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Die Ärzte: Die Aufregung um "Elke" (2)

Stattdessen fiel die nach strenger Selbstzensur klingende Aussage Urlaubs in der Facebook-Kloake auf den erwartet fruchtbaren Boden, und die Kommentarspalten-Zombies, die Political Correctness als letztes großes Feindbild begreifen, wetzten die Messer. Die Berliner seien heute eben "Wokeness-Opfer", "regierungstreue Ex-Punks", "Tagesthemenrocker" und "Mainstream-Spießer", früher provokant, heute irrelevant. Der Klassiker durfte natürlich nicht fehlen: "Sollen sie doch ihre Kohle zurückgeben, die sie in den letzten Jahrzehnten mit dem Song verdient haben." Ganz helle Blitzbirnen wie der "Berlin Tag & Nacht"-Darsteller Jan Leyk wollen laut Der Westen sogar im Stile der "Aktion Arschloch" von 2015 auch "Elke" in die Charts bringen, nur um die Reaktion der Ärzte zu testen. Ein Irrsinn.

Zur Erinnerung: Farin Urlaub tätigte die Aussage von der Bühne herab in Berlin, nachdem er die Fans aufforderte, sich Lieder zu wünschen. Auf den Wunsch "Madonnas Dickdarm" antwortete er etwa: "Kann ich nicht mehr spielen. Ehrenwort. Ich kann's nicht mehr spielen." Dann kam der "Elke"-Wunsch, woraufhin er antwortet: "Moment. Elke ist fatshaming, misogyn, das geht nicht mehr. Das gehört ins letzte Jahrtausend - wie wir." Der selbstironische Nachsatz fand sich übrigens in keinem der Berichte über den Boykott. Bela B. setzte noch nach: "Es gibt kaum noch Minderheiten, über die wir herziehen können ... Bademeister vielleicht." Die Aussagen kann man mittlerweile auf YouTube ansehen (siehe unten).

Statt eines reuevollen Eingeständnisses oder einer öffentlichen Distanzierung von einem alten Lied, was medial zum Boykott hochgejazzt wurde, handelte es sich in Wirklichkeit um eine Aussage im für die Ärzte üblichen flapsigen Live-Kontext, die nichts weiter als den Grund liefern sollte, warum der Song an diesem Tag in Berlin nicht mehr zu hören sein wird. "Elke" war schon 1988 auf dem Album "Das ist nicht die ganze Wahrheit" ein komplett überspitzter und auf Tabubruch angelegter Song. Urlaub schrieb ihn für zwei weibliche Verehrerinnen, die der Band nachstellten und sie mit Anrufen und Briefen belästigten. Da sie auch Fotos von sich schickten, wusste Urlaub, dass es sich um übergewichtige Frauen handelte. Er drohte ihnen am Telefon, einen Song über sie zu schreiben, wenn sie das Stalken nicht einstellten, und setzte dies schließlich auch um.

Dass die Band heute nicht mehr über eine übergewichtige Elke singen will, ist nicht nur ihr gutes Recht, sondern zeigt auch, dass man als Künstler das eigene Werk durchaus kritisch hinterfragen darf. Wer nicht als alter weißer Mann enden will, verzichtet eben besser darauf, auf Kosten anderer davon zu profitieren, einer zu sein.

Die Ärzte live:

06.09. Berlin, Metropol
08.09. Graz, Messe Open Air
10.09. Konstanz, Bodenseestadion
11.09. Mannheim, Maimarktgelände
15.09. Bad Hofgastein, Sound & Snow
17.09. Nohfelden-Bosen, Festwiese am Bostalsee

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