5. März 2018

"Meine Phantasie hat sich selbst degradiert"

Interview geführt von

Mit "Dead Magic" ist Anna von Hausswolff ein großer Wurf gelungen. Einmal mehr beleuchtet die schwedische Musikerin mit ihrem "Funeral Pop" die Realität des Todes und schuf ein Werk zwischen Hoffnung und Verzweiflung. Im tonalen Zentrum: Die Kirchenorgel, ein Instrument, das von Hausswolff bereits seit ihrem Longplayer "Ceremony" nutzte.

Aufgenommen wurde "Dead Magic" in der Kopenhagener Marmorkirken, einer alten Marmorkirche, auf dem dortigen Instrument. Als Produzent war Randall Dunn (unter anderem Sunn O))), Marissa Nadler) mit dabei.

Wir trafen Anna von Hausswolff in Berlin, um mit ihr über die alles andere als leichte Entstehungsgeschichte von "Dead Magic", ihre Liebe zur Orgel sowie ihren Arbeitsprozess zu sprechen.

Lass uns über deine Beziehung über die Kirchenorgel sprechen. Wann kamst du zum ersten Mal mit diesem Instrument in Berührung?

Das erste Mal, dass ich jemals einen Finger auf die Taste einer Kirchenorgel legte, war, als ich mein Album "Ceremony" aufnahm. Davor hatte ich mich viel in diese Thematik eingelesen – ich bin ja eine ausgebildete Pianistin. Ich entwickelte ein großes Interesse, eine Faszination mit diesem Instrument. Ich begann damit, über die Mechaniken zu lernen, über die Sounds, die eine Orgel produziert und die Möglichkeiten, die man damit hat. Ich hatte auch einen Lehrer, der in Göteborg auch Kirchenorgeln baut. Er gab mir eine genaue Idee davon, was mich denn erwarten würde, wenn ich mit dem Orgelspiel begänne oder aufnehmen würde. Damit war meine Passion entfacht – und ich begann, für "Ceremony" Musik für die Kirchenorgel zu schreiben. Mein Lehrer half mir dabei, eine Orgel zu finden, auf der ich aufnehmen konnte. Er spielte mir Samples dieser Orgel vor, damit ich ein Verständnis dafür entwickeln konnte. Der erste Tag der Aufnahmen zu dem Album war auch der erste Tag, an dem ich dieses Instrument zum ersten Mal spielt. Es war fantastisch, so viel besser, als ich mir das je vorgestellt hätte. Der Klang ist so riesig, so massiv. Man kann es gar nicht verstehen, wenn man nur Clips anhört. Keine Aufnahmen tun diesem Klang Genüge, auf gewisse Weise nicht einmal meine eigenen. Ich hoffe mein Produzent Randall Dunn liest das nicht (lacht). Die Kirchenorgel ist einfach ein wundervolles und komplexes Instrument, mit dem man viel Zeit verbringen muss, um es zu verstehen.

Wie ist es, die Kirchenorgel in einem Live-Kontext zu nutzen?

Live setzte ich sie zum ersten Mal 2014 ein, bei einer Solo-Show in England. Es war eine Auftragsshow für Touch, ein experimentelles Label. Es ging um ein Arrangement für Chris Watson, Hildur Gudnadottir und mich. Ich wurde ermutigt, mit der Orgel anzustellen, was auch immer mir in den Sinn kam. Ich schrieb dieses Stück "Källan", das ich präsentierte. Es war wirklich hart, sehr herausfordernd. Ich hatte diese Idee darüber, wie ich dieses Stück spielen wollte, welche Klänge ich nutzen wollte. Aber als ich in die Venue kam, gab es sehr viele Restriktionen darüber, was erlaubt war und was nicht. Die Crew in dieser Kathedrale fand, ich würde zu laute Musik spielen. Ich sagte: "Aber das ist doch ein akustisches Instrument und es wurde doch dafür geschaffen, all diese Geräusche und Klänge zu produzieren!" Ich verstand nicht, was sie sagten. Sie meinten beispielsweise "In dieser Sektion darfst du die Rohrflöten nicht nutzen." Das sind Pfeifen mit einem sehr starkem, scharfen Klang, die sehr viele Obertöne produzieren. Sehr laut – und genau mit denen wollte ich unbedingt arbeiten. Dann musste ich also umdisponieren, das Stück hier und da rearrangieren. Eine Stunde vor dem Konzert, kurz nach meinem Soundcheck, kamen die Kirchenleute zum Promotor und meinten, dass ich die Rohrflöten überhaupt nicht verwenden dürfe. "So spielt man keine Orgel, das ist zu laut", so deren Ansage. Der Promotor entschuldigte sich bei mir und erklärte mir, was ich nicht benutzen durfte. Ich fühlte mich schikaniert und beleidigt. Aber ich musste mich anpassen, es war eine Henry-Willis-Orgel, ein legendäres Instrument – alt und fragil. Ich konnte keine Risiken eingehen, rearrangierte einiges um und nahm fast alle Rohrpfeifen raus. Ein paar wenige behielt ich dann aber doch drin. Alles in allem muss ich sagen, dass das ein absoluter Albtraum war – aber ich kam lebend raus und es wurde ziemlich gut. Mike Harding, der Chef von Touch, schnitt den Abend mit und veröffentlichte den Mitschnitt auf seinem Label. Mit dem Stück arbeite ich immer wieder, es taucht immer wieder und überall bei mir auf. Es ist für mich wie eine Komfortzone, kleine Melodiebögen, von denen ich mich einfach nicht trennen kann.

