laut.de-Kritik
Melancholische Jungens-Lyrik ohne Klischees.
Review von Rainer HenzeDeutschsprachige Popmusik ist, anders als uns durchgeknallte Radioquoten-Propagandisten weis machen wollen, überaus hip und erfolgreich. 11 deutschsprachige Alben belegen zur Zeit die Top 20 der hiesigen Charts. Diskriminierung sieht anders aus. Und auch für Qualität ist gesorgt: in dieser Woche erscheint mit "Nah bei mir" von Anajo eines der besten einheimischen Gitarrenpop-Debüts seit langem.
Bemerkenswerterweise hat der sich anbahnende Erfolg der drei seit 1999 gemeinsam musizierenden Augsburger tatsächlich auch mit Radio zu tun. Im März 2004 kletterten Anajo bis auf Platz 5 der Hörercharts des österreichischen Jugendsenders FM4. Dort sitzen öffentlich-rechtliche Musikredakteure, die ihren Job - ganz ohne Quote - ernst nehmen und nötigenfalls auf goldene Radioregeln und Marktforschungsergebnisse scheißen. Und statt dessen Trends setzen.
Wie mit "Ich hol dich hier raus", dieser wunderbaren Hommage an den Privatermittler Josef Matula. Von einer unbekannten, ungesignten Band aus Augsburg. Vermutlich im Internet gefunden. Oder bei einem Livekonzert entdeckt. So wurde Anajos erste Single zum Hit, lange bevor sie Single war. Das feine Hamburger Label Tapete holte das nach, dort erscheint nun das erste 'richtige' Album der Anajos.
Und der Doldingers "Ein Fall Für Zwei"-Titelthema zitierende Matula-Song stellt bei weitem nicht den einzigen Hitkandidaten. Schließlich ist dieses 'Debüt' quasi eine Best-Of-Sammlung der vergangenen fünf Jahre, in denen Anajo unermüdlich Demo-CDs eingespielt und auf Konzerten oder im Web selbst vertrieben haben. "Lang lebe die Weile", "Monika Tanzband", "Honigmelone" oder "Lass uns sein, was wir sind" sind allesamt potenzielle Singles.
Anajo finden ihre eigene Sprache, mutig und direkt, nicht akademisch und gestelzt, nicht klischeebehaftet und plump. So viel Authentizität und Originalität in melancholischer Jungens-Lyrik ist selten. So selten, dass gestandene Musikkritiker ob der mitreißenden Unmittelbarkeit Anajoschen Liedguts zaghaft erste Parallelen ziehen zu niemand geringerem als den jungen Tocotronic. Völlig abwegig ist das nicht. "Ich habe die Annahme, du bist eine Ausnahme" singt Oliver Gottwald so unkompliziert, leicht und selbstverständlich, wie nur wenige. Er wählt die richtigen Worte, trägt sie klug und prägnant vor, und nur sehr oberflächliche Betrachter können das bisweilen komisch finden. Anajo schlagen die meisten hier und jetzt rumschrammelnden Sportskameraden um Längen.
Ihr Musikkleid ist frischer, luftiger, absolut zeitgemäßer Gitarrenpop mit dezent verspielten Elektronik-Elementen. Ohrwurmmeldodien im Dutzend. Radiotauglich wäre das alles. Vielleicht ist ja bald, gänzlich unquotiert, nicht nur deutsch hip, sondern auch gut.
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