Doubletime: Xaviers Armee der Finsternis

Das Capital Bra-Hyperpop-Theorem

Lasst mich also drei Thesen vorlegen, warum "Paradise (Le le le)" der perfekte Ableger für deutschen Hyperpop ist:

1. These: Im Gegensatz zu britischem Hyperpop, der eine spezifische Konsumkultur und Werbe-Ästhetik persifliert, macht dieser hier das beste aus genuin deutschen Elementen. Wir haben im Mainstream keinen coolen Techno, wir haben Scheiß-House. Wir haben keine Popstars, wir haben Rapper, so zugeschissen und high auf ihrem eigenen Erfolg, dass sie nicht einmal mehr so tun, als gäben sie einen Fick. Aber auch die Details: Golfcarts, Influencer in einer hässlichen Villa, in der vermutlich gerade eine ProSieben-Show gedreht wird. Die zwei Dorf-DJs zwischen den unmotivierten Models, die nicht tanzen können, obwohl Leute-zum-Tanzen-Bringen ihr Job ist. Die Tatsache, dass die Dorf-DJs aussehen wie Start-Up-Unternehmer. Der beschissene Comedy-Interlude. Alles hieran ist die perfekte Übersteigerung davon, was deutschen Pop scheiße macht. Und genau dadurch wird es wieder gut.

2. These: Die Hook-Frau ist ein Mensch, der wirklich existiert. Ihr Name ist Leonie Burger, Bekanntheit erlangte sie über eine RTL-Talentshow. Sie hat die Lyrics "Need you to hold me / Need you to touch me / I need to know that it's gonna be us again / Who's gonna save me" irgendwann ernsthaft eingesungen, nur damit sie für Capital Bras "Le le le"-Techno-Song verbraten werden. Näher kommen wir an eine völlig virtuelle Sängerin nicht heran. Schlimmer noch: Offiziell samplet dieser Song "I Gotta Feeling" von den Black Eyed Peas. Sagt das nicht alles?

3. These: Jedes Element funktioniert gerade so, und die Erkenntnis, diesen Typen beim völligen Darauf-Scheißen zuzusehen und zu bemerken, dass es trotzdem irgendwie ein Banger ist, emuliert die Erfahrung des existenziellen Alptraums eines Lebens im Hyperkapitalismus. Das ist der Song, zu dem irgendwer von Euch betrunken abgehen wird und am nächsten Morgen wünscht, diese Episode vergessen zu können. Und wir wissen alle: Irgendwann wird Corona vorbei sein, es wird zwei Uhr morgens sein, wir werden auf einer Party sein, der wir nur zu 50 Prozent vertrauen, aber den Ort zu wechseln lohnt sich nicht mehr, nach den Backstreet Boys wird der aberwitzige DJ das hier anmachen - und wir werden nur zwei Chancen haben: fliehen oder uns darauf einlassen. Und das wird der Moment sein, in dem wir erschrocken über uns lernen werden, dass wir es irgendwie geil finden. Oh, welch Lovecraftsche Erfahrung das wird.