laut.de-Kritik

Zwischen Pink Floyd-Hommage und Sommer-Hitmix.

Review von

Huch? Eine warme E-Gitarre eröffnet? Wo ist der Beat? Ah, hier! Verhalten, fast schon abgründig tropft er vor sich hin. Marian Gold bemüht die tiefen Register seiner Stimme, schleppt sich vorwärts. Alphaville fühlen sich auf "Strange Attractor" ungewohnt an. Der Opener "Giants" liefert da nur ein Beispiel von vielen.

Von Nacherzählen alter Geschichten kann diesmal kaum die Rede sein. Die Synth-Popper bewegen sich definitiv in die richtige Richtung und klingen bisweilen, als wollten sie die Schnittmenge aus Jack White und Zedd vertonen, eine Prise Earth, Wind & Fire zugeben und dabei auf gar keinen Fall die eigene Herkunft verleugnen. Ansprechend? Gerät es leider nur teilweise.

Dabei beginnt es vielversprechend. Mit "Marionettes With Halos" steht nach dem fast schon beatverachtenden Einstieg der erste Stampfer bereit. Funk-Gitarre und Hook dazu, später noch ein abgedrehtes Gitarrensolo: nicht wirklich spektakulär, aber cool. "Around The Universe" und "Enigma" liefern astreine 80er-Nostalgie, letzteres lockert die Maschinenklänge mit Klavier auf und versprüht gar etwas Bowie-Flair.

Seinen Höhepunkt erreicht "Strange Attractor" mit den beiden zentralen Stücken "Mafia Island" und "A Handful Of Darkness". Mag sein, dass beide mit gut sechs bzw. fast acht Minuten etwas zu lang ausfallen. Allerdings nutzen Alphaville diese Zeit auch, um mit psychedelisch anmutender Ruhe zu hypnotisieren und in einen Trance-Zustand zu versetzen: der ideale Soundtrack für nächtliche Autofahrten.

In "Mafia Island" herrscht Gothic-Atmosphäre, was gut zum ähnlich sparsam instrumentierten "Giants" passt. "A Handful Of Darkness" geht trotz harter Thematik (Paradiesvertröstung im Angesicht des Krieges) etwas euphorischer zu Werke und spannt weite Melodiebögen. Auch hier verzichten Alphaville aber auf dicke Arrangements, schweben geradezu. Vielleicht hätten sie sich an diese Devise albumübergreifend halten sollen, "Strange Attractor" hat schließlich noch ein paar Songs in petto.

Nach dem netten "Sexyland" beginnt, was ich inzwischen nur noch den "Bonus-Track-Teil" nenne. Angefangen bei "Rendezvoyeur" erfolgt die totale Abnabelung vom bisher einigermaßen kohärenten Soundbild. Kennt ihr diese unerträglichen Momente, in denen die Elvis-Fans The BossHoss-Synthesizer in ihre Stücke integrieren? Dann habt ihr eine ungefähre Vorstellung davon, wie das hier klingt. Denkt euch einfach noch ein wenig mehr Bumms-Lala hinzu. Sogar ans Fingerschnippen hat Marian Gold gedacht.

"Nevermore" schlägt in dieselbe Kerbe, packt aber noch schlimmere Sommerhit-Remix-Beats drauf. Kopfkino: Ihr seid in einem modernen EBM-Tempel und als gäbe die propagierte Egalität und Substanzlosigkeit noch nicht genug zu schlucken, schwingt sich auch noch ein junggebliebener 80er-Partyheld aufs DJ-Pult, schwitzt und reißt sich die enge Lederjacke inzwischen eben nicht mehr vom Sixpack, sondern vom strammen Bäuchlein.

Zum Glück funktioniert die Zeitmaschine in "Heartbreak City" wieder besser. Statt Plastik wogt Funk über den Dancefloor, und man kann guten Gewissens sagen: Das ist der Hit des Albums. Die Seine Hymne folgt direkt im Anschluss: "Beyond The Laughing Sky". Plötzlich wähnt man sich mit Pink Floyd konfrontiert, Akustikgitarre und hoher Gesang erinnern schon sehr an "Goodbye Blue Sky" und Konsorten. Das vor Hall überlaufende Gitarrensolo bestätigt diesen Eindruck nur, allerdings ragen zu diesem Zeitpunkt bereits episch Synth-Wände auf: extrafett, um den vom Trio des Todes ("Rendezvoyeur", "Nevermore", "Fever!") ausgelösten Sturz möglichst weich aufzufangen.

"Strange Attractor" will offenbar vor allem eins: zeitgemäß sein. Das gelingt in den Momenten, in denen Alphaville zeitlos klingen – "Giants", "Mafia Island" – und misslingt gründlich, wenn Marian Gold im Stile einer halbironischen Retro-Lo-Fi-Combo vollkommen ernst gemeint im Hochglanz-Studio versucht, tatsächlich Moderne mit Altertum zu verknüpfen. Das klappt so gut wie es klappte, als Madonna meinte, sie müsse Taylor Swift und Co. mit ihren eigenen Waffen schlagen.

