laut.de-Kritik

Pompös, monumental und wummernd wie ein Christopher Nolan-Film.

Review von

Max Rieger ist nach vierjähriger Abstinenz mit seinem hochgelobten Solo-Projekt All Diese Gewalt zurück. Zwischendurch hat er mit Die Nerven und "Fake" den Status als Speerspitze des 'intellektuellen' (Post-)Rock untermauert und mit Obstler verstörenden, also erfolgreichen Black Metal praktiziert. Dass er auch Künstlerinnen und Künstlern des Anti-Mainstreams wie Drangsal und Mia Morgan seine Dienste am Regler bereitstellt, muss eigentlich nicht mehr erwähnt werden.

Der Eindruck verfestigt sich, dass der lange Kerl aus Esslingen gerade nicht so viel falsch macht und falsch machen kann, ganz so wie Noel Gallagher einst zu Thom Yorke und seine Band Radiohead zum Besten gab: "Selbst wenn Thom Yorke in eine Glühbirne scheißt, bekommen sie eine 9/10." Nun hat Rieger ein neues Album vorgelegt, dessen vorab erschienene Tracks einen Kurswechsel angedeutet haben.

Ein radikaler Bruch mit der Vergangenheit ist "Andere" indes nicht geworden, zu groß in der Zahl sind die Anknüpfungspunkte an frühere Sachen und zu ausgeprägt und vordergründig der eigenständige Sound, der das Projekt auszeichnet. Sein Händchen für in Hirnwindungen einsickernde Oneliner wie "Alles was wir waren, sind längst nicht mehr wir" hat er sich erhalten, genau wie die Fähigkeit, das Gefühl von Fremdbestimmung und Stasis in der Abstraktion und im Unverbindlichen zu fixieren. Dennoch fällt das Gesamtergebnis weniger mäandernd aus, als wir es noch von "Welt in Klammern" oder "Kein Punkt wird mehr fixiert" kennen.

In der Vergangenheit hat Rieger auf Solopfaden seine Musik um Drones installiert. Beinahe stehende, lang gezogene Sounds, aus denen heraus sich organisch die Melodien winden und entfalten, während um einen herum recht unkoordiniert Kuhglocken, Grillenzirpen oder Meeresrauschen zu hören sind, die den Songs eine traumartige Tiefe verleihen. Auf "Andere" finden sich nur noch hie und da kleinere Sound-Spielereien wie zum Beispiel die Klanghölzer in "Dein" oder der Hall auf der Stimme in "Etwas Passiert", das eine zarte Aufbruchstimmung verbreitet - für Max Rieger-Fans eher ungewohnt.

Wo früher Ambient-Landschaften scheinbar willkürlich wuchern und in die Höhe sprossen und Rieger weitgehend verstummte, schiebt sich nun der exaltierte Gesang in den Vordergrund und schrammt haarscharf am Affektierten vorbei. Das ist nicht unbedingt als Kritikpunkt zu verstehen, denn seine Zeilen leben vom starken Ausdruck. Wenn er singt: "Ich weiß, ich bin zu viel / ein gehetztes Tier" und die Reimwörter in "Halte Mich" wie Kaugummi in die Länge zieht, verfehlt das durchaus nicht seine Wirkung und sorgt gleich zu Beginn für ein starkes Break.

Es dominieren Bombast und Theatralik, des Öfteren wähnt man sich in einem neuen Film von Christopher Nolan. Es wummert, vibriert und dröhnt aus den Boxen, während nach vorne treibende Gitarren-Spuren und Drums das Ganze irgendwie festzurren und die Hörer ans Ziel geleiten. Mit der Poetisierung der Welt ist es vorbei, gibt Rieger in einem Interview zu verstehen, Einfachheit ist jetzt das bestimmende Prinzip auf "Andere". Einen ersten Hint gibt bereits das Cover: Während das mystisch-neblige Welt in Klammern noch das Portrait eines Geißenpeters mit opaken blauen Augen zierte und Introvertiertheit und Geheimnistuerei vermittelte, geht "Andere" schon rein ästhetisch auf Konfrontation und schreckt vor Gewalt nicht zurück.

Die Lust zu polarisieren ist auch "Erfolgreiche Life" deutlich anzumerken, wobei sich der Unterschied zu Die Nerven hier besonders deutlich zeigt. Während Songs wie "Skandinavisches Design" kurz davor stehen, komplett frei zu drehen, gibt sich "Erfolgreiche Life" gemäßigt und kontrolliert und lässt vor allem nach hinten heraus den Wumms und die Konsequenz vermissen. In seiner ätzenden und gesellschaftskritischen Art passt der Track nicht so recht in den Kosmos, den Rieger bis dahin mit All Diese Gewalt etabliert hat.

"Maske" entpuppt sich dagegen als waschechtes Groove-Monster mit einer Melodie, die direkt ins Ohr geht und Vorfreude auf die erste Live-Darbietung weckt. Und auch "Blind" beginnt mit einem fragilen Klavier zu dem Max Rieger seine Selbstzweifel herausquält: "Ich bleibe stumm / alles dreht sich um mich herum / wieso klingt alles aus meinem Mund / so unvorstellbar dumm?" Das leiseste Stück des Albums klingt aus mit einem torkelnden und irgendwie stolz klingenden Saxophon und leitet in den finalen Track des Albums ein, der dann auch mal mit Distortions und ja, ich glaube Vogelgezwitscher beginnt.

Der technoide Titeltrack ist in seinem klimaktischen Aufbau ein würdiger Abschluss für ein Album, das sich an einer Neuausrichtigung versucht, indem es das Beste aus beiden Welten vereint: Harte Brüche und Irritation auf der einen, organische Übergange und Versunkenheit auf der anderen Seite. "Andere" besetzt demnach eine Zwischenposition im Gesamtschaffen von Max Rieger, was über weite Strecken richtig gut aufgeht.

Trackliste

  1. 1. Halte Mich
  2. 2. Erfolgreiche Life
  3. 3. Dein
  4. 4. Etwas Passiert
  5. 5. Echokammer
  6. 6. Grenzen
  7. 7. Gift
  8. 8. Maske
  9. 9. Sich Ergeben
  10. 10. Blind
  11. 11. Andere

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