Paul Christoph Gäbler rollt den Werdegang der besten Band der Welt auf, aus der WG in die Wuhlheide, "von der Skandalband zum Kultstatus".

Berlin (dani) - Wenn ein Fan ein Buch über seine Lieblingsband schreibt, kann das leicht ins Auge gehen. Besonders, wenn man wie Paul Christoph Gäbler gleich im Vorwort von "Die Ärzte - 40 Jahre Punk" (riva Verlag, 128 Seiten, Hardcover, 10,00 Euro) durchklingen lässt, mit den Herren, um die es geht, nie direkt gesprochen zu haben. Er hat sich sein Wissen also irgendwie zusammenrecherchiert.

Doch aller anfänglichen Skepsis zum Trotz erwischt mich Gäbler mit seiner Rekapitulation von vier Dekaden Bandgeschichte voll. Er rollt die Entwicklung der Ärzte "von der Skandalband zum Kultstatus" auf, und auch wenn am Ende immer noch etwas nebulös bleibt, worin genau der "Skandal" und worin der "Kult" bestehen soll, weiß ich doch eine ganze Menge mehr über Bela B., Farin Urlaub, Rodrigo González und ihre diversen Aktivitäten und Verstrickungen als vorher.

Beim Erstkontakt angefixt

Wie viel von den kolportierten Geschichten letzten Endes stimmt und was gegebenenfalls in die Abteilung Mythen und Legenden verwiesen gehörte, müssen Fachleute entscheiden. "Die Ärzte - 40 Jahre Punk" bietet jedenfalls ein wahrhaftig niedrigschwelliges Portal ins Reich der Band. Gäbler berichtet zunächst charmant und anschaulich von seinem Erstkontakt mit der Musik der Ärzte, die ihn, seinerzeit ein "Noch-nicht-mal-Teenager, der zuvor nur The Beatles, Queen und klassische Musik gehört hatte", unmittelbar anfixte und ihm die wunderbar bunte Welt des Punk eröffnete.

Als wäre er dabei gewesen

Genau so anschaulich und lebendig wie sein eigenes Erweckungserlebnis schildert Gäbler in der Folge Anekdoten aus der Ärzte-Historie: als wäre er dabeigewesen. Da er sich zuvor klar als Fan und Außenstehender ohne unmittelbaren Kontakt zu den Protagonisten seiner Erzählung positioniert hatte, wirkt es stellenweise etwas distanzlos, auf jeden Fall aber leise unseriös, wenn er etwa (plastischer als nötig) WG-interne Szenen und Gebräuche beschreibt:

"Im Jahr 1982 sitzt Dirk Felsenheimer auf dem Klo in der Niebuhrstraße 38B und kackt." Danke, so genau bräuchten wir es gar nicht. "Gerade ist sein Mitbewohner Jan nach Hause gekommen und Dirk ahnt schon, dass gleich etwas passieren wird. Da hört er ein Knacken in der Lautsprecherbox. Jetzt heißt es: schnell sein. 'Sind so kleine Hände', säuselt Bettina Wegeners Stimme durchs Bad, 'winz'ge Finger dran.'"

Rasanter Anekdotenreigen

Tatsächlich bleibt für allzu kritische Gedanken aber gar keine Zeit. Paul Christoph Gäbler zerrt einen an der Hand durch vier Dekaden deutsche (Musik-)Geschichte. Rasant reiht er Szene an Szene, beginnend bei Belas und Farins Anfängen in der Berliner Punkszene (in die sie bestens passten, gerade weil sie eben nicht passten und sich von Beginn an weigerten, sich herrschenden Regeln und Codes zu unterwerfen), bis hin zur ausverkauften Wuhlheide.

Die Story der Ärzte singt ein wendungsreiches Lied vom sich Finden, Verlieren und sich aufs Neue Finden. Im Verlauf kommen und gehen die Wegbegleiter*innen, manche bleiben sogar. In den "40 Jahren Punk", die Gäbler weniger protokolliert, als in Schnappschüssen festhält, beobachten wir im Zeitraffer die Metamorphose zweier Nischendudes zu waschechten Popstars, deren Weg ins und durch das Musikgeschäft sich allerdings durchaus holprig gestaltete.

Arschloch!

Dass ausgerechnet eine ehemals strikt unpolitische Spaßtruppe die wahrscheinlich bekannteste deutsche Anti-Fascho-Hymne liefert, gehört zu den großen Überraschungen, für die die Ärzte immer wieder gut waren: "Arschloch"! Klar handelt Gäbler auch Hits des Kalibers "Ein Schwein Namens Männer" ab, thematisiert die Aufregung, die mit der Indizierung jener Songs einherging, die sich später auf "Ab 18" bündelten, oder liefert die Erklärung, wie eine Nummer wie "Elke" überhaupt zustande kommen konnten.

