Seite 2 von 24

Aberwitzig unkritische Zielgruppe

An sich: Das ist ein geiler Punkt, den Alligatoah auf "Nebenjob" macht und den er auch textlich und stimmlich stark herausarbeitet. Ob man mit dem minimal-akustischen Stil jetzt warm wird oder nicht, ist ja letzten Endes subjektiv - ich bin fürs Erste einfach froh, dass er einmal wieder Trackthemen hat, zu denen die nebulöse Person hinter der Musik zumindest irgendeinen Bezug zu haben scheint.

So viel vom Material seiner letzten paar Alben war seichte, kantenlose Popmusik, die zu irgendeinem x-beliebigen Thema das erste Dutzend Wortspiele aufgeschrieben hat. Nicht, weil ich noch einmal über "Mit Dir Schlafen" lästern möchte, aber der Song personifiziert für mich alles, das ich von Alligatoah nicht hören will: Der Text ist bemüht, richtigen Inhalt gibt es keinen, und hinter dem beeindruckenden Fakt, dass Alligatoah Produktions-mäßig alles selbst macht, kommt halt trotzdem Musik heraus, die 100 Prozent nach Formatradio klingt.

Also, Diagnose: "Nebenjob" zeigt eine ganz klare Steigerung. Und wie reagiert die Fangemeinde? Interessanterweise - gar nicht. Egal, wo man schaut, man liest zwar rege Beschwörungen, dass Alligatoah in zwanzig Jahren im Deutschunterricht drankommen müsse und dass er ja ein Jahrtausendkünstler der deutschen Sprache sei, nur über den Song spricht eigentlich keiner. Dabei kommt mir gerade der zweite Part gar nicht so unkontrovers vor: die Beziehung zwischen links-intellektueller Theorie und einer Praxis von armen arbeitenden Menschen in Deutschland, die schockierend wenig zueinander finden, hat ja mehr Implikationen als den Aufruf, Trinkgeld zu geben. Aber juckt irgendwie nicht.

Alligatoah hat es, wie auch immer, geschafft, sich eine aberwitzig unkritische Zielgruppe aufzubauen. Die hat nicht nur dankbar hingenommen, dass er jetzt in Begriff steht, vermutlich das vierte Mal ein Album zu veröffentlichen, das im Grunde genommen nur noch einmal "Triebwerke" mit etwas weniger eingängigen Hooks ist, sondern das sogar aktiv befeuert. Wenn ein bisschen Akustik-Gedudel, eine Gesangshook und zumindest eine Andeutung von Klugheit herauszuhören sind, ist das Produkt gekauft. Was genau er dann sagt (oder ob überhaupt etwas), ist eigentlich egal.

Cool, wenn dieser Status allen Beteiligten so gefällt. Aber für mich erklärt sich so nur, warum sich die Hoffnung auf ein richtig spannendes Album von Alligatoah in den letzten Jahren trotz allen Potentials nicht im Ansatz erfüllt hat.

Seite 2 von 24

Weiterlesen

3 Kommentare mit 2 Antworten