laut.de-Kritik

Komplexe Soundlandschaften zeigen: Das Debüt war kein Glücksgriff.

Review von

Mit dem Debüt "An Awesome Wave" holten sich Alt-J im Jahr 2012 den Mercury Prize vor Konkurrenten wie Django Django, Ben Howard, Jessie Ware oder Field Music.

Noch während der Tour zum gefeierten Album schrieb das damalige Quartett schon am Großteil der Songs von "This Is All Yours", über dem Rest tüftelte es in einer umfunktionierten Lagerhalle im Osten Londons. Nur drei Monate vor Aufnahmebeginn verließ Bassist Gwil Sainsbury die Band im Januar dieses Jahres. Also spielen Alt-J die Platte eben als Trio ein und machen den Personalverlust ohne Probleme wett.

Beirren ließen sie sich auch von den Forderungen des Labels nicht, die Radiotauglichkeit ihrer Singles im Auge zu behalten. Selbst die zweite Auskopplung "Left Hand Free", die die Briten angeblich in 20 Minuten eingespielt haben, um den Durst nach einem massentauglichen Hit zu stillen, reißt mit catchy Gitarrenriffs à la Black Keys, einer Prise Ironie und eher unspektakulären Beats mit, nicht zuletzt wegen Joe Newmans rau-heiserer Stimme. Der Track bleibt in seiner Kurzweiligkeit die große Ausnahme.

Das allgemeine Klangbild bleibt mit derselben vagen Düsternis und Introversion wie "An Awesome Wave" behaftet. Pop-Einflüsse, die in älteren Songs wie "Breezeblocks" oder "Dissolve Me" recht deutlich durchschienen, verarbeitet "This Is All Yours". Auch wenn der Melodiebogen in fast immer die Dauer von vier Minuten überschreitenden Songs verschwimmt, wachsen sich Monster wie "Hunger Of The Pine" trotzdem nach mehrmaligem Hören zu richtigen Ohrwürmern aus. Selbst in den sperrigsten Momenten bauen die vertrackten Soundcollagen voller Versatzstücke, Brüche, Gitarren, Percussions, Keyboardsounds und Samples eine dramaturgische Spannung auf, der man sich schwer entziehen kann.

Die Vorabsingles, das lyrisch anzügliche "Every Other Freckle" und "Hunger Of The Pine", das nach einem sanften Beat-Einstieg in einen trip hoppigen Refrain mit Miley Cyrus-Sample ("I'm a female rebel") ausartet, gehören zu den wuchtigsten Nummern des Albums. "The Gospel Of John Hurt" schraubt sich nach einem ebenfalls eher gemächlichen Beginn zu einem hallenden Finale mit viel Gitarre und Beat hoch.

Eine ganz andere Richtung schlägt "Warm Foothills" ein. Die akustische, ruhige Begleitung überlagern Vocal-Samples von Lianne La Havas, Marika Hackman, Conor Oberst und Sivu, die Newmans Vortrag ergänzen. In "Pusher" verzichten Alt-J komplett auf irgendwelche Laptopfrickeleien. Joe Newmans fast schon zu rührseligen Gesang begleiten nur folkige Töne von der Akustikgitarre.

In namentlichem Rückbezug auf das Debüt spült "Bloodflood Pt. II" die Gehörgänge mit Bläsern, Piano und polternden Bässen kräftig durch, bevor es zur Mitte hin für einige Sekunden den umgekehrten Bruch gibt und statt einer weiteren instrumentalen Steigerung nur glockenheller Gesang unterlegt mit Akustikgitarre ertönt. An ein Cover wagen sich Alt-J am Ende im Hidden Track: Bill Withers' "Lovely Day" bekommt einen elektronischen Anstrich mit der typisch Alt-J-igen Melancholie verpasst.

Trotz des vielschichtigen Aufbaus und der zahlreichen herumschwirrenden Einzelteile, die erst miteinander verbunden werden müssen, bildet "This Is All Yours" eine Einheit. Das ist zum Teil Newmans unverkennbarer Stimme geschuldet, hauptsächlich aber dem formalen und inhaltlichen Rahmen, den der Nara-Dreiteiler absteckt.

Schon von der reinen Umsetzung her wirkt er wie eine verdichtete Form der kompletten Platte: "Arrival In Nara" ist eine zurückgenommene Ballade. "Nara" beginnt mit Glockenschlägen und nimmt nach sanften "Halleluja"-Beginn eine ähnlich erdrückende Form wie etwa "The Gospel Of John Hurt" an. "Leaving Nara" spielt mit Chorgesängen und einem Wechsel zwischen dumpfen Beats und nervös vor sich hin springenden Keyboardsounds.

Nara, eine japanische Stadt, symbolisiert außerdem die Themenschwerpunkte der Platte. Gedanken von Freiheit auf allen Ebenen und die Verbindung von Artifiziellem und Natur, die sich im weitläufigen Hirschpark der Großstadt widerspiegelt, kehren in den Textzeilen wieder, durchziehen aber auch die komplexen Soundlandschaften des britische Trios: Genregrenzen existieren nicht mehr, beim Experimentieren bedient man sich jeder verfügbaren Quelle.

