Die Queen of Pop hält Hof in Europa und traut sich in einer hochgradig sexuell aufgeladenen Show stimmlich viel zu.
Berlin (fma) - Vor der Berliner Mercedes-Benz-Arena parken bei großen Konzerten die LKWs direkt neben dem Stadion, auf der Straße, über die auch die meisten Besucher:innen ankommen. Wer versuchte, von der S-Bahn zur Arena zu gelangen, der musste über Glatteis schlitternd zwischen zahlreichen Brummis hindurch navigieren, denn Madonna, die Queen of Pop, war mit einem ganzen Hofstaat angereist. Die LKWs reihten sich entlang der gesamten Breite der Arena auf, und so wurde schnell klar: Hier wird geklotzt.
Der Gig gestern Abend: ausverkauft - was allerdings nicht für das zweite Berlin-Konzert der Ciccone heute gilt. Madonnas letzter Auftritt in der Hauptstadt ist auch schon wieder acht Jahre her - und die "The Celebration-Tour", die vier Dekaden Madonna feiert, umweht natürlich einen potenzieller Hauch von Abschied. Zwei Tage verbringt die Amerikanerin in Berlin, bevor der Tross nach Amsterdam weiterzieht.
Die 12.000 Fans weisen durchschnittlich ein etwas gesetzteres Alter auf. Und es wird offensichtlich, welche Bedeutung die Ikone Madonna für Homosexuelle weltweit nach wie vor besitzt: Mindestens ein Drittel des Publikums besteht aus männlichen Pärchen. Vermutlich dem Alter und dem Berliner Frost geschuldet, fällt die Kostümierung des Publikums aber fast schon auffallend konservativ aus: Fast keine Drag Queens, zwei, drei Schleier und einige wenige Ganzkörperkostüme bilden die vereinzelten Farbtupfer. Ein krasser Kontrast zur Bühnenshow, in der die Tänzer:innen ihre Outfits gefühlt im Minutentakt wechseln und dabei immer irrere Kreationen zwischen Pirat, Swinger-Party mit Mad Max-Motto und Mönchskutte auffahren.
Erst warten - dann: Sex, Sex Sex
Bis gegen 20:30 Uhr heizt ein DJ ein, dann soll eigentlich Madonna die Bühne betreten. Es folgt: nichts. Wie bei ihren Konzerten seit vielen Jahren üblich, lässt sie das Publikum erst mal warten - und warten - und warten. Anders als noch in Köln buht heute aber niemand: Hier scheint es wichtig zu sein, cool Bescheid zu wissen, dass sowas passieren kann. Die Dame ist immerhin die Königin!
Knapp zwei Stunden später ist es dann an Madonnas stimmgewaltiger Bob the Drag Queen-Einheizerin, die Meute auf das Narrativ des Abends einzuschwören: Die kleine Madonna Louise Ciccone, die erst die Öde Detroits gegen NYC eintauschte, dann die Gitarre in die Hand nahm, um ihre Stimme zu finden (und nicht mehr pleite zu sein, wie Madonna selbst betont). Und vor allem: Sex ist geil, richtig geil sogar, und wie viele Leute ihn vor Madonna hatten, weiß niemand so recht. Sie ist die Sex-Maria, die endlich die Empfängnis befleckte und die Welt sexuell befreite. Es gibt Filmchen mit erfolgter Penetration, die weniger sexuell sind als diese Bühnenshow.
Madonna hat Bock
Der spätere Verlauf der Karriere spielt in diesem Erzählkonstrukt eine deutlich untergeordnete Rolle und wird weniger explizit im Bühnensetting untergebracht, etwa ihre Gegnerschaft zur Kirche. Neben den Anfängen spielt allerdings Madonnas Beziehung zur Schwulenszene der 80er eine wichtige Rolle, die man ihr emotional auch abnimmt. Die aufgefahrenen Fotografien von unter anderem Keith Haring, Freddie Mercury und Gabriel Turbin machen ihren Schmerz über die Verluste an die Seuche AIDS tatsächlich fühlbar.
Überhaupt nimmt man Madonna erstaunlich viel ab an diesem Abend: Dass sie Bock auf diese Tour hat, dass sie Bock hat, sich in abstrus engen Outfits mit 65 Jahren zu räkeln und Masturbationsszenen zu imitieren, dass sie Respekt vor ihrem eigenen Werk hat. Auch, dass das maulfaule, vor Ehrfurcht erstarrte Berliner Publikum auf quasi alles mit sturem Jubel reagiert und die Fragen zum Drogenkonsum gleich zwei Mal ungelenk und offensichtlich zur Unzufriedenheit der Bardin beantwortet. Der Kunstgriff, sich im Narrativ durch eine Tänzerin mit Kanye-artiger Gesichtsmaske selbst zu repräsentieren, wäre aber gelungener gewesen, wäre er kohärenter eingebaut worden.
Willkommen im SM-Dungeon
Die Show wartet mit diversen Bühnenelementen aus dem SM-Dungeon auf. Es brennt, Madonna schwebt gleich mehrfach, Laser fehlen ebenso wenig wie gigantische Videoboxen oder eine Modenschau und ein Bußgang auf der Bühne, selbst der King of Pop kommt vor. Madonna ist bemerkenswert gut in die Choreographie eingebunden, sie wird in ihren Bewegungen oft klug von den Tänzer:innen unterstützt. Eine gewisse leichte Hüftsteife wirkt eher sympathisch als störend, sie verleiht ihr gar mehr Würde und Gravitas.
Gibt es, was die Show angeht, keinerlei Beschwerden, gilt das für die Musik und vor allem den Sound nicht. Viele Songs werden nur in Medley-Manier angespielt und laufen in abgeänderten, bummsigeren Versionen, eine Band fehlt gänzlich. Die fürchterliche Anlage der Arena macht daraus ein ständig präsentes, dröhnendes Basswabern. Man erwartet fast, dass demnächhst MC Dälek oder MC Ride auf die Bühne hüpfen, so verzerrt präsentiert sich das akustische Bild.
Stimmlich stark
An Madonna liegt es abers nicht, im Gegenteil: Sie wird bemerkenswert wenig gesanglich unterstützt. Die ganz hohen Noten meidet sie noch zu Beginn, legt diese Scheu aber bald ab. Die Setlist lässt sich auf Spotify einsehen, die ganz großen Hits sind dabei, dennoch wirkt die Auswahl persönlich und spiegelt keine klassische Best-of wider. Dafür kommen manche Alben zu oft zur Geltung und manche gar nicht. Madonna traut sich stimmlich viel zu und hat die Songs trotz der Dance-Versionen problemlos im Griff.
Die Queen of Pop schont sich nicht im Geringsten, bis auf ganz wenige Verschnaufpausen ist sie in der atemlos rasanten Show omnipräsent. Ihre Tochter Mercy James überzeugt als Gastpianistin, und der Mutter ist der Stolz förmlich ins Gesicht geschrieben. Die stärkste Passage fährt sie aber im Western-Segment auf: Man merkt Madonna den Spaß an dieser Stelle und bei "Don't Tell Me" förmlich an. Der Rest ist blitzsauberes Handwerk, und beim chronisch schlechtgeredeten "Die Another Day" ist sie mit ganzem Herzen bei der Sache.
Nach zwei Stunden ist der Spuk dann vorbei, und man hat die 80er und 90er noch einmal durchlebt: An den besagten LKWs schlittern viele zufriedene Berliner:innen vorbei. Die Queen hat Hof gehalten.
Von Franz Mauerer.
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