laut.de-Kritik

Die Wiedergeburt eines Westcoast-Poeten.

Review von

Ras Kass ist Jesus. Wer schreit hier Blasphemie? Welcher andere Emcee feierte jemals eine eindeutiger beweisbarere Wiedergeburt als Westcoast-Poet? Kurupt eiert immer noch meilenweit unter seinem Niveau herum wie Käptain Nemo, und 2Pac bleibt leider richtig tot. Ras Kass, the golden child, jedoch taucht dank Apollo Brown so mächtig auf wie Sean Connerys Atom-U-Boot in "Der Rote Oktober".

Allein die ersten drei Tracks, "How To Kill God", "H2O" und "Please Don't Let Me", diggen tiefer als jeder andere Release in diesem Jahr. Der straight kopfnickende und oft klassische Samples nutzende Boom Bap des Detroiters Apollo sorgt im Gegensatz zu den früheren Soundausfällen des Ras Kass für das richtige Fundament.

"I just ask the questions the preacher can't answer / Like why Christians end prayers and say "Amen" / When that's the Egyptian Sun God, Amun-Ra / And got a sin to say? And ain't that pagan? / And ain't pagan, meanin' 'Satan'?"

Heilige Scheiße! Ras Kass dreht auf "How To Kill God" zu Beginn gleich, wie Horsemen-Homie Killah Priest, mal eben das Christentum durch den Reißwolf. Feindbilder sind jedoch nicht gläubige Menschen. Ras entzaubert hier vielmehr, wie auf dem gesamten Album die Pharisäer, die Religion nur für selbstsüchtige Ziele instrumentalisieren.

"Mormons believe prophet Joe Smith / Say Christ appeared in America 1820 and shit / Said black people is cursed / Preach polygamy and told the white man to rule the Earth / Utah still racist as can be / So mothafuck Donny and Marie."

Im folgenden "H2O" samplet und pitcht Apollo Brown formgetreu Barbra Streisands "The Way We Were", und Ras Kass erinnert sich passenderweise an "The good ol days". Er droppt dabei am laufenden Band auf den Punkt. "Twelve years a slave, twenty years a spitter / Thirty seven years a nigga" oder "Multiple arrest then I discovered KRS". Manchmal braucht es nur wenig, um sein Leben in Zeilen zu pressen.

Ganz hoch anzurechnen, besonders aus europäisch-aufklärerischer Sicht, ist sein Standpunkt zur sexuellen Freiheit des Individuums und zum Islamismus. "Transformation to activist from an artist / Like young Mellala who the Taliban would target / Shot in the head just cause she wanted to read / Till every person sex trafficed is free, we gotta bleed."

Gastrapper Pharao Monche wählt dagegen einen etwas anderen Rückblick, zerstört aber insgesamt so ziemlich alles, was jemals unter dem Genre Rap veröffentlicht wurde. Das ist Wissenschaft, Reflexion, Storytelling und Flow-Massaker in Bars und erinnert Inspektah Decks "Triumph"-Opener.

Zwei kurze Ausschnitte: "... The alchemist / In kindergarten when kids was asking about alphabets / I was immaculate with astronomy, mastering calculus."

"Analyze Guam / Study Agent Orange bring back secrets from 'Nam / The government asked me to track the locals on Islam / They asked me the whereabouts of Boko Haram / And cracked my brain for catastrophic chatter that's insane / To extract data from satellites on missin' Malaysian planes."

Nach beiden Versen ist die Welt eine andere, und aufmerksame Heads zünden seit heute jede Woche eine Kerze an oder danken Gott für diese Raps. So wie Ras Kass. Denn, wie gesagt: Er glaubt an Gott, nur nicht an Götzen, und so darf er in "Please Don't Go" natürlich auch beten. Mit "Don't Let Me Be Misunderstood" von Elvis Costello im Loop bittet er im Hook um Vergebung für seine Schwächen.

"(Please don't let me) / Die before repenting my sin / (Please don't let me) / Drink and drive ever again / (Please don't let me) / Ever smoke meth or crack / (Please don't let me) / Get HIV with no get back."

Ras Kass verzweifelt oft an sich selbst: "Why am I such an asshole? Probably my dad's fault", heißt es in "Giraffe Pussy" mit der verwirrtesten Hook ever (Xzibits "I get higher than giraffe pussy"). Die rechtschaffene Stärke muss er sich jeden Tag erkämpfen, und er tut es auf "Blasphemy" auch in den anderen Songs in beeindruckender Form. Nach dem Klassikerdebüt "Soul On Ice" gelingt ihm 18 Jahre später ein fast ebenso episches Werk. Es befreit ihn aus dem Heer der vergessenen Rapper mit Fremdschäm-Faktor.

Oder wie er selbst in "How To Kill God" am Anfang rappt: "Ras Kass, God body MC / 18th Letter, Jay Hova, God's son and me." Für den Moment sicherlich, ganz ohne Blasphemie.

Trackliste

  1. 1. Next Caller (Intro)
  2. 2. How to Kill God
  3. 3. H20 (feat. Pharoahe Monch & Rakaa Iriscience)
  4. 4. Please Don't Let Me
  5. 5. Strawberry
  6. 6. Giraffe Pussy (feat. Royce da 5'9, Xzibit, Bishop Lamont)
  7. 7. Roses (feat. 4 Rax)
  8. 8. Deliver Us from Evil
  9. 9. Too Much of a Good Thing (feat. Larina)
  10. 10. Animal Sacrifice
  11. 11. Humble Pi
  12. 12. 48 Laws Pt. 1
  13. 13. Francine
  14. 14. Drink Irish (feat. Slaine, Sick Jacken, Sean Price)
  15. 15. Bon Voyage

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6 Kommentare mit 14 Antworten

  • Vor 10 Jahren

    Flitzebogen! Geile Features auch!

  • Vor 10 Jahren

    Und nicht nur "Amen" lässt sich eindeutig auf den altägyptischen "Amun-Re" zurückführen, sondern auch "Ambra", "Amboss", "Aminosäure", "Amanita muscaria", "Amphetamine", "Amaryllis", "Armadillo", "Almoraviden", "Ayran", "Ampèremeter", "Ars amatoria", "Amarettini", "Amish", "Amerika" und "Ampelmännchen". Damit habe ich gerade die gesamte moderne Kultur durch die Zigarre gezwirbelt. Schach und matt.

    • Vor 10 Jahren

      "Amen" ist altägyptisch und bedeutet "Der Verborgene". Diese Bezeichnung stammt aus der afroasiatischen Sprachfamilie und wurde im alten Ägypten seit der 11. Dynastie als Name für den Fruchtbarkeitsgott Thebens verwendet. Dieses Wort existiert in den semitischen Sprachen ebenso, wie im griechischen, daher ist eine 100%ige Herkunft vermutlich nicht mehr auszumachen. Da der nahe Osten inkl. des Gebietes Kanaan stark von der altägyptischen Religion geprägt wurde, ist ein Bezug zum Thebengott "Amen" bzw. später "Amen-Ra" stark anzunehmen. Da "Amen" altägyptisch Amun ausgesprochen wird (wobei das "u" fast schon ein "i" ist), schreibt man den Gott der Götter Ägyptens inzwischen meistens "Amun-Ra" bzw. "Amun-Re" (das "a" in "Ra" klingt eher wie ein "e").

      http://de.wikipedia.org/wiki/Amun

    • Vor 10 Jahren

      Troll in ice, eh

    • Vor 10 Jahren

      Auch Wikipedia ordentlich zu navigieren ist eine Kunst.

      Mir fällt spontan noch Ramