laut.de-Kritik
Endlich zünden sie die Welt an.
Review von Rinko HeidrichDie Welt ist doof, und richtig toll sieht auch die Zukunft nicht aus. In so einer verdrießlichen Lage tun sich mehrere Optionen auf, eine davon ist die komplette Resignation, oder man schnallt sich ein paar Gitarren um und lacht dreckig über die Absurdität der Dinge. "Cartoon Darkness", so beschreiben Amyl And The Sniffers die gleichzeitig beunruhigende und auch schon lächerliche Situation, in die sich die Menschheit bewusst hinein manövriert. Es fühlt sich alles wie die Vorgeschichte zu einem Mad Max-Film an, in die Amy Taylor hervorragend als Actionfigur passen würde. Im Gegensatz zu ihrem Landsmann Mel Gibson sieht die Vokuhila-Frisur bei ihr sogar gut aus.
Genau so atemlos wie das Remake rollt seit ihrem Debüt 2019 auch der straighte Punk'n'Roll von Amyl And The Sniffers über den Hörer hinweg. Zu einem Zeitpunkt, als Rockmusik nur noch wie austauschbare Pop-Massenware klang, begeisterte 2021 ihr zweites Album "Comfort To Me" mit Kompromisslosigkeit und einer charismatischen Sängerin. Die durchgängig großartigen Live-Shows der Band taten ein Übriges.
Die Wahl, mit Nick Launey ins Studio zu gehen, zeugt erstmal von wenig Experimentierfreude, doch seine Arbeiten für Glam-Rock-Bands wie Starcrawler, aber auch für reduzierte Post-Punk-Bands wie Idles dienen als eine Art Foreshadowing auf "Cartoon Darkness". Es braut sich direkt zu Anfang ein heftiger Sturm zusammen, der stark an das Stakkato-Gebell von Idles-Sänger John Talbot erinnert. "Jerkin'" ist ein überraschend rougher Brocken direkt zum Einstieg, der jegliche Angst hinwegfegt, dass Amyl And The Sniffers mit wachsendem Erfolg sanfter werden.
Vielmehr scheint Launey verstanden zu haben, dass die Band von ihrer archaischen, wütenden Urgewalt lebt. Die Sniffers klingen immer dann am besten, wenn man sie von der Leine in die Freiheit lässt. Offen bleibt die Frage, wofür die Band das bestimmt nicht günstige 666-Studio in Los Angeles brauchte, aber natürlich schlägt man so eine Gelegenheit nicht aus. Der wunderbar punkige Demo-Charakter transportiert die Live-Energie jedenfalls so ungefiltert-roh auf den Tonträger wie ein Bootleg. Ja, es fällt schwer, diese Band von ihren Konzerten zu trennen, wo die Jungs stoisch ihren Job erledigen und Amy über die Konzertbühne schnauft, wütet und wild um sich schlägt.
Die Gefahr, nur noch auf eine Grimassen schneidende Berserkerin reduziert zu werden, steigt mit jedem Song, der das altbekannte Muster nicht verlässt. Spannender klingen "Big Dreams" oder "Bailing On Me", die eine andere, nachdenkliche Seite zeigen, oder wenn plötzlich vermehrt Glam-Rock-Elemente Einzug in den eher überschaubaren Mikrokosmos der Band halten. "Me & The Girls" erinnert mit Vocoder-Effekt und New-Wave-Sounds sogar an die frühen Blondie, nur stolpert die Band etwas zu ungelenk durch den groovenden Beat.
Dennoch ist es erstaunlich, wie viel Amyl And The Sniffers aus simplen Mitteln heraus holen. Vermutlich weil sie sich eine naive Unbekümmertheit und Freude an ihrem Beruf bewahrt haben. Es sind immer noch genau die Songs, zu denen man sich wie im Video von "Big Dreams" auf ein Bike schwingen und genug Staub aufwirbeln möchte, um alles größer wirken zu lassen, als es im Grunde eigentlich ist. Was man dabei nicht vergessen darf: Früher hätte man bezüglich des Sounds teils bewundernd, teils verächtlich, von Schwanzrock gesprochen. Schwänze findet man zwar auf ihren Konzerten immer noch zuhauf, dem Sexismus erteilt die Band aber eine knallharte Absage.
Amyl And The Sniffers verspüren nämlich keinen Bock mehr auf Sprüche wie "Nicht schlecht für eine Frau". "U Should Not Be Doing That" wendet sich genau an die Dudes, die meinen, straighter Rock müsste zwangsläufig mit einer Neandertaler-Haltung aus dem letzten Jahrhundert einhergehen, und die Rockkonzerte immer noch als Terrain für ihr Macho-Verhalten betrachten. Dudes, die sich an dem "Tiny Bikini" aufgeilen, aber gleichzeitig meinen, dass so etwas schlampig rüber kommt.
"Cartoon Darkness" beeindruckt mit grober Einfachheit. Ein Album, bei dem man sich wieder sehr jung fühlt, außer man ist es noch. Amyl And The Sniffers werfen 2024 wieder genügend Kerosin-Kanister ins Feuer, um noch einmal eine meterhohe Stichflamme zu erzeugen. Melbourne brennt bereits, und mit diesem Album zünden sie hoffentlich auch die ganze Welt an.
3 Kommentare
Ausnahmeband. Diese Frau hat Eier und nen Vollknall im guten Sinn. Album wird mit einigem Alkohol heute abend reingeballert.
Macht erneut ziemlich Bock, die Energie geht über, die kleinen Soli runden wieder schön ab und stimmlich gibt's diesmal mehr Abwechslung.
Auf Big Dreams ist Courtney Barnett bestimmt ein wenig neidisch, was eine Hymne.
This album slays hard⚡️