"Es war ein sehr hoffnungsloser Gemütszustand"

Wann hast du mit den Aufnahmen zu "Dead Magic" begonnen?

Normalerweise beginne ich einen Arbeitsprozess mit einer Idee, einer Art Gefühl, eine Energie oder einer Vision. Ich versuche dann zuhause und im Studio, einen guten Ausdruck, eine gute Präsentationsweise für diese Vision zu finden. Bei diesem Album war es aber ganz merkwürdig. Ich war in einer Phase, in der ich nichts fühlte. Es war ein passiver, sehr hoffnungsloser Gemütszustand. Ich dachte, ich hätte meine Kreativität und meine Vorstellungskraft verloren. Ich fiel in ein Loch. Es war so seltsam, ich hatte diese sehr dunkle Vorstellungskraft, die mir einreden wollte, dass ich keine hätte. Ein sehr widersprüchlicher Prozess. Meine Phantasie hat sich gewissermaßen selbst degradiert und dekonstruiert. Für mich ist Musik immer ein Ausweg aus solchen Phasen, Eskapismus und Therapie. Ich machte einfach damit weiter, Musik zu machen – so wie ich das immer schon tat. Ich konnte aber die Magie nicht fühlen. Nach und nach schaffte ich es aber, mich aus diesem Loch zu befreien, dabei half mir die Musik sehr. Ich begann, die Dinge wieder zu schätzen. Meine Neugier kam wieder ans Licht, meine Kreativität tauchte wieder auf, meine Phantasie kam zurück. Natürlich waren sie immer schon da, aber ich begann eben, die Dinge wieder positiv wahrzunehmen. Ich kam wieder raus – aber alle Songs, die du auf diesem Album hörst, stammen aus dieser Phase. Heute kann ich schwer darüber sprechen, was in mir damals vor sich ging. Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Sie bedeuten mir aber heute viel, ich kann den emotionalen Grundkern nachvollziehen, die Energie ist immer noch da. Aber die Geschichte heute ist anders.

Bringen dich die Songs wieder an diesen dunklen Ort in deiner Psyche zurück, wenn du sie performst – oder als du sie schließlich aufnahmst?

Sie bringen mich in einen speziellen Gemütszustand – aber nicht mir in diese Passivität. In den besten Momenten der Aufnahme komme ich aber an diesen Kern heran, der immer noch da ist. Heute fühle ich viel mehr Energie, meine Kreativität ist wieder da, ich bin viel mehr in Kontakt mit meinem imaginativen Geist. Ich kann die Dinge viel klarer sehen. Ich habe Visionen, sehe Landschaften, Farben. Ich kann bei Spielen besser assoziieren. Ich denke heute über die Stücke anders, das glaube ich wirklich.

Bist du permanent am Schreiben oder setzt du dir einen gewissen Zeitrahmen?

Ich arbeite eigentlich durchgehend, denke über Musik nach, bin immer auf der Suche, auf der Lauer. Ich spiele nicht dauernd, aber ich denke immer daran auf eine Art und Weise. Ganz schön obsessiv. Wenn ich finde, dass ich eine wirklich gute Energie habe, dann möchte ich das auch immer gleich einfangen, mir ein Instrument hernehmen, ins Studio gehen, das ich in Göteborg habe. Dann bin ich immer recht schnell dabei, diese Energie einzufangen – denn die kann auch ganz schnell wieder weg sein. Es kann schon ganz schön stressig sein.

Wenn du an etwas derart Intensivem arbeitest – versuchst du, die Außeneinflüsse auf ein Minimum zu reduzieren und dich davon zu isolieren?

Ja, das denke ich schon. Wenn ich wirklich im kreativen Prozess bin, dann höre ich gar keine andere Musik. Dann habe ich schließlich so viel Musik in mir und überlege, wie diese klingen muss. Meine Ohren müssen frisch bleiben und auch mal ihre Ruhe bekommen vor den Aufnahmen. In solchen stressigen Phasen blende ich alles andere aus. Aber in friedvolleren Zeiten, wenn auch Zeit dafür habe, dann höre ich jeden Tag Musik. Ich bin eine Musiksüchtige. Ich suche immer nach neuen Dingen, die mich anspornen oder inspirieren – oder einfach jene Emotion unterstreichen, die ich zu dieser Zeit habe.

Wenn du ins Studio kommst: Ist deine Musik da bereits durcharrangiert oder wird auch dort experimentiert.