Richtig kritisch klingt das zwar nirgends, das kann man von einem lebenslangen Fan, der schon als Zehnjähriger auf den dÄ-Zug aufgesprungen ist, aber wahrscheinlich auch schlecht erwarten. In Fanboy-Ehrfurcht erstarrt Gäbler glücklicherweise aber auch nicht.

Am Ende kreuzen sich die Wege des Autors und seiner Helden doch noch, wenn auch nur flüchtig und nicht mit dem gewünschten Resultat: "Wäre ich Die Ärzte, ich hätte vermutlich auch keinen Bock, mir ein Interview zu geben", bringt Gäbler es auf den Punkt, und klingt dabei erstaunlicherweise kaum resigniert.

Er hat sie noch immer nicht getroffen. Was die Porträtierten selbst von seinem Buchprojekt, der Idee und ihrer Umsetzung halten, ist entsprechend (bisher) nicht überliefert. Ob mit oder ohne den Segen von BelaFarinRod: Paul Christoph Gäbler hat mit "Die Ärzte - 40 Jahre Punk" ein Stück deutsche Popmusikgeschichte dokumentiert und in locker wegkonsumierbare, unterhaltsame Form gebracht.

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Fotos

Die Ärzte, Farin Urlaub und Bela B.

Die Ärzte, Farin Urlaub und Bela B.,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Die Ärzte, Farin Urlaub und Bela B.,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Die Ärzte, Farin Urlaub und Bela B.,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Die Ärzte, Farin Urlaub und Bela B.,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Die Ärzte, Farin Urlaub und Bela B.,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Die Ärzte, Farin Urlaub und Bela B.,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Die Ärzte, Farin Urlaub und Bela B.,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Die Ärzte, Farin Urlaub und Bela B.,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Die Ärzte, Farin Urlaub und Bela B.,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Die Ärzte, Farin Urlaub und Bela B.,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Die Ärzte, Farin Urlaub und Bela B.,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Die Ärzte, Farin Urlaub und Bela B.,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Die Ärzte, Farin Urlaub und Bela B.,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Die Ärzte, Farin Urlaub und Bela B.,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Die Ärzte, Farin Urlaub und Bela B.,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Die Ärzte, Farin Urlaub und Bela B.,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Die Ärzte, Farin Urlaub und Bela B.,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Die Ärzte, Farin Urlaub und Bela B.,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Die Ärzte, Farin Urlaub und Bela B.,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Die Ärzte, Farin Urlaub und Bela B.,  | © laut.de (Fotograf: Rainer Keuenhof) Die Ärzte, Farin Urlaub und Bela B.,  | © laut.de (Fotograf: Lothar Schmitt) Die Ärzte, Farin Urlaub und Bela B.,  | © laut.de (Fotograf: Lothar Schmitt) Die Ärzte, Farin Urlaub und Bela B.,  | © laut.de (Fotograf: Lothar Schmitt) Die Ärzte, Farin Urlaub und Bela B.,  | © laut.de (Fotograf: Lothar Schmitt) Die Ärzte, Farin Urlaub und Bela B.,  | © laut.de (Fotograf: Lothar Schmitt) Die Ärzte, Farin Urlaub und Bela B.,  | © laut.de (Fotograf: Lothar Schmitt) Die Ärzte, Farin Urlaub und Bela B.,  | © laut.de (Fotograf: Lothar Schmitt) Die Ärzte, Farin Urlaub und Bela B.,  | © laut.de (Fotograf: Lothar Schmitt) Die Ärzte, Farin Urlaub und Bela B.,  | © laut.de (Fotograf: Tobias Herbst) Die Ärzte, Farin Urlaub und Bela B.,  | © laut.de (Fotograf: Tobias Herbst) Die Ärzte, Farin Urlaub und Bela B.,  | © laut.de (Fotograf: Tobias Herbst) Die Ärzte, Farin Urlaub und Bela B.,  | © laut.de (Fotograf: Tobias Herbst) Die Ärzte, Farin Urlaub und Bela B.,  | © laut.de (Fotograf: Tobias Herbst) Die Ärzte, Farin Urlaub und Bela B.,  | © laut.de (Fotograf: Tobias Herbst) Die Ärzte, Farin Urlaub und Bela B.,  | © laut.de (Fotograf: Tobias Herbst) Die Ärzte, Farin Urlaub und Bela B.,  | © laut.de (Fotograf: Tobias Herbst) Die Ärzte, Farin Urlaub und Bela B.,  | © laut.de (Fotograf: Tobias Herbst)

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6 Kommentare mit 7 Antworten

  • Vor 2 Jahren

    Moment mal. Da versucht irgendein Dude in gerade mal 128 Seiten 40 Jahre Bandgeschichte zu rekapitulieren in einer Nähe, die er offensichtlich zu keinem Zeitpunkt wirklich nachweisen kann?

