bis es soweit ist. Bei Hannibal haben sie jedenfalls keine Skrupel, mit dem Thema abzukassieren. Der Autor drückt dem Verlag im Vorwort explizit seinen Dank dafür aus, dass er seine Auslassungen über die Band, die er einst in Reclams "100 Seiten"-Reihe veröffentlichte, nun auf ein der Kapelle angemessenes Format aufblasen darf.
Der Promotext dafür spricht von "bildgewaltigen Bühnen-Exzessen", "die skandalträchtigen Tabubrüche und die alle Grenzen niederreißenden, hochgradig sexualisierten Gewaltfantasien spielen virtuos mit den Empörungsreflexen der Öffentlichkeit". Angesichts dessen, im Verbund mit der Ankündigung, die Künstler kämen ausgiebig zu Wort, um zu erklären, was sie antreibe, "mit ständig neuen Provokationen gegen den moralinsauren Zeitgeist zu Felde zu ziehen, den eifernden Verfechtern und woken Sachwaltern der political correctness ihre brachialen Riffs an den Kopf zu werfen", war eigentlich klar, was zu erwarten stand: der übliche Cocktail aus Verschwörungsmythen, Täter-Opfer-Umkehr und Victim-Blaming.
Aber nur die Harten kommen in den Garten, ne? Ich hab' also dem erstmals im ersten Kapitel, in der Folge in Schüttelfrost-Frequenz auftretenden Reflex widerstanden, dieses Buch im nächstbesten Morast zu versenken. Stellt sich raus: Wir kriegen tatsächlich ordentlich Heldenverehrung, gewickelt in die inzwischen tausendfach gehörten Rechtfertigungs-Salbadereien über Vorverurteilungen, mit Füßen getretene Unschuldsvermutungen und angebliche mediale Hetzjagden. Naja. Die Hallen sind voll, die Kassen auch. Für bedauernswerte Opfer links-schneeflockiger Cancel-Kultur und einer Legion famegeiler Groupienutten, die sich an ihre Helden heranwanzen, um hernach Ruhm und Geld abzugreifen, stehen Lindemann und Konsorten erstaunlich unbeschadet da.
Eingeständnis: Es KANN sein, dass dieses Buch wider jede Erwartung auf den letzten Metern noch zu irgendeinem Hauch kritischer Einordnung findet. Ich habe auf Seite 155 aufgegeben. Angesichts der Kapitelüberschrift "Für uns sind das Liebeslieder - Romantik auf die harte Tour" musste ich dann echt kotzen.
Wer hats geschrieben?
Peter Wicke, geboren 1951 in Zwickau, ist promovierter Musikwissenschaftler und inzwischen Emeritus der Berliner Humboldt-Universität, er gründete dort ein Forschungszentrum für populäre Musik, dem er als Direktor vorstand. Neben wissenschaftlichen Publikatinen verfasste er zahlreiche Bücher über Rock und Pop, zuletzt die erwähnten "100 Seiten", ebenfalls zum Thema Rammstein.
Wer solls lesen?
Die Kolleg*innen von der NMZ nannten dieses Buch "Gesamtkunstwerk mit Pimmel". Wer sich davon angezogen fühlt: nur zu.
Das beste Zitat:
"Regelmäßig beginnen die Empörungsroutinen auf Hochtouren zu laufen, sobald die Band von sich hören lässt. So auch im Sommer 2023, nur dass diesmal nicht die Band Regie führte, sondern jene Printmedien, die sich zu Sprachrohren des woken Zeitgeists gemacht hatten. Über Monate arbeiteten sich die sogenannten 'Qualitätsmedien' unter Schlagworten wie 'System Row Zero' und 'Casting-System' in einer in dieser Form beispiellosen Medienkampagne daran ab, den Frontmann der Band in einem handfesten MeToo-Skandal zu demontieren und bei dieser Gelegenheit gleich die ganze Band im Dunstkreis des Sexualstrafrechts und in den Untiefen eines Moralsumpfs zu entsorgen. Das von den Medien gesetzte Narrativ, Till Lindemann betäube junge Frauen mit Drogen, um sich dann an ihnen zu vergehen, ist auf Biegen und Brechen bedient worden, obwohl ..."
... und so weiter, und so fort.
Wertung: 1/5
Text von Dani Fromm
Trotzdem kaufen?
Mein Herzebeileid, selbst schuld. Aber ihr seid ja schon groß:
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