laut.de-Kritik

Helene Fischer, Bilderbuch, The Cure: Annett louisanisiert sie alle.

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"Hello? Is it me you're looking for?" Warum dürfen Platten erscheinen, die mit einem Lionel-Richie-Song beginnen, der nicht "Easy" heißt? Schlimmer: Mit einem Richie-Song, bei dem man sich ernsthaft den Schlonzking persönlich zurück wünscht, weil allein die Art und Weise, wie Annett Louisan das Wort "Hello" duckmäuserisch in den Raum ventiliert, jegliche im Vorfeld selbstauferlegte Fairness diesem Tonträger gegenüber atomisiert?

Fragen, die sich freilich nicht geziemen als ernsthaftem Musik-Journalisten, zumal man früher ja selbst gecovert hat, damals, als erfolgloser Hobbymusiker, den nichts anderes als die andauernde Erfolglosigkeit in die Arme des Berufsfelds Musikkritiker getrieben hat. Doch mein Scheitern soll hier nicht die Hauptrolle einnehmen, dafür haben wir ja Louisan.

Die 43-Jährige hat es in den Nullerjahren weit gebracht mit ihren perfekt durchchoreographierten Bausparer-Chansons. Dabei profitierten Songs wie Person von einer nicht nur männliche Beschützerinstinkte weckenden Lolita-Zierlichkeit. Erstaunlich viele Menschen fühlten sich von ihrem Barjazz-Swing abgeholt und bemuttert. In einer aufgekratzten Wir-sind-wieder-wer-Deutschpop-Welt voller Silbermonds und Tokio Hotels wirkte ihre gesäuselte Sepia-Offerte so nervenberuhigend wie eine Tagesschau mit Dagmar Berghoff.

2016 musste die frischgebackene Mutter dann in den Promi-Recall "Sing Meinen Song" nach Südafrika. Dort reifte die Idee eines vogelwilden Coveralbums, das in "Berlin, Kapstadt, Prag" mündete, doch es genügte nicht. Nach Rammstein, Bowie und Ich + Ich müssen nun Bilderbuch, F.R. David ("Words"!), Cutting Crew, Helene Fischer und The Cure dran glauben. Eine Generic-Hit-Playlist aus den feuchtesten Träumen jeder Marketingabteilung, von der wahrscheinlich auch der kluge Rat kam: Komm, lass den Xavier bitte weg, Annett, das passt auch so.

Alles andere, was nicht bei 3 auf den Bäumen ist, wird louisanisiert. Dem piepsigen Beginn in "Hello", halbwegs überraschend umgesetzt in einer Mambo-Kurt-Version, folgt die "Bitter Sweet Sympony", erwartbar professionell pastellisiert von der Schmetterlingsfee des Zerstreuungspop. Im direkten Vergleich muss man anerkennen, dass ihre zarte Stimme und die gelegentlich hohen, vokalen Ausbrüche in "I Want It That Way" zur subtilen Akustikgitarre die perfide Pop-Perfektion der Backstreet Boys angenehm erden.

Vom "Bungalow" bekommen wir genau einen Raum zu sehen, denn Annett favorisiert bekanntlich den Schlafzimmerblick, alles ist plüschig und verschwommen, ein Song wie in Watte. Gut, das Barpiano am Anfang könnte natürlich auch von Götz Alsmann stammen, überhaupt, Louisans Band spielt tadellos, wie man in der Musikschule so sagt. Das eigentliche Problem artikuliert sie in den Lyrics selbst: Wer leiht ihr mal schnell einen Lader? Annett braucht Power für ihren Akku. Und zwar dringend.

Auch die sakrosankten The Cure, für dreieinhalb Minuten im Jahr 1992 mal eine niedliche Radio-Pop-Band, erfüllen mit "Friday I'm In Love" Annetts hohe Mitsummanforderungen, wobei sie sich hier sogar halbwegs schadlos aus der Affäre zieht. Dass sie auf diese Weltband ernsthaft "Atemlos" von Helene Fischer folgen lässt, zeigt eine ungeahnte Gefühlskälte, die man so bislang nur bei Heino beobachten konnte. Ein Affront an alle, die jemals tagelang über einer Mixtape-Playlist für die Angebetete saßen. Wen's interessiert: "Atemlos" arrangiert sie als Halb-Ballade und führt darin Vocoder-Effekte vor.

Wenn Jochen Distelmeyer "Toxic" singt, verleiht er dieser anschmiegsamen Pop-Melodie etwas Herbes, Argwöhnisches. Wenn Annett Louisan "Reality" aus "La Boum" singt, fehlt einfach jegliche Kontur oder Reibungsfläche. Dafür hat sie neue Ideen, singt hier zum Beispiel die Keyboard-Melodie einfach mit, das hatte Richard Sanderson ja absurderweise vergessen: "Da-da-daaaa, da-da-daaaa."

"Somewhere Over The Rainbow" schließlich holt einen noch mal runter: Angenehm jazzig vorgetragen, die Instrumentierung schiebt Louisans Stimme in den Hintergrund, sofern man das sagen kann. Dann flicht das Klavier ganz unscheinbar die Melodie von "I Love You Just The Way You Are" ein und verdammt, es passt wirklich genau, verrückt, da müssen Profis am Werk sein. Letztlich aber auch nur ein sehr schmaler Lichtblick eines harmoniebesoffenen, auf lässig getrimmten Werks. Annett Louisan wirkt wie eine Karusselpferdchendresseurin, immer lächelnd, omnipräsent, kundenfreundlich, während die Musik sich dreht und dreht und es einem irgendwann ganz schwindelig wird.

Trackliste

  1. 1. Hello
  2. 2. Bitter Sweet Symphony
  3. 3. I Want It That Way
  4. 4. Bungalow
  5. 5. (I Just) Died In Your Arms
  6. 6. Words
  7. 7. Eternal Flame
  8. 8. Friday I'm In Love
  9. 9. Atemlos Durch Die Nacht
  10. 10. Nights In White Satin
  11. 11. Marleen
  12. 12. Reality
  13. 13. Torn
  14. 14. Somewhere Over The Rainbow
  15. 15. Bungalow (Single Edit)

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