Lässiger Bluesrock findet Platz neben fragilen, Downbeat-Balladen, Miley Cyrus und Blockflötenklänge stellen keinen Widerspruch dar, zwischendurch hört man Wespen summen oder Vögel zwitschern ("Garden Of England"), bevor wieder elektronische Spielereien die Überhand gewinnen.

Alt-J heben die Messlatte für elektronische Pop-/Rock-Musik, die den Nerv der Zeit trifft, gewaltig an und beweisen, dass ihr Debüt alles andere als ein Glücksgriff war. Übertrumpfen können sie sich momentan vielleicht nur selbst.

Trackliste

  1. 1. Intro
  2. 2. Arrival In Nara
  3. 3. Nara
  4. 4. Every Other Freckle
  5. 5. Left Hand Free
  6. 6. Garden Of England
  7. 7. Choice Kingdom
  8. 8. Hunger Of The Pine
  9. 9. Warm Foothills
  10. 10. The Gospel Of John Hurt
  11. 11. Pusher
  12. 12. Bloodflood Pt. II
  13. 13. Leaving Nara

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LAUT.DE-PORTRÄT Alt-J

Eigentlich ein riskantes Unterfangen: Bandname, Bandlogo, Bühnenbild … bei Alt-J scheint das berühmt-berüchtigte Hipster/Chillwave/Witch House-Dreieck …

28 Kommentare mit 156 Antworten

  • Vor 10 Jahren

    Schönes Review, hab damit den Einstieg bei Alt - J geschafft. Nur....... ich bin ja so ein Korintenkacker, das hörte ich gleich nach 3 Takten, da wären 5 Points verdient gewesen. Komplexere Popmusik mit Rockversätzen und anderen coolen Versatzmitteln sind mir dieses Jahr noch nicht unter gekommen. Da höre ich z.b. die erwähnten Vögel, da ist eigentlich alles was man da hört Engelsgleich. Ein Gottesgeschenk das Album. Top 3 Album of the year.

    Gruß Speedi

    • Vor 10 Jahren

      2 und 1 ? Mich interessiert die Meinung der Anderen nun mal.

    • Vor 10 Jahren

      Mist Mister hats entdeckt, grins. Letztemal als ich Top 1 sagte, war`s am Ende glaube ich 3 (AM). Da wollte ich vorsichtig sein. Cohen könnte sein, nur ist mir Cohen schon immer zu lahmarschig. Warte ich also auf Ulf sein Review, um eine Info zu haben. Im November erscheint das "neue" Queen Album, das könnte sehr gut sein das ich das zu meinem Top 1-2 Album mache, so ähnlich wie du mit deinem MJ, Gott war das ein Grottiges Album!

    • Vor 10 Jahren

      MJ hat immerhin eine 7/10 von mir bekommen. Fuer einen Toten ist das gar nicht schlecht.Hast wohl die freshe Version von Timberland gehoert. Leonard Cohen? Da liest einer wohl den Rolling Stone. Schreibst deine Texte hier wohl mit der Schreibmaschiene. Und wieso gehst du jetzt schon aus dass cohen deine 1 wird ? Und wieso brauchste die Meinung eines schielenden Inzuchtkindes wie ulf ? Nues Queen Album ? Vll mit neuen Demo Aufnahmen. Unveroeffentlichte Songs hat Freddy wohl mit in sein schwules totes warmes grab genommen.

    • Vor 10 Jahren

      Frechdachs...... Ich hab sogar als 6 Jahriger Hanni und Nanni gelesen, den deutschen Rolling Stone lese ich selten, den amerikanischen ab und an, eher Selten. Diesmal nicht. Ulf ist ein wandelnder Musikwiki, das mag ich und lerne viel dabei. In wie weit er in "The Walking Death" eine Rolle spielt, verbergen wohl die hervorragenden Masken. MJ mein ich aber schon öfter in der Serie gesehen zu haben. Irgendwo gelesen, das May bekannt gegeben hat, im November wäre es soweit und man könne sich freuen auch die Aufnahmen mit MJ wären auch drauf.

    • Vor 10 Jahren

      Das war nun nicht in Word und ja es ist mir peinlich..........

    • Vor 10 Jahren

      Also, wie kann man denn den guten Ulf so beleidigen??
      Lehonard Cohen habe ich gestern das erste mal überhaupt gehört. Hat mich nicht so vom Hocker gehauen. Gibt es da unverzichtbare Übertracks die mir den Einstieg erleichtern könnten?

    • Vor 10 Jahren

      @lautuser
      wenn du sonntags mal in der kirche warst, muesstest du halleluja mal fluechtig mitgehoert haben. die version von max prosa ist auch ganz gut.

    • Vor 10 Jahren

      https://www.youtube.com/watch?v=pm6LO047CX4
      Ohne Ende gibt es Cover - Versionen von dem Lied. Das hier oben ist wohl die Schönste.

  • Vor 10 Jahren

    von den vorabsingles, die ich schon rauf und runtergehört habe, mal abgesehen, ist das ein monstrum von einem album. ich habs mir 3, 4 mal angehört und weiß immer noch nicht, wie ich es denn finden soll. "left hand free" wirkt jedenfalls immernoch wie in fremdkörper in diesem konzept. für innovation, mut, und detailliebe ohne dabei völlig abzudriften, verdienen die jungs aber definitiv 5 sterne.