laut.de-Kritik

Ein Album wie ein Lucky-Luke-Comic: Für jeden etwas dabei.

Review von

"Bekannt aus Funk und Fernsehen, mit Preisen überhäuft / Mit dem Album in den Charts, weil es einfach läuft", resümieren die Antilopen die Zeit nach ihrem Erfolgsalbum "Aversion" auf "Das Trojanische Pferd". "Auf die Quotenrebellen kann sich jeder irgendwie einigen / Ein bisschen frech, aber schlau und so witzig und politisch / Und man schmückt sich mit uns, denn man gibt sich kritisch." Stimmt zwar, aber Achtung, da steckt Kalkül dahinter: "Plötzlich wurden wir auch eingeladen in die Tagesschau / Ein dummer Trick, erst machst du auf Hundeblick / Dann forderst du die Abschaffung der Bundesrepublik."

Geopolitisch sieht die geplante Gesamtlösung vor, eine Atombombe auf Deutschland abzuwerfen und in dem dadurch entstehenden Krater einen "Baggersee", bzw. ein großes Ferienparadies anzulegen. Damit wäre der "historische Fehler, dass Deutschland existiert", ausgemerzt. Alle könnten Tretboot fahren und Enten füttern. Wäre das nicht die Lösung des Problems? Nun, etwas atomare Strahlung bliebe übrig und Kollateralschäden sind nicht zu vermeiden, dessen sind sie sich bewusst. Trotzdem: "Manche finden das mit der Atombombe voreilig / denkt mal nach, also ich seh nur Vorteile."

Die drei Antilopen fahren auch in "Anarchie Und Alltag" all das auf, womit sie 2014 ihre Lorbeeren kassierten und ihre Fanschar um ein Vielfaches vergrößerten: Selbstironie, schräger Humor, Gesellschaftskritik, Blödeleien, aber auch tiefer schürfende Themen wie Depression, Suizid und Selbstachtung finden Anklang. All das bettet Panik Panzer in ein warmes, meist von eingängigen Melodien getragenes Klangtuch, das sich durchaus auch zum Randale machen umgestalten lässt.

Auch was Flow, Technik und Reimstruktur angeht, schreiben die drei das 'Anti' in ihrem Namen nach wie vor groß. Besonders Panik Panzer fällt in dieser Hinsicht herrlich als Quergeschoss auf und folgt, wenn überhaupt, nur seinen eigenen Reimregeln. Und selbst das nicht immer. Für Reim- und besonders Technikfetischisten gibt es hier eher Anarchie, weit vom Alltag entfernt.

Wo Humor auf traurige Wirklichkeit trifft, kann es nur eines geben: "Pizza". Denn: "Frieden auf der Welt wär von heut auf morgen möglich." Ach, ja? Einfach so? "Es klingelt an der Tür, dann kommt der Lieferant / mit dem dampfenden Symbol unserer Hoffnung in der Hand / die heilige Scheibe, die alle vereint / Die Weisheit der Menschheit gebacken in Teig." Kein Fleck auf dieser Welt, von Tansania bis zur Münchner Schickeria, keine Kultur, keine Sprache, kein noch so weit entfernter Busch könnte sich dieser bestechenden Logik entziehen: "Ich glaube fest daran, dass uns Pizza retten kann / Jeder Revolutionär braucht nur Pizza und Gewehr!"

Ja, die Hook klingt nach "Enkeltrick", aber dieser Song hat durch seine Eingängigkeit, seine Oberflächlichkeit bei gleichzeitiger Tiefgründigkeit etwas von einem Lucky-Luke-Comic: Die einen finden die Story cool und witzig, denn Pizza ist immer der Knaller, besonders weil man sie auch als Wurfgeschoss oder Bestechungsmittel nutzen kann. Die anderen schürfen etwas tiefer und fragen sich, warum sich die Menschheit nicht auf andere Sachen außer Pizza einigen kann. Den gemeinsamen Nenner hätte man doch schon.

Wie der gemeinsame Nenner von Islamisten und Nazis zu einem "Tindermatch" führt? Nun, sowohl der eine, als auch der andere fühlt sich schließlich mal alleine. Wenn er dann seine Ansichten ("keine Schwulen, keine Juden") in die Dating-Seite hackt, dann stößt ein Denis Cuspert bald auf den stabilen Deutschen Lutz. Die nacherzählte Story von Deso Dogg, der heimlich auf dem Sexsklavinnen-Markt Snoop Dogg hört und im Internet auf seinen vermeintlichen Kontrahenten stößt, enthält ebenfalls den doppelten Boden. Die scheinbare Einfachheit dieser Geschichten macht diese Platte zu etwas Großartigem.

Ähnelt die erste Hälfte des Albums in puncto Herangehensweise, Beats und Hookideen noch oft "Aversion", emanzipiert sich der zweite Teil davon zunehmend und verleiht der Platte dadurch ihren eigenen Charakter. "Lob Der Lüge", aber auch der letzte Song "Gestern War Nicht Besser", distanzieren sich beide von der Vorgänger-Platte und schippern mit mehr Tiefgang Richtung philosophischem Sonnenuntergang.

NMZS, einst Mitglied der Gang und in "Aversion" wie auch in "Abwasser" noch häufig ein Thema, findet nur noch an zwei Stellen des Albums Erwähnung. "Den Kopf in die Erde zu rammen scheint ne vernünftige Idee / aber sich selber umzubringen ist das Dümmste was es gibt." Wem selbst das noch zu unklar ist, für den räumt Koljah bei uns im Interview die letzten Zweifel aus:

"Mir gefällt es gar nicht, wenn ich mitbekommen muss, dass Leute diesen Schritt heroisieren und es darstellen, als wäre das etwas wofür man Respekt verdient hätte. Manche stellen ihn als Held dar, der in einem Akt des Widerstands gegen die Welt den Mut hatte sich umzubringen. Gegen so etwas richtet sich so eine Feststellung. Wir möchten damit betonen, dass NMZS super war weil er gelebt hat und ich mir wünsche er würde immer noch leben. Ich finde es scheiße, dass er sich umgebracht hat."

Während "RAF Rentner" ihr Fett wegkriegen und als bemitleidenswerte Gestalten entlarvt werden, lassen sie ungebetenen Gesprächspartnern "Liebe Grüße" ausrichten. Diese können sie aber auch durchaus selbst sein oder der Feature-Gast Fatoni, der sich auf Tour in Danger Dan verliebt und dem nach einem gescheiterten Kussversuch nur noch liebe Grüße ausgerichtet werden. Das gerät kurzweilig, abwechslungsreich und macht einfach Spaß.

Mit "Anarchie Und Alltag" bleiben die Quotenrebellen ihrer eingeschlagenen Linie treu, liefern ein witziges und zum Nachdenken anregendes Album ab, das aber auch den Eindruck hinterlässt, dass man nicht alles so bierernst nehmen sollte. Selbst in Zeiten der Krise. "Es gab in meinem Leben immer etwas was mir half / wenn ich nicht mehr weiter weiß, schau ich ne Folge Alf."

Trackliste

  1. 1. Das Trojanische Pferd
  2. 2. Patientenkollektiv
  3. 3. Pizza
  4. 4. Fiasko
  5. 5. Tindermatch
  6. 6. ALF
  7. 7. Liebe Grüße feat. Fatoni
  8. 8. Hilfe
  9. 9. Baggersee
  10. 10. Fugen Im Parkett feat. Schorsch Kamerun
  11. 11. Flop
  12. 12. RAF Rentner
  13. 13. Lob Der Lüge
  14. 14. Gestern War Nicht Besser

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