Weniger gut als beabsichtigt klappt es auch mit dem Artsy-sein. Die Anlagen dafür wohnen dem Achtminüter "A Handful Of Darkness" und "Mafia Island" inne. Von einer Pink Floyd-Hommage ("Beyond The Laughing Sky") erwartet man sowieso nichts anderes. Recht schnell merkt man allerdings, dass die Tracks im Grunde nur aus ihrer Oberfläche bestehen, die einlädt und Lust macht, darunter noch mehr zu entdecken. Eine zweite Ebene wäre vonnöten, existiert nur leider nicht oder ging zugunsten der Retorten-Produktion drauf. Schade. Aber gut, letztere gehört bei Alphaville auch irgendwie dazu. Die Devise "Forever Young" gilt halt trotz allem auch noch 2017.

Trackliste

  1. 1. Giants
  2. 2. Marionettes With Halos
  3. 3. House Of Ghosts
  4. 4. Around The Universe
  5. 5. Enigma
  6. 6. Mafia Island
  7. 7. A Handful Of Darkness
  8. 8. Sexyland
  9. 9. Rendezvoyeur
  10. 10. Nevermore
  11. 11. Fever!
  12. 12. Heartbreak City
  13. 13. Beyond The Laughing Sky

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LAUT.DE-PORTRÄT Alphaville

Ja, es gibt sie noch und es hat sie immer gegeben. Wer kennt nicht "Forever Young", mittlerweile verhunzt von etlichen Ich-Will-Auch-Mal-In-Die-Charts-Hüpfern?

7 Kommentare mit 9 Antworten

  • Vor 7 Jahren

    Gehört 1/5. Ganz gruselige Platte.

  • Vor 7 Jahren

    Ich finde das Album ziemlich grandios - statt sich auf ihren Lorbeeren auszuruhen, wagen Alphaville viel und strecken ihre Fühler in die unterschiedlichsten Richtungen aus. Ob man davon jede mag, sei dahingestellt und ist eine Frage des individuellen Geschmacks - dem Mut gebührt aber Respekt, und nicht zuletzt dem echten Könnertum, mit dem es dieser Band gelingt, genauso souverän einen Bowie-Glamrock-Song wie "Sexyland", eine ätherische Slow-Electronica-Nummer wie "Mafia Island", das schon beinahe Puscifer-eske "Giants" oder die - wie ich finde enorm gelungene - EBM-Rock-Kombination "Nevermore" so abzuliefern, dass jedes dieser Lieder absolut zu überzeugen vermag. Auch die Produktion kann ich nicht "Retorte" finden - im Gegenteil: so detailverliebt und komplex bekommt man das doch nirgends im Radio zu hören. Den "Fetenhit"-Vorwurf kann man, finde ich, einzig dem diskomäßigen "Fever!" zu Recht machen.

  • Vor 7 Jahren

    Ein absolut grandioses Album!!!
    Die Renzesionen hier kann man getrost vergessen....lach...waren definitiv noch nie wirklich ein Massstab! Immerhin besser bewertet als das letzte Album CROG!! Das Album glänzt mit sehr vielen verschiedenen Stilrichtungen und trotzdem stellt sich das typische Alphaville-Feeling ein! Wir befinden uns im Jahr 2017 und nicht mehr in den 80ern....! Mutig und sehr kreativ finde ich Strange Attractor und für mich ein Meisterwerk! Alphaville rennt keinen
    Trends hinterher um die Charts mit einem Retro-Comebacksound zu beglücken! Für mich eines der besten Alben ihrer langjährigen Karriere definitiv! Geschmäcker sind
    natürlich verschieden, aber das Album wird je länger je besser
    und vorallem wird es durch seine musikalische Vielfalt nie langweilig!

    Meine Anspieltipps:

    GIANTS
    MARIONETTES WITH HALOS
    HOUSE OF GHOSTS
    ENIGMA
    AROUND THE UNIVERSE
    MAFIA ISLAND
    A HANDFUL OF DARKNESS
    FEVER
    HEARTBREAK CITY
    BEYOND THE LAUGHING SKY

    Einfach grandios und sehr vielfälig....und wer sich darauf einlassen kann......wird die Schönheit dieses Albums entdecken!

  • Vor 7 Jahren

    Seit wann haben The Boss Hoss Synthesizer? Man oh mann was für'n Band Name....Boss Hoss ...Ts ts.....Sind das nicht die..die Denken sie wären Amis?und Scheitern Kläglich daran das die so Uncool sind wie ne Scheibe Toastbrot?Also Alphaville mit "The Boss Hoss" zu vergleichen ist schon ne Frechheit. The Boss Hoss kommen nicht mal Ansatzweise an den Erfolg von Alphaville heran. Kurz Gesagt: Alphaville gehen neue Wege und mir Gefällt's.

    • Vor 7 Jahren

      kollege, alphaville hatten genau zwei hits. wobei ich anzweifele, dass sich der grossteil an den namen der "big in japan" folgesingle erinnern wird.
      so sehr ich the boss hoss verabscheue, aber über den erfolg von alphaville dürften the boss hoss müde lächeln.

  • Vor 7 Jahren

    ich finde das Album wider erwarten auch sehr schön, natürlich ist da auch ein wenig Melancholie dabei, wegen dem Wieder Erkennungswert von Marian Gold's Stimme. Aber ich hätte kein so gutes Album erwartet... Danke

  • Vor 6 Jahren

    Prostitute war mein (bislang) letzter Silberling von Alphaville & ihr habt mir hier den Mund (besser: meine Ohren) mal so richtig schön wässrig gemacht.