Wenn ich ins Studio gehe, sind die Stücke fertig. Aber wenn ich die Musik schreibe und die Band einlade, zum Prozess dazu zu stoßen, dann halte ich alles offen, bin auch offen für ihre Ideen. Die Struktur steht da aber bereits, ich erkläre meinen Musikern die Dynamik, die mir im Kopf rumschwebt und das, was ich erreichen will mit dem Song. Dann geht es um einen gemeinsamen Dialog, um Kommunikation – aber auch darum, sie einfach spielen und inspiriert sein zu lassen. Sie sollen fühlen, dass es Raum für ihre Ideen gibt, sie müssen auch eine Art Freiheit verspüren. Es muss Raum für Kollaboration geben.

"Ich wollte einen einzigen langen Song machen"

Welche Rolle spielte dabei Produzent Randall Dunn?

Seine Rolle ist, dass er die einzelnen Klänge auseinander nimmt, diese versteht, wieder zusammensetzt und somit Harmonie erschafft. Er soll meine Vision einfangen und eine gute, repräsentative Dynamik finden, die ins Album-Format passt. Ich bin ja Livemusikerin, und manchmal passt das, was man live macht, nicht zwingend auf ein Album. Sein Job ist es, objektiv zu sein, auch mal vorzuschlagen, Sachen zu kürzen, Vorschläge zu machen. Er kam mit innovativen Vorschlägen an und es lag dann an uns, es zu tun oder nicht. Er war ein toller Kollaborateur, das muss ich sagen. Es war inspirierend, mit ihm zusammenzuarbeiten.

Du hast das Album in der Kopenhagener Mamorkirken aufgenommen. Erzähl doch etwas über die Kirche und die dortige Orgel.

Randall hat die dortige Orgel schon mal für eine dänische Band aufgenommen. Er schlug vor, dass wir dort aufnehmen könnten. Ich war zuerst etwas skeptisch, weil die Orgel nicht so groß war, wie ich mir das vorgestellt hatte. Er sagte aber, dass die Orgel phänomenal klinge und dass er mir Soundclips senden könnte. Ich vertraute ihm und sagte: "Lass es uns machen". Ich kannte die Kirche, da ich dort bereits mehrere Konzerte gesehen hatte. Ich wusste, dass diese Kirche nicht so konservativ war in ihrem Umgang mit Künstlern. Es war befreiend, sich dort willkommen zu fühlen und zu wissen, dass sie meiner Musik gegenüber offen waren.

Wie lange habt ihr dort aufgenommen?

Nur zwei Tage. Das ging wirklich schnell, fast schon maschinell. Reinkommen, den Job machen, so effizient wie möglich sein.

Das stelle ich mir ganz schön heftig vor, wenn man auf dieser Orgel noch nicht gespielt hat, man muss sich damit ja erst einmal vertraut machen, nehme ich an.

Es gab dort einen Typen, der mich relativ schnell in das Instrument eingeführt hat. Ich weiß jetzt ja aber generell, wie Kirchenorgeln funktionieren – und wenn es nicht etwas ganz Spezifisches am jeweiligen Instrument gibt, muss man mir das nicht mehr erklären. Er meinte also nur "Okay, dass machst du hier und jenes hier", die Handhabung war sehr leicht. Ich glaube, wir haben die Atmosphäre des Raums gut eingefangen und haben auch einen spielerischen Umgang mit dem Instrument hinbekommen, trotz des Zeitdrucks. Es war uns wichtig, dass es noch Zeit für Improvisation gab, für Experimente. Ich glaube, das ist wesentlich, wenn man etwas Neues an einem Instrument finden möchte.

Die Verspieltheit?

Ja, die Verspieltheit. Man weiß, was man machte möchte und fokussiert sich dann genau darauf: dieses eine Ding, diesen einen Stop, der dann diesen einen Sound produziert und man spielt dann auf diese eine Art und Weise. So kann aber nichts Unerwartetes passieren, weil man ja schon alles vorab weiß. Es macht aber viel mehr Spaß, wenn es Platz für Experimente gibt. Es sind schließlich diese unerwarteten Sounds, die dich inspirieren und dich dazu verleiten, neue Gebiete zu erkunden. Man muss halt Prioritäten setzen: Man beginnt mit dem, was einen am wichtigsten ist und arbeitet sich da durch. Wenn man dann zwei Stunden übrig hat, dann kann man frei sein und ein wenig rumexperimentieren.

Die Songs sind ja etwas länger als auf den vorigen Alben. War das eine bewusste Entscheidung?

Ich hatte eine Vision, einen sehr, sehr langen Song zu machen – eine ganze Stunde lang, der richtig fließt. Das war die ursprüngliche Idee. Aber dann ging ich durch diese emotionale Phase, alles wurde irgendwie anders und schlussendlich wurden es fünf Stücke. Ich wollte aber einen einzigen Track machen. Wenn ich Musik schreibe, sitze ich und spiele immer wieder die selben Patterns. Dann verliere ich mich darin und variiere. Dadurch bin ich total präsent und verliere mein Zeitgefühl. Wenn die Zeit kommt, dann gehe ich zu etwas anderem über, aber ich erzwinge das nicht. Ich nehme diese Sessions immer auf – und die sind immer sehr lang. Daraus kann ich dann die besten Stücke nehmen und die konzentrieren.

Das klingt nach Meditation.

Ja, ich denke, dass es definitiv der Meditation sehr nahe kommt.

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