    Na denn: Kauft meine Autobiografie wie Lennon/McCartney damals Sgt. Pepeer's geschrieben haben! Ach ich bin erst '93 geboren? Na und?!

    • Vor 2 Jahren

      Das gehört bei dieser Buchreihe zum Konzept. Eine lose Serie an Büchern, in denen Fans über ihre Lieblingsband schreiben. Ohne biographischen Anspruch sondern bewusst aus der Fanperspektive...

    • Vor 2 Jahren

      Nehme alles zurück, meine eigentlich diese Buchreihe hier:
      https://www.kiwi-verlag.de/buch/reihe/kiwi…

    • Vor 2 Jahren

      Die KiWi-Reihe ist glaub ich um Längen besser. Die Autoren (Thees Uhlmann, Markus Kavka, Frank Goosen usw.) sind immerhin leidlich bekannt, und haben auch einen ganz anderen Bezug zu den Stars, über die sie schreiben. Thees gehört ja bereits seit einigen Jahren zu den Freunden des Hauses bei den Hosen, und Kavka hat seine Idole von Depeche Mode bereits das ein oder andere mal interviewt.
      Das hier besprochene Buch über DÄ klingt dann doch eher nach einer Mischung aus Geldschneiderei, Fanboy-Gesülze und aus der offiziellen Biographie abgepinnten Anekdoten.

  • Vor 2 Jahren

    Hab das Meerschwein und bin damit bestens versorgt

  • Vor 2 Jahren

    "Wie viel von den kolportierten Geschichten letzten Endes stimmt und was gegebenenfalls in die Abteilung Mythen und Legenden verwiesen gehörte, müssen Fachleute entscheiden." Andere Fachleute als Autoren einer Biografie über die Band? Hier wurden ja schon einige Biografien, die wirklich umfangreich waren und bei denen ausgiebig recherchiert wurde, als trocken und "zu umfangreich" kritisiert. Das ist aber genau das was ich von einer Biografie erwarte. Dass Dani ein paar neue (vielleicht nicht ganz wahre...) Infos hatte und das Buch schnell weglesen konnte ist ja schön, aber dann kann ich mir auch die Wikipedia-Seite von den Ärzten durchlesen und hab 10€ gespart.

    • Vor 2 Jahren

      wenns dir um den erkenntnisgewinn geht, stimmt das wahrscheinlich. manches buch liest man aber ja aber auch aus entertainmentgründen. wikipediaartikel eignen sich für zweiteres halt meistens weniger gut, weil in der regel nicht so arg unterhaltsam formuliert.

    • Vor 2 Jahren

      Das Cover suggeriert ja dass hier 40 Jahre Bandgeschichte wiedergegeben werden. Dann hätte der Verlag es "Die grobe Bandgeschichte samt lustiger Anekdoten zum lesen auf dem Klo" nennen sollen.

    • Vor 2 Jahren

      wäre auch griffiger vong Titel her.

  • Vor 2 Jahren

    Da ist ein Fehler im Titel: "40 Jahre Punk" sollte "10 Jahre Punk und 30 Jahre rot-grünes Griftertum" heissen

  • Vor 2 Jahren

    Haha, "40 Jahre Punk" ist schon sehr geil. War zwar nie ein Ärzte Fan, aber musste letztens an "Rebell" denken, das war schon insbesondere lyrisch ein Manifest. Traurig, wie das alles enden musste - vor allem der Tagesschau-Auftritt war an Erbärmlichkeit nicht mehr zu überbieten. Daher möchte ich die Ärzte mal an dieser Stelle wie folgt würdigen:

    "Ich bin dagegen, denn ihr seid dafür
    Ich bin dagegen, ich bin nicht so wie ihr
    Ich bin dagegen, egal worum es geht
    Ich bin dagegen, weil ihr nichts davon versteht
    Ich bin dagegen, ich sag es noch einmal
    Ich bin dagegen, warum ist doch egal
    Ich bin dagegen, auch wenn es euch nicht schmeckt
    Ich nenn' es Freiheit, ihr nennt es Mangel an Respekt"

    Genießt eure sorgenfreie Rente Jungs! Ihr habt alles richtig gemacht.

  • Vor 2 Jahren

    Die Ärzte haben schon immer nach allen Seiten hin ausgeteilt. Fast das gesamte Ouevre der ersten Jahre war ein erhobener Zeigefinger an die Berliner Punkszene, so wie "Schrei nach Liebe" später die Neonazis zum Ziel hatte. Die einzige Konstante in der Bandgeschichte ist, dass sie immer das gemacht haben, worauf sie gerade Lust hatten, egal ob das Elke, Le Frisur, Yoko Ono, die Tagesthemen oder jetzt eben keine Elke mehr war. Ziemlich Punk, eigentlich.