laut.de-Kritik

Voll erwischt, du Fisch zappelst am Haken.

Review von

"Erinnert ihr euch an den Tag, an dem die Liebe entstand?" Erinnert ihr euch, an den Lauschgift-Meilenstein? Die Absoluten Beginner jammen 1995 als Natural Born Chillaz im Nachtcafe, doch die Frauen tanzen woanders. Drei Jahre später kapern die zum Trio geschrumpften Hamburger selbst das Chart-Schiff und holen mit ihrem "Liebes Lied" in den Dissen der Rapublik nicht nur halbstarke Heteros auf die Tanzfläche. Mehr noch: Die trojanisch-ironische G-Funk-Single baut die Brücke zwischen Hip Hop-unwissendem Mainstream, dem poppigen Spaß-Rap aus der Nachbarschaft, linker Attitüde und realkeependem Underground.

"Unser Beat hat Boom gemacht (unser Beat hat Boom gemacht) / und es hat Zoom gemacht!" Deutschrock-Zitate treffen auf Rap-Vokabular. Eißfeldts zeitlos-wavige Chillness funkt auf Wellenlänge von DJ Mads bewusst poppigen, dafür aber niemals peinlichen Sommer-Synthies. 18 Wochen hält sich der Track in den Charts. "Bambule", das zweite vollständige Album der Gruppe, folgt und vollendet mit wummernden Electro-Beats, noch mehr Zitaten aus der deutschen Musikhistorie, Rap-Referenzen, miesen Scratches, Eißfeldts nasalen Hooks und Denyos durchdachten Wortspielen den früher für unmöglich gehaltenen Spagat zwischen den Welten.

Eizi, Mad und Denyo führen Hip Hop von den versifften AJZ-Kellertreppen an den bemalten Zügen entlang in den Mainstream. Aus den Außenseitern in Baggypants, die früher auf dem Schulhof nur mitleidige Blicke ernteten, wurden die Immer-Weiter-Chefstyler und Derb-Diggersetter. Hip Hop hatte sein erstes Goldalbum aus der Szene, einer Szene, zu der jene Fantas und ihre Widerparts aus Rödelheim damals nicht gehören wollten und sollten.

Okay, hier wurde geflunkert. Erst nach der Veröffentlichung des zugehörigen Remix-Albums "Boombule" (die Verkäufe beider Alben werden zusammen gewertet) erreicht "Bambule" 2000 jenes ominöse Gold für dereinst noch 250.000 verkaufte Einheiten. Trotzdem bleibt das Alleinstellungsmerkmal, der Klassikerstatus für "Bambule", auf ewig in schwarzes Gold geritzt. Die bereits ein Jahr früher erfolgreichen Blumentopf und Freundeskreis besaßen nie die Durchschlagskraft des Elbedampfers. Stuckitown regierte zwar, doch gerade im Norden feierte man den Sound höchstens im Hochsommer. Zu viel Live-Instrumente, zu viel hippieske WG-Attitüde, zu viel Pathos, zu viel Geruch von nassem Teer und Motorroller in Montpellier, es fehlt die richtig dicke Hose, es fehlt der Style.

Im Gegensatz zu München oder der schwäbischen Spießerhauptsatdt ist Hamburg seit jeher "ein derber Beat, schön und schmuddelig". Kaufleute, Kiez und Künstler geben sich zwischen Hafenstraße, Hells Angels-Puff und Hafen-City die Klinke in die Hand. Die Beginner kanalisieren die Energie und Erfahrungen in Attitüde statt in Parolen. Die sozialkritischen Aussagen verstecken sich in Punchlines und zwischen den Zeilen. Style schlägt Sinn.

So kritisiert Eißfeldt in "Das Boot" Klimawandel und Umweltkatastrophen im Kontext wacker Musik ("Sie sagen, es kommt die Zeit, in der die Pole schmelzen / Sich Riesenwassermassen über Küstenstädte wälzen / Ich kenne das, ich hab' das schon mal erlebt, Mann / Flutwellen von Sondermülltonträgern") und legt das eklige Bild eines Politikers, der in den 90ern Asylsuchende in gute und schlechte Arbeitskräfte sortieren wollte, auf die Vereinnahmung des Raps von der Musikindustrie: "Irgendwo auf einer Fähre Richtung Karriere / Saßen mehrere, eher leerere Köpfe mit 'ner Riesenschere / Fischten die wenigen, frischen MCs aus'm Wasser / Schnitten sich was ab und ließen die Guten dann in den Fluten verbluten".

