laut.de-Kritik

Das hat die Liebe wirklich nicht verdient!

Review von

Ja, ich habe dieses Album in seiner Gänze gehört. Ja, ich habe es nur in ganz kleinen Dosen geschafft. Und ja, ich habe dabei wirklich körperliches Unbehagen empfunden. Und damit herzlich willkommen in der komplett schmerzbefreiten Welt des Adel Tawil.

Das rosarote Albumcover verrät uns schon, dass es sich hier um eine bunte Welt handelt, in der nur positive Bilder vorgesehen sind. Und das unnatürlich nach oben gehaltene Fernrohr samt Sonnenbrille dürfte Warnung genug sein, dass hier höchstens vorgeblich über den eigenen Tellerrand geblickt wird.

Einen elektronischeren, jugendlichen und am Zeitgeist orientierten Sound verspricht das Album. Leider gerät die Umsetzung dieses Vorsatzes derart dröge und berechenbar, dass sich mir mehr als einmal der Eindruck aufdrängt, hier ginge es um Übungsaufgaben aus dem Lehrbuch "Urban Sounds for Beginners Vol. 1".

Wenn gerade nicht nach Zahlen gemalt wird, wandelt man am liebsten auf altbekannten Pfaden. Die überwältigende Mehrheit der Lieder auf "Alles Lebt" funktioniert nach dem alten Erfolgsprinzip. Bildreich und mit viel Pathos besingt Adel Tawil die (ganz) große Liebe besungen, wobei die von Tawil und seinem Komponistenteam zu diesem Behufe zurate gezogenen Bilder immer entweder schief sind oder abgedroschen. Gerne auch beides.

In "DNA" singt Tawil unironisch von "Seelen, die sich verbinden" und reiht auch sonst kitschiges Klischee an kitschiges Klischee: "Der Himmel reißt auf und das Meer will sich verneigen. Vor dieser Liebe, wir sind wie aus einer DNA". Soviel distanzloser Scheußlichkeit kann man nun wirklich nur mit Unglauben begegnen. Das mit der gleichen DNA wirft zudem irritierende inzestuöse Assoziationen auf, die derart bestimmt nicht intendiert waren. Eine sanft dahinplätschernde Klavierbegleitung und ein Arrangement, bei dem man die primitive Kompositionsstruktur quasi bildlich vor Augen sieht, untermalen den Song: Das hat die Liebe wirklich nicht verdient!

Andererseits stellt sich im Verlauf schnell heraus, dass man trotz tonnenweise Schmalz noch viel weniger möchte, dass Adel Tawil über etwas anderes singt. Bei "Katsching" etwa weiß ich gar nicht, ob ich nun zuvorderst das Adjektiv "zahnlos" "uninspiriert" oder "debil" verwenden möchte. "Wir bohr'n uns in die Erde, große Rinderherde. Für Polo brauchst du Pferde. Und mehr Geld. Mehr Lego, mehr Geld". Das versteht man dann im Hause Warner vermutlich unter "bissiger Sozialkritik". Hannes Wader würde vor Neid erblassen ...

Was man dann definitiv auf gar keinen Fall möchte, ist dass sich der Schmalzbarde an ein politisches Statement wagt. Mir graust davor, dass Radio-DJs "Wohin Soll Ich Gehen" als "mutiges Statement für mehr Toleranz" anteasern werden. Tatsächlich geht der Sohn afrikanischer Eltern das unschöne Thema der wachsenden Fremdenfeindlichkeit nämlich mit derart samtenen Handschuhen an, dass man ihm letztlich nicht nur eine kitschige Heimathymne, sondern fast einen Schulterschluss mit den Rechten ankreiden muss. Denn was Tawil in seinem Song auf gar keinen Fall möchte, ist mit dem Finger auf Schuldige zu zeigen. Zu hören ist stattdessen lediglich von "dunkle(n) Gedanken hinter einsamen Fenstern". Will meinen: leider sind in letzter Zeit einige Menschen etwas fehlgeleitet, aber eigentlich sind sie doch genauso wie Adel Tawil bloß einer von Achtzig Millionen. "Irgendwer redet in seinem Hass etwas blind in die Nacht. Dabei sind wir doch beide von hier".

Mir stellt sich die Frage, ob man für derlei hanebüchenen Unsinn nicht vielleicht mangelnde Zurechnungsfähigkeit als mildernden Umstand anführen müsste. Die legt zumindest "Atombombe" nahe. In dem befremdlichen Song läuft Adel Tawil zu fröhlichen Poprhythmen "in Slomo" durch die Straßen, "atmet ein, atmet aus" und "denkt nur an euch", während um ihn herum ein Atomalarm losgeht. Und da einem so ein drohender Weltuntergang natürlich nicht die gute Partystimmung vermiesen kann, klingt "Atombombe" auch wie der Soundtrack für die Fanmeilen dieses Landes. "Die Welt sieht schön aus kurz vor ihrem Ende" - wieso kommt bei fünf beteiligten Komponisten nicht zumindest einer darauf, dass das einfach nur geschmackloser Schwachsinn ist?

"DNA", "Atombombe" und "Wohin Soll Ich Gehen" stellen drei schaurige Totalausfälle einer Platte dar, die insgesamt ein einziger Ausfall ist. Würde man nicht beständig in angstvoller Erwartung des nächsten textlichen Tiefschlags harren, könnte man das Album wenigstens weghören. Musikalisch herrscht nämlich die große Eintönigkeit. Neben den fantasiearmen Produktionen tragen dazu vor allem die ständig selben Betonungsmuster von Adel Tawils immer ein wenig zu dramatischer Stimme bei. Ein Großteil der Schmachtfetzen unterscheidet sich somit tatsächlich nur darin, welche schiefe Metapher nun das jeweilige Grundgerüst bildet.

Gerne würde ich an dieser Stelle etwaige Lichtblicke herausheben. Sofern man die von mir angesprochene mangelnde Zurechnungsfähigkeit nicht gelten lässt, ist "Alles Lebt" allerdings schlicht das Album, für das die 1-Punkte Wertung dereinst erfunden wurde. Und selbst wenn die Skala statt bis fünf bis fünfzig gehen würde, käme dieses Album niemals über einen Punkt hinaus. Aber irgendwer muss schließlich auch das untere Ende einer Skala definieren. So schmerzhaft geschmacksverirrt kann deutscher Pop 2019 klingen.

Trackliste

  1. 1. Liebe To Go
  2. 2. Katsching
  3. 3. Tu M'appelles (feat. Peachy)
  4. 4. Neues Ich
  5. 5. Hawaii (feat. Bausa)
  6. 6. DNA
  7. 7. Alles Lebt
  8. 8. Sie Rennt
  9. 9. Unter Dem Selben Himmel
  10. 10. 1.000 Gute Gründe
  11. 11. Neonfarben
  12. 12. Atombombe
  13. 13. Wohin Soll Ich Gehen
  14. 14. Denkmal Aus Eisen

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