laut.de-Kritik

Die Hits der 80er als sinfonische Schlachtplatte.

Review von

Flohmarkt. Meine achtjährige Tochter kommt mir freudestrahlend mit einer Platte entgegen gerannt: "Hab' ich gerade für dich gekauft, weil die so ähnlich aussieht wie deine anderen Platten." Es ist: "Das Boot" von U96. Der Volksmund hat Recht: Kinder können so grausam sein. Musik auch.

Womit wir beim Oeuvre des Alex Christensen sind, dem Robin Hood des 90er Chart-Technos, mit dem feinen historischen Unterschied allerdings, dass Christensen klaut, um sich selbst zu bereichern. Mit "Das Boot", einer Komposition Klaus Doldingers, klappte das auf Anhieb so formidabel, dass Christensen sein Coverkonzept weitgehend beibehielt und damit zu einem internationalen Star aufstieg. Versuchte er sich selbst am Komponieren, sprachen die Titel oft für sich: "Du hast den schönsten Arsch der Welt" oder "Du bist so porno" seien hier stellvertretend genannt.

Unvergessen auch sein ESC-Beitrag mit einem Broadway-Sänger im Jahr 2009 als Alex Swings Oscar Sings - seinen Swing, man ahnt es, fühlte niemand. Doch den Hamburger Produzenten focht das nicht an, er irrte weiter umher, 40 Millionen verkaufte Tonträger können ja schließlich, also müssen, äh, egal, erst mal ein neues Signature-Mischpult mit den eigenen Initialen in Auftrag geben, der Rest kommt dann schon.

2017 kommt die Erleuchtung: Techno mit Orchester verbinden. Genial. Das machten zu dem Zeitpunkt zwar schon über ein Jahr lang Peter Hook und seine alte Hacienda-Gang in Manchester, aber wer kriegt das außerhalb Großbritanniens schon mit? So muss "Classical 90s Dance" entstanden sein, sein Coverprojekt mit dem Berlin Orchestra, und der Erfolg gab Christensen erneut Recht. Pionier, der er ist, ließ er sich als ODM-Erfinder feiern - ODM für Orchestral Dance Music, nicht etwa für Old Dude Mixing. Es erschien ein zweiter Teil, danach ein dritter, das Volk wollte es so. L'amour toujours!

Nun also die 80er. Für den Produzenten ein rein künstlerischer Impetus, wie er gewohnt unbescheiden darlegt: "Mein neues Album feiert die Songs, mit denen ich aufwuchs, während ich die Musik des Folgejahrzehnts aktiv mitgestalten konnte." Man denkt beim Hören an vieles, ans Feiern weniger. "Classical 80s Dance" ist schnell erklärt: Ein knapp fünfzigköpfiges Ensemble spielt fast ausnahmslos die Lead-Melodien von Klassikern nach, Christensen bagatellisiert sie mit seinen bewährten Random-Beats und holt verschiedene Gastsänger*innen ins Boot.

Interessant allerdings, wer sich hierfür nicht zu schade war. Beziehungsweise wen die Knute der coronabedingten Honorarausfälle zu diesem unrühmlichen Frondienst gezwungen hat. An vorderster Front: Die nicht erst seit ihren Lockdown-Dance-Sessions grundsympathische Sophie Ellis-Bextor, gleich zwei Mal vertreten. In "Self Control (feat. Sophie Ellis Bextor)" pluckert der Oktavbass ausnahmsweise verhalten unter dem Gewicht der seichten Streicher, während Sophie in ihrer unaffektierten Art rettet, was zu retten ist. Der Geist von Annie Lennox bleibt in "Sweet Dreams (Are Made Of This) (feat. Sophie Ellis Bextor)" allgegenwärtig, was auch an Christensen liegt, der dem Synthsound des Originals hinterherhechelt.

Ebenfalls nichts Besseres zu tun hatte Gary Barlow, der allerdings wie Sophie halbwegs ohne Gesichtsverlust aus der Sache herauskommt. Einfühlsam transportiert der Schmachtbarde die Sehnsucht des Crowded House-Klassikers "Don't Dream It's Over" ins Jetzt, Christensens subtile (!) Beats fallen einmal nicht negativ auf, das Orchester schluchzt - man bleibt tatsächlich mit dem Eindruck zurück, dass dieser Song für eine orchestrale Umsetzung geeignet ist.

Und dann: "Blue Monday (feat. Felix Räuber)". Am New Order-Cover offenbart sich exemplarisch das ganze Malheur von "Classical 80s Dance": Streberhaft arrangiert Christensen die Leadmelodien möglichst originalgetreu fürs Orchester nach, um auch keinen 80s-Fan zu erschrecken. Und zwar alle, die er auf seinen 80s-Compilations so vorfindet, und nicht etwa weil sie sich für diese Art von Umsetzung anbieten. Dass er die Bassdrum-Wucht eines genau hierfür weltweit geschätzten Ausnahmetracks 38 Jahre nach dessen Veröffentlichung mit dünnen Wurstbeats schlachtet, ist wiederum eine Leistung für sich. Warum der frühere Polarkreis 18-Sänger gerade hiermit aus der Versenkung auftauchen wollte, weiß nur er allein (allein).

Schon zu Beginn verknödelt Ronan Keating den ewigen Bronski Beat-Hit "Smalltown Boy", doch da ahnt man noch nicht, wie beschämend nah der Rest der Geladenen an das Fremdscham-Level von "Sing Meinen Song" rankommt. Mandy Capristo, Mike Singer, Glasperlenspiel; bewährtes deutsches Sauerkraut auf Christensens sinfonischer Schlachtplatte.

Dass David Garrett in "Tainted Love" den Gesang von Marc Almond mit der Geige ersetzt, ist sowas wie die beste Idee der kompletten Platte. Eine Originalinterpretin hatte allerdings tatsächlich Bock, hier persönlich mitzumischen, und es sagt viel über "Classical 80s Dance" aus, dass dies Bonnie Tyler ist.

Sprechen wir hier doch von einem gewohnt emotionsfrei konfektionierten Produkt aus dem Hause Christensen, dem großen Gleichmacher des Beat-Betriebs. Er präsentiert seine schönsten Momente im bekannten Stil einer Helene Fischer-Show. Erstaunlich, wie viele ihm immer noch dabei zuhören.

Trackliste

  1. 1. Smalltown Boy (feat. Ronan Keating)
  2. 2. Self Control (feat. Sophie Ellis Bextor)
  3. 3. Never Gonna Give You Up (feat. Mike Singer)
  4. 4. Never Ending Story (feat. Ana Kohler)
  5. 5. Don't Dream It's Over (feat. Gary Barlow)
  6. 6. Another Day In Paradise (feat. Glasperlenspiel)
  7. 7. Total Eclipse Of The Heart (feat. Bonnie Tyler)
  8. 8. Blue Monday (feat. Felix Räuber)
  9. 9. Voyage Voyage (feat. Chimène)
  10. 10. Hypnotic Tango (feat. Leony) (VIZE Edit)
  11. 11. Introperspective
  12. 12. Fade To Grey (feat. Mandy Capristo)
  13. 13. Tainted Love (feat. David Garrett)
  14. 14. Killer (feat. Seven)
  15. 15. Sweet Dreams (Are Made Of This) (feat. Sophie Ellis Bextor)
  16. 16. Words (feat. Nima)
  17. 17. Living On Video (feat. Asja Ahatovic)
  18. 18. Fotonovela (feat. Yass)
  19. 19. Slave To The 80s

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