Denyo braucht dagegen in "Hammerhart" nur eine Zeile, um den "Kill The Nation With A Groove"-Soundtrack und alten Autonomen-Mindstate straight vom Rota Flora übers Beatbrett zu spucken: "Nicht als BGSler, weil ich will immer noch K.E.I.N.E." Überhaupt ist Denyo lyrisch auf dem Zenit. Sein abgehackter Flow funktioniert solo zwar überhaupt nicht, doch als Teil der Beginner ist er 1998 das Ying zum Jan. Der Phife Dawg zum Q-Tip, der Lakmann zum Flipstar, der Masta Killa des Clans. Seine Doppelbödigkeit und wortminimalistische Dichte bleibt bis heute unerreicht. So liefert er auch den besten Reim und Leitspruch des Albums ab: "Viele vergeigen bloß / Mir egal, wenn bei mir alle Stricke reißen, bin ich den Galgen los / Wir stylen groß!" ("Füchse").

"Bambule" legt tatsächlich alle Realkeeper-Ketten ab. Mit PC-unkonformen Majorlabel im Rücken holt Mad bassgewaltigen und electro-lastigen Kopfnicker-Shit aus seinem Keller, und "Arfmann an den Reglern macht den Shit tight", tighter als alle Deutsch Rap-Alben zuvor. Das ist kein Studentenfutter von Dendemann, keine Fun-Wraps der Fetten Brote oder Drum-Loops vom Discounter, "die Beginner wollen mehr" ("Geht Was"). Alleine die ersten fünf Tracks, mit dem legendären Samy-Feature auf "Füchse" zum Schluss, hämmern den Heads und Headinnen sämtliche Schneidezähne zurück in die Kieferknochen.

Danach lassen die drei ein wenig Gnade vor Recht ergehen und knüpfen mit "Fahr'n" oder "Mit Dem Mirko In Der Hand" an alte "Flashnizm"-Zeiten an. Erst "Nie Nett" brutzelt noch einmal mit einem der brutalsten Beats jener Zeit und einem Ferris MC auf Ex direkt in die Fresse: "Wir wollen Blumen brennen seh'n / Sandalen rennen seh'n / Grinsende halbe Hemden flennen seh'n / Eure Karrieren enden seh'n / Eure Style-Rechnung ist nicht aufgegangen, wir kommen, pfänden geh'n."

Überhaupt macht "Bambule" keine Gefangenen in Santa Fu. Es fehlt zum Glück trotz Nähe zur Szene ihr Mief und die Bruder-Kumpanei. Denyo und besonders Eißfeldt distanzieren sich mit ihrer Arroganz von den anderen. Wer die Jungs bereits zu Debützeiten einmal am Strand in Südfrankreich traf oder in der Hip Hop-Szene aktiv war, kann davon ein liebes Liedchen singen. Wer jedoch ein Superstar sein will, schafft es nicht ohne sie.

Diese Arroganz liefert neben dem großen Erfolg anderen Rappern Treibstoff und Munition. Es entsteht in Westberlin fast zeitgleich eine maskuline Gegenbewegung. In Frankfurt schiebt sich 2001 ein gewisser Azad auch mit "Ich brauch' kein Liebes Lied / Ich brauch' 'nen deepen Beat" ("Gegen Den Strom") in den Mittelpunkt. Die Straße ist erwacht. Dank der vermeintlichen Bürgerkinder-Band aus Hamburg findet nun auch der härtere Rap seine Fans, und die einst abgehängten Pioniere und Jugendlichen aus den sozial schwachen Vierteln wieder Zugang zur Szene.

Die Beginner öffnen als Helden und Feindbilder die Türen zu den Kinderzimmern und heben Hip Hop auch kommerziell auf das nächste Level. Oder, wie Eizi es ausdrückt: "Voll erwischt, du Fisch zappelst am Haken / Heute Nacht wirst du im Zelt vorm Plattenladen warten." Und die Freundin aus dem MAX wartet mit.

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Das Boot
  2. 2. Hammerhart
  3. 3. Rock on
  4. 4. Liebes Lied
  5. 5. Füchse (feat. Samy Deluxe)
  6. 6. Fahr'n
  7. 7. Showmaster
  8. 8. Geht was
  9. 9. Geh' Bitte
  10. 10. Nie Nett (feat. Ferris MC)
  11. 11. Mikro in der Hand (feat. David P.)
  12. 12. Nicht allein

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