laut.de-Kritik

Auf dem Poltergeist in die Eingeweide der Maschine.

Review von

"Integrated Tech Solutions - building a bridge to a better tomorrow", jingelt uns das Intro entgegen, gefolgt von einem wahren Buzzword-Tsunami, der "The ITS Way" erläutert: "Resources. Networking. Applications. Solutions. ITS is a system of industry applications designed to curate a desired multi-experience. Using a unique hybrid of machine-learning and on-site scrum sessions, our specialists have redefined tech-centric problem-solving. Disrupt, Innovate, Refine, Advanced Systems. ITS - offering streamlined implementation of attainable solutions." Uff.

Wenn gleich zur Begrüßung Marketing-Sprechblasen über eine*n hinweg branden, steht von vorneherein fest: Wir kriegen es mit einem Konzept-Album zu tun. Juhu. Eine Struktur, um sich daran entlang zu hangeln, kann ja eigentlich nur dabei helfen, in Aesop Rocks tosenden Gedankenstrudeln zur Abwechslung einmal nicht abzusaufen. Minimales Problem daran: Entweder verliert er über die Spieldauer irgendwie, irgendwo, irgendwann den Fokus. Oder ich hab' das Konzept einfach nicht gerafft. Ich vermute zweiteres, es wäre beileibe keine Premiere, dass ich sehr wenig bis gar keine Ahnung habe, wovon dieser Mann überhaupt spricht.

Um ehrfürchtig vor seiner Sprachgewalt auf die Knie zu sinken, ist das zum Glück gar nicht bis ins Detail nötig. Dass der Typ gewaltige Worte kennt, und davon schlicht dreimal mehr als die anderen Kinder, erschließt sich auch so. Genau so springt auch aus lückenhaftem Kontext noch die Virtuosität ins Auge, mit der Aesop Rock sein ausuferndes Vokabular zu teils nebulös verwaschenen, und dann wieder gestochen scharfen Bildern zusammenfügt. Die sprenkelt er großzügig mit nerdy Referenzen, Zitaten, Querverweisen aus diversen Bereichen der Popkultur und versteckt obendrein ein paar Ostereier: Für genau diese Sorte Künstler hat das Englische die Bezeichnung "wordsmith" ersonnen.

Zum Talent für Formulierungen, einer überbordenden Fantasie und einem kritischen Blick für Realitäten gesellt sich im Glücksfall Aesop Rock dann noch ein wahrhaft unverwechselbarer Vortrag. Seine Delivery wirkt vielleicht nicht besonders abwechslungsreich, dafür weiß man wirklich jederzeit spätestens nach einer halben Line, mit wem man es zu tun hat: absolut unique, I love it.

So, dieser Ausnahme-Rapper-Poet baut uns nun also eine Brücke in eine bessere Zukunft und befasst sich - glaube ich zumindest - mit dem ewigen, in Zeiten allgegenwärtiger KI zudem brandaktuellen Konflikt zwischen Mensch und Maschine, Natur und Technik? Das kann ja eigentlich nur Horizonte sprengen. Gut, dass wir auch den Haftungsausschluss schon mitgeliefert bekommen haben: "ITS is not responsible for any instances of bodily injury or economic downturn that may occur while using ITS patented technologies." Vorsicht, also.

Wer sich mit dem Verhältnis der Menschheit zur Technologie befassen will, sollte zunächst die Entwicklung kennen. In "Mindful Solutionism" schlägt Aesop Rock entsprechend den ganz großen Bogen, vom frühgeschichtlichen Steinwerkzeug und der Erfindung des Rades über Hufeisen, Elektrizität und Lasertechnik hin zu Massenvernichtungswaffen. Die bittere Lektion, die die Historie uns lehrt: Ist die Katze erst aus dem Sack, kriegst du sie nicht mehr eingefangen. "If it's energy that can be used for killing than it will be."

Diese erste Demonstration von Aesop Rocks Fähigkeiten untermalen verschroben knarzende, flackernde Sounds, dicke Bässe und Geschepper. In "Infinity Fill Goose Down" sind wir musikalisch endgültig in den finsteren, nur von gelegentlich aufflackernden Lichtern erhellten Eingeweiden der Maschine angekommen. Leise Stolperer im Beat und melodische Zwischenspiele lassen die Szenerie trotzdem merkwürdig organisch wirken. "Animal Farm", "Super Mario", "Dawn of the Mummy" ... mit dem, das allein hier schon an Büchern, Spielen und 80er-Jahre-Horrorfilmen herumfliegt, ließe sich locker das eine oder andere verregnete Wochenende bestreiten.

