laut.de-Kritik
"Mit Verlaub, Sie haben da etwas Sternenstaub."
Review von Artur SchulzZiemliche gefährliche Angelegenheit, Anna Depenbusch nur so probeweise mal kurz ein Ohr leihen zu wollen. Denn unversehens steckt man rettungslos mittendrin in ihrer Musik und ihren Texten. Mehr noch: man geht auch nur allzugern und bereitwillig komplett darin unter. Das Intro "Herzlich Willkommen" verdient mit Annas Megaphonstimme, gewinnender Melodieführung, vereinnahmenden Beats und einer Prise Charlestonflair der zwanziger Jahre auf Anhieb gute Noten.
Die eigentliche Reise beginnt mit dem Titeltrack "Sommer Aus Papier" und lässt beim Zuhören wohlige Ratlosigkeit zurück. Ist das nun Pop, Liedermacherei, Schlager oder Chanson? Wahrscheinlich alles von allem. Und dabei gleichzeitig homogen, lebendig, leichthändig, und immer wieder von sanfter Melancholie durchzogen inszeniert.
Die "Karaokenacht" geht mit ihrer schillernden Dynamik glatt als eine Art britisch angehauchtes Indie-Pop-Experiment durch. Das hanseatisch-maritime Booklet-Outfit passt natürlich nur zu gut zur Hamburgerin. Hemmungslos frönt sie den optischen Attitüden der 50er Jahre-BRD als bekennendes Matrosenfräulein. Dahinter steckt Kalkül, denn die erwachsene Musikerin gibt (künstlerisch) gern das Mädchen Anna, das sich der Führung durch Frau Depenbusch anvertraut. Oder umgekehrt, denn aufs spielerische Verwirren von Zuhörern versteht sie sich bestens. "Benjamin" bietet den überzeugendsten simulierten Orgasmus seit "Harry Und Sally".
Anna ist eine ausgesprochene Männerversteherin, wie das rhythmisch prärienachtbetonte "Hey Cowboy" beweist: "Glaub' mir, ich habe nichts gegen Männer, die weinen / bestimmt ist es anstrengend / immer Cowboy zu sein." Lebendige Menschen (oder Anna selbst) stehen im Mittelpunkt ihrer Songs, mit ihren Erlebnissen, Erfahrungen und Träumen. Das alles inspiriert umgesetzt, pointiert zugespitzt und von viel feinem Humor durchwoben.
Wenn auch Manches zunächst vordergründig ganz harmlos und traditionell daherkommt: jeder Depenbusch-Song entwickelt früher oder später ein einzigartiges Eigenleben. Originell und berührend: Themenwahl und Umsetzung der leisen Nummer "Vom Leben Als Gespenst". Doppelbödigkeit ist Trumpf bei dem Kleinod um einen Ehemann, der seinem Leben am Strand von Santa Maria einen neuen Sinn geben will: "Der Mann, den er im Spiegel sieht / scheint langsam zu verblassen / ganz transparent / wird auch sein Hemd / fast unsichtbar steht der nun da / verschwommen, ohne Konturen."
Die Produktion ist luftig und warm gehalten, natürlich begleitet sich die Künstlerin wieder selbst am Klavier. Die aktuellen Band-Mitglieder zeigen sich erlesen ausgewählt, und agieren durchweg hochkarätig. Neben Gitarrist und Mundharmonikaspieler Ulrich "Ulle" Rode (San Glaser) sorgt besonders die vielseitige Anne de Wolff (Ulrich Tukur, Wolfgang Niedecken, Calexico) mit beseelter Percussion, Geige und Cello für viel Atmosphäre.
"Sommer Aus Papier" weckt mit seine emotionalen Unbekümmertheit Assoziationen an schillernde Oplaten-Glanzbilder in den Poesiealben der Mädchen analoger Jahrzehnte. Was der Vorgänger "Die Mathematik Der Anna Depenbusch" bereits mehr als nur gelegentlich anklingen ließ, findet im "Sommer Aus Papier" seine Bestätigung: sehr rasch ist die Künstlerin in die jene deutsche Oberliga aufgestiegen, in der bereits Chansonette Kitty Hoff und die singende Lyrikerin Lydia Daher feste Plätze belegen.
Als Schlusszitat mögen zwei Zeilen aus "Herzlich Willkommen" dienen: "Darf ich sagen, mit Verlaub / sie haben da etwas Sternenstaub," weist sie einen Gast auf den Zustand seiner Kleidung hin. Wundert mich nicht. Denn den Ort, an dem der Zauberstab für derlei funkelnden Flitter versteckt ist, kennt Anna ganz bestimmt nur zu genau.
4 Kommentare
Ja, ein ziemlicher Hammer, diese Fr. Depenbusch. Überrascht nach ihrer verkopft und fein arrangierten Mathematik nun mit musikalisch locker-leichtem Sommeralbum zu schwer trübem Herbst. Das nötige Gewicht bringen die zugehörigen Texte.
Für Fr. Depenbusch im deutschen Musikzirkus bin ich echt dankbar. In der letzten Woche gab es mit ihr und Sophie Hunger zwei Mal erste Wahl fürs Damenregal, und die beiden haben diese Woche mit Bat for Lashes gleich noch schwerwiegenden Zuwachs bekommen...
Es ist schon ein gutes Album geworden, aber irgendwie glaube ich nicht, daß es so eine Langzeitwirkung entfalten kann wie die "Mathematik", wo man auch beim x-ten Hören noch eas Neues entdecken kann. Aber für ein kleines Album für Zwischendurch ist es sehr schmackhaft ausgefallen. Und ich muß mich wohl mal nach Live-Terminen umschauen, denn ich glaube, das könnte wirken.
Gruß
Skywise
auch wenn das Artwork ganz klasse ist, aber die Musik ist ganz grausamer und harmloser Schlager, wenn man mal ehrlich ist... und selbst in dem Metier gibt es besseres *urgs
@herrMartin:
Manchmal hilft es, auch die Texte in seine Bewertung einfließen zu lassen. Und die sind durch die Bank handwerklich absolut in Ordnung und inhaltlich recht pfiffig, teilweise kommen sie auch mit einem netten doppelten Boden daher oder mit einer ungewöhnlichen Wendung. Mag sein, daß sie ihre Inspiration mit aus dem Schlager-Bereich bezieht - muß ja nicht zwangsläufig was Schlechtes sein -, aber das, was sie macht, geht schon über das Übliche hinaus.
Gruß
Skywise