laut.de-Kritik
Die "Supertalent"-Jurorin verhebt sich an übergroßen Vorbildern.
Review von Dominik LippeWer buchstäblich ab dem Moment seiner Zeugung durch die Boulevardpresse gepeitscht worden ist, verdient in erster Linie Ruhe, ein bürgerliches Leben außer Sichtweite roter Teppiche. Anna Ermakova geht - hoffentlich selbstbestimmt - in die entgegengesetzte Richtung. Mit vierzehn trat sie als Model auf der Berlin Fashion Week auf, mit 17 zierte sie als Cover Girl Modemagazine, mit 23 tanzte sie bei "Let's Dance" und urteilte neben Dieter Bohlen bei "Das Supertalent". Nun strebt sie eine Gesangskarriere an: "Mit diesem Album mache ich nun den nächsten Schritt, meine Träume zu verwirklichen."
Zu den Mankos ihres Debütalbums zählt das übergestülpte Konzept, das sich schon im Titel "Behind Blue Eyes (The Movie Album)" verbirgt. "Dieses Album bedeutet für mich eine Art Erforschung von Musik, Filmen und all den Emotionen, die das Leben zu bieten hat", erklärt Ermakova dazu. "Sich mit Musik und Filmen aus den verschiedensten Lebensbereichen, Kulturkreisen und Epochen zu beschäftigen, bringt immer neue Lernerfahrungen mit sich. Und ich bin überzeugt, dass Bildung der Schlüssel zu persönlichem Wachstum und Entwicklung ist, um letztendlich ein besserer Mensch zu werden."
Um die hochgestochenen Worte einmal zu übersetzen: Ermakova covert auf ihrem Debüt Songs, die ihr schon einmal in Filmen zu Ohren gekommen sind. Entgegen ihrer eigenen Ausführungen entstanden besagte Stücke aber zumeist völlig unabhängig von den filmischen Werken, auf die sie sich explizit bezieht. Da wirkt es merkwürdig ahistorisch, einen Gassenhauer wie Depeche Modes "Enjoy The Silence" der Netflix-Miniserie "Halston" zuzuordnen oder sich mit Frank und Nancy Sinatras "Something Stupid" vor "ihrem Soundtrack-Beitrag zur HBO-Produktion 'The Many Saints Of Newark'" zu verbeugen.
"Sweet Dreams", ein oft kopierter Synthie-Pop-Klassiker, den selbst K.I.Z. auf "Böhse Enkelz" verwurstet haben, führt sie einigermaßen irreführend ein: "Als ich aufwuchs, waren die 'X-Men' eine meiner absoluten Lieblingsserien. Ich mag die Idee, dass Superhelden einfach Menschen sind, die ein wenig anders geboren wurden und oftmals missverstanden werden, wenn sie mit vereinten Kräften für Wunder sorgen." Gewagt ist es besonders, die eigene Gesangskraft mit Annie Lennox' zu vergleichen. So wandelt Ermakova schläfriger durch den konturlosen Nachbau als Joe Biden durch eine TV-Debatte.
Geschichtsvergessen geht sie auch vor, wenn sie ihren Songs den Urheber zuordnet. Statt auf Elton John bezieht sie "Sorry Seems To Be The Hardest Word" auf die eher witzlose Fassung von Mary J. Blige, die sie in "Bridget Jones - Am Rande des Wahnsinns" entdeckt hat. Für ihre Interpretation zieht Ermakova die Spieluhr auf, um sie endgültig in ein Schlaflied zu verwandeln. "Behind Blue Eyes" stellt wiederum eine Neuauflage von Limp Bizkits Version zum Horror-Thriller "Gothika" dar. Andächtig hauchend verschiebt sie das ursprünglich bodenständige Stück in Richtung sakralen Electro-Pops.
Dem Alternative Rock der Goo Goo Dolls ("Iris") aus "Stadt der Engel" fügt Ermakova keinen Mehrwert hinzu. Stattdessen scheint sie sich im Himmelsboten-Thema des Films etwas zu sehr zu erkennen: "Ich kann mich gut mit den Worten identifizieren, weil auch ich mich oft sehr missverstanden gefühlt und mir gewünscht habe, für das akzeptiert zu werden, was ich bin." Für "Love Her Madly" begnügt sie sich wiederum damit, dem Bluesrock-Vorbild von The Doors vampirgleich die Lebensenergie auszusaugen. Und auch "You Spin Me Round (Like A Record)" klingt vor allem ermattet.
Je weiter sich die Nachwuchssängerin jedoch vom Original entfernt, desto vorzeigbarer fallen die Ergebnisse aus. Die psychedelische Hymne "Somebody To Love" verpflanzt Ermakova eher ins Urbane. Aus dem entfesselt treibenden Klassiker bastelt sie einen Song zum Wachwerden am Sonntagmorgen. Und mit "Enjoy The Silence", einem der größten Konsens-Lieder jemals, vollbringt sie ein kleines Highlight. Das gelingt ihr, indem sie dem "Violator"-Hit seiner Synthie-Pop-DNA beraubt und ihn kontraintuitiv ins Analoge verlagert. In dieser bescheidenen Atmosphäre überzeugt dann auch ihre Stimme.
Dennoch bleibt es fraglich, wie sinnvoll es für sie ist, sich über weite Strecken an übergroßen Vorbildern zu verheben. "Auf diesem Album geht es um Selbstspiegelung, um ein wenig Nostalgie und letztendlich auch um Selbstfindung", erklärte Anna Ermakova ihren Ansatz vorab. Doch um diesem Ziel nahezukommen, hätte sie kleine, für sie charakteristische Vorbilder wählen und auf ein überkonstruiertes Film-Musik-Konzept verzichten müssen. Und es hilft ihr auch wenig, wenn ihr Label die fehlende Erfahrung als "Achterbahnfahrt großer Gefühle einer jungen Ausnahmekünstlerin" überkompensiert.
6 Kommentare mit 3 Antworten
Man kann doch nicht einfach so tun, als wäre man Lana Del Rey und mit der Attitüde dann einen Haufen toller Originale so verwursten. Kunstfreiheit? Wo ist die Kunst?
Naja, die hat frei. Ist halt also kunstfrei.
"Achterbahnfahrt großer Gefühle einer jungen Ausnahmekünstlerin" mmd
Ansonsten ganz fiese Musi - für den ZDF Fernsehgarten bestimmt. Ich verstehe auch die Zusammenstellung der Songs nicht. Klassiker mit 90s Dance vergewaltigt und dann 60s Classic Mix in einem "was immer das sein soll" Remix. Zum Glück funktioniert Autotune (z.T. zu gut oder soll das dann die Hommage an Cher sein?)
Wahrscheinlich in der Besenkammer aufgenommen.
Autsch.
Irgendwann könnte Rick Rubin "The Broom Closet Sessions" produzieren. Hautnah und intim.
Was man nicht alles macht um nicht arbeiten zu müssen.
Ich find die süß. Kenne nur einen Song und da war die Performance nice.
Endlich bekommt Fred Durst die verdiente Anerkennung