Yo, und spätestens danach verliert entweder Aesop Rock sein Konzept aus den Augen oder ich den roten Faden. Falls es überhaupt je einen gegeben hat. Macht aber nichts, es wäre nicht das erste Mal, dass ich mich in Ian Bavitz' Spiegelkabinett grandios verlaufen hätte. Kurz Rast eingelegt auf dem dicken, mit orientalischen Mustern durchzogenen Soundteppich von "Living Curfew", danach guck' ich Aesop Rock, beschallert von hypnotischem Bass, eben beim Taubenzeichnen zu.

"Pigeonometry" illustriert prächtig, was diesen Künstler ausmacht: Er beweist ein derart scharfes Auge für noch das winzigste Detail, so beobachtet wirklich nur jemand, der tatsächlich zeichnet. Nebenbei philosophiert er über die bigotte Ungleichbehandlung von Tauben, die einerseits als Ungeziefer geschmäht, sobald sie aber weiß sind, zum Friedenssymbol verklärt werden, umrahmt von Gedanken über persönliches Zerschellen an möglicherweise zu hohen Ansprüchen. Unfassbar gut.

"Kyanite Toothpick" wirkt musikalisch wie zielloses Herumprobieren, ein Klingklang hier, ein Dingeling dort, ehe alle Elemente an ihren Platz fallen und ein Gefühl erschaffen, das man aus Alpträumen kennt: als ob sich laufend Perspektiven und Proportionen ändern. Bezeichnend für Aesop Rocks präzise Vortragsweise, dass er sich darin absolut trittsicher zurechtfindet: "I can do this all night." Kein Zweifel. Wenn irgendjemand den Poltergeist reiten kann, dann er.

Nächste Einstellung, wieder zu einhundert Prozent Kontrastprogramm: Statt in unwirkliche Umgebungen versetzt "100 Feet Tall" in eine absolut fotorealistische Situation: Aesop Rock schildert hier die Zufallsbegegnung eines sieben- oder achtjährigen Fanboys mit seinem Fernseh-Idol Mr. T mit einer Genauigkeit, dass es sich eigentlich nur exakt so zugetragen haben kann. Der Offbeat-Vibe, der durch diesen Track wabert, hallt später noch einmal in "Time Moves Differently Here" wider, in dem die Dubreggae-Bassline wirkt wie das Geländer, um eine*n in dem leise gespenstischen Soundszenario vor Abstürzen zu bewahren.

Ein bisschen Jazz, ein bisschen Klimperklavier, Stimmengewirr, und ... ist das eine Orgel? Und das? Ein Xylophon?? Egal, Aesop Rock zieht zwischen alldem stoisch seine Bahnen, sinniert mal über Da Vinci, mal über Van Gogh, über das Wesen von Erfolg und Versagen. Seine Worte: ein steter Strom.

Wer angesichts der oft assoziativ mäandernden Gedankengänge vermutet, Aesop Rock könne halt einfach nicht stringent erzählen, bekommt das Weltbild in "Aggressive Steven" wieder geradegerückt: Hier geht ein derart präziser Storyteller zu Werke, dass man die Geschichte jederzeit verfilmen könnte, wäre das überhaupt noch nötig. Plastischer wirds ohnehin nicht. Höchstens, wenn Aesop Rock in "Vititus" Kindheitserinnerungen an Großmutters Küche heraufbeschwört, gefolgt von dem Moment, in dem der alles verändernde Anruf kam, der die banale, aber trotzdem drängende Frage in den Raum stellte: "Who fuck's supposed to make dumplings?"

Gehts hier wirklich noch um "Integrated Tech Solutions"? Geht es nicht viel mehr um Verlust und Trauer? Vielleicht ist das Konzept einfach noch nicht ausgereift. "ITS Sound Bath is understood to still be in beta form", da kann das schon passieren. Oder, wie gesagt, ich kapier' es einfach nicht. Beide Möglichkeiten schmälern die Faszination, die dieses Album ausübt, kein Stück.

Trackliste

  1. 1. The ITS Way
  2. 2. Mindful Solutionism
  3. 3. Infinity Fill Goose Down
  4. 4. Living Curfew feat. Billy Woods
  5. 5. Pigeonometry
  6. 6. Kyanite Toothpick feat. Hanni El Khatib
  7. 7. 100 Feet Tall
  8. 8. Salt and Pepper Squid
  9. 9. Time Moves Differently Here
  10. 10. Aggressive Steven
  11. 11. Bermuda feat. Lealani
  12. 12. By The River
  13. 13. All City Nerve Map
  14. 14. Forward Compatibility Engine feat. Rob Sonic
  15. 15. On Failure
  16. 16. Solid Gold
  17. 17. Vititus
  18. 18. Black Snow feat. Nikki Jean

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