laut.de-Kritik
Der schottische Wortkünstler schwelgt in Erinnerungen.
Review von Karin SteiAl Stewart liebt es, Geschichten zu erzählen. Viele davon kreisen seit Jahrzehnten um die gleichen Themen. Geschichte, das Meer, der Krieg, die eigene Biografie. Langweilig? Aber nein. Der schottische Wortkünstler schafft es, seine poetischen Songtexte so zu variieren und in zarte Melodien zu verpacken, dass sie einem immer noch auf der Zunge, pardon, dem Ohr zergehen.
Auch sein 16. Studioalbum "A Beach full of Shells" macht da keine Ausnahme. Vielmehr knüpft er mit den 13 Tracks an seine besten Folktage in den 60ern und 70ern an. Und zeigt erneut seine Meisterschaft in den Musik-Kategorien für Intellektuelle: beste Wortspiele und verstecktes Hintergrundwissen. So bezieht er sich im ersten Track "The Immelman Turn" auf ein Flugkunststück des deutschen Piloten Max Immelmann im ersten Weltkrieg, während er in "Mr. Lear" dem Zeichner und berühmten Dichter von Limericks, Edward Lear, ein musikalisches Denkmal setzt.
Und auch mit dem Albumtitel "A Beach Full Of Shells" konfrontiert Stewart den Hörer mit zwei Lesarten, die nebeneinander stehen: ein Strand voller Muscheln oder ein Strand voller Patronen. In merkwürdiger Eintracht sind beide Dinge auf dem Cover zu sehen. Daneben das Sepia-Foto eines Paares und eine Postkarte, die einen alten Dampfer zeigt. Darüber schwebt ein Zeppelin. Wichtige visuelle Fingerzeige, um das Album zu interpretieren? Mit Einschränkungen. Denn Al Stewart verharrt nicht in einer bitter-süßen Betrachtung der Zeit um den Ersten Weltkrieg, sondern nimmt den Hörer mit auf eine Zeitreise durchs 20. Jahrhundert bis in die Gegenwart.
Eher melancholisch betrachtet er dabei die Welt und die Geschichten, die sie liefert. In "Somewhere in England 1915", aus dem die Zeile für den Albumtitel stammt, verknüpft er die Verlusterfahrungen des Ersten Weltkriegs mit heute stattfindenden Entwicklungen. Oder lässt in dem an Countrymusik angelehnten Song "Gina in the Kings Road" vergangene Lieben wiederauferstehen.
Überhaupt Erinnerung. Al Stewart schwelgt in "Katherine of Oregon" in fiktiven Erinnerungen an eine Frau, in "My Egyptian Couch" denkt er über ein Familienfoto nach oder singt in "Anniversary" über den Tod eines Freundes. Das ist herrlich traurig eingepackt in versponnene, federleichte Arrangements, die sich nach mehrmaligem Hören festsetzen. Laurence Juber, ehemaliger Gitarrist der Wings, mit dem Al Stewart schon seit über zehn Jahren arbeitet, hatte hier seine Hände im Spiel.
Erstaunlich ist jedoch, wie jugendlich Al Stewart trotz seiner 60 Lenze klingt. Mit seiner sanft modulierten Stimme gibt er den Liedern ihren unverwechselbaren Charakter. Genau dies mag auf die Dauer zu weich klingen, zu süßlich. Aber dafür ist Al Stewart mit seinen Texten meilenweit vom öden Einheitsbrei vieler aktueller Stars entfernt.
36 Kommentare, davon 35 auf Unterseiten
selten taucht ein musiker aus schaffenspausen zurück und liefert uns aufnahmen von solch exorbitanter schönheit. al stewart bringt mich immer wieder zum staunen. dito bemerkens- und hörenswert