laut.de-Kritik

Was kann das neue britische Wunderkind?

Review von

Alfie Templeman ist gerade 18, hat schon vier EPs veröffentlicht und wird im United Kingdom als nächste große Pophoffnung, als Wunderkind gehandelt. Er selbst hat sich ein hohes Ziel gesetzt, wie er im Interview mit dem Evening Standard verraten hat: Er will uns alle mit seinen Songs beglücken, für jede*n soll was in seinem musikalischen Bouquet dabei sein. Wo er mit seiner Debüt-EP 2018 noch Mac DeMarco-Jünger abholte, will er mit seinem neuen Kurzalbum "Forever Isn't Long Enough" nun auch außerhalb der Indie-Bubble Formatradiohörer*innen gewinnen. Die Stücke bewegen sich irgendwo im verpoppten R'n'B-Bereich mit 70er- und 80er-Verweisen, die zuletzt auch das gewisse Etwas von Hits wie "Watermelon Sugar" oder "Blinding Lights" gewesen sind. Glücklicherweise geraten die Tracks aber nie zu anbiedernd oder glatt, gehören vielmehr zu der Kategorie Pop, bei der selbst Leute mit Mainstream-Aversion guten Gewissens mitnicken können, ohne sich des geschmacklichen Sellouts verdächtig zu machen.

Das liegt vor allem daran, dass Templemans Faible für ausgefeilte, liebevolle Produktion weiterhin durchscheint und es auf der anderen Seite hochkarätige Unterstützung bei den Aufnahmen gab. An der Produktion des Openers "Shady" war Jungle beteiligt, an der des Titeltracks Kid Harpoon, einer der Köpfe hinter "Watermelon Sugar". "Shady" stimmt auch bestens auf den Rest des Albums ein. Anfangs bietet der Titel etwas ASMR-Gehauche, das zwischen Billie Eilish und Royal Blood landet, und mündet dann in einen smoothen, eingängigen Refrain. Dabei setzt Templeman hier unter Anleitung von Jungle vor allem auf das Grundgerüst aus Bass und Percussion, flächige Synths und Gitarren unterstützen nur punktuell. Funktioniert wunderbar.

Kid Harpoons Beteiligung führt dazu, dass "Forever Isn't Long Enough" nicht nur ein bisschen nach Harry Styles letztjährigem Überhit klingt. Gleichzeitig werden auch Erinnerungen an "Cake By The Ocean" von DNCE geweckt. Ein guter Popsong, der insgesamt aber leicht in Richtung Belanglosigkeit tendiert. "Everybody's Gonna Love Somebody" liefert Schmuse-Disco und macht erstaunlich viel Spaß, solange man ein Herz für Kool & The Gang hat. Auch hier blitzen immer mal wieder die charmanten Gitarrenspielereien auf, mit denen Templeman sich auf seinen ersten Veröffentlichungen ein Publikum erspielt hat. "Film Scene Daydream" weckt Erinnerungen an Hall & Oates und Fleetwood Mac, wartet mit knalliger 80s-Snare und charmant-cheesy Saxophon-Solo auf und besticht auch vor allem mit den lässigen Gitarren-Riffs.

Am überzeugendsten klingen allerdings "Hideaway" und "Wait, I Lied", die einen nicht ganz so sonnendurchfluteten Gute Laune-Vibe ausstrahlen. "Hideaway" begeistert in den reduzierten Strophen und beim Gitarren-Solo. Das Stück bedient sich fantastisch bei Altem und kleidet es in ein modernes Gewand. "Wait, I Lied" erinnert zwar mit der prägnanten Bassline stark an Billie Eilishs "My Strange Addiction", entwickelt aber genug eigene Identität, um nicht nach Rip-off zu klingen. Denn wo bei Eilish meist auch die Drums auf das Nötigste reduziert sind, glänzen Templemans Stücke durch die dichten Percussion-Einsätze mit vielen Shakern, Schellenkränzen, Bongos und Kuhglocken. Das abschließende Duo aus "To You" und vor allem "One More Day" gerät zwar etwas zu schläfrig, trübt den Gesamteindruck eines gelungenen Minialbums aber nur minimal. Es lohnt sich vor allem auch eine Entdeckung der bisherigen Veröffentlichungen, die noch deutlich mehr Bedroom-Pop-Charme besitzen. Als nächstes will Templeman ein 70s-Pop-Album mit psychedelischem Einschlag veröffentlichen. Wenn also diesmal noch kein Song dabei ist, der gefällt, einfach abwarten - Alfie Templeman arbeitet dran.

Trackliste

  1. 1. Shady
  2. 2. Forever Isn't Long Enough
  3. 3. Hideaway
  4. 4. Wait, I Lied
  5. 5. Everybody's Gonna Love Somebody
  6. 6. Film Scene Daydream
  7. 7. To You
  8. 8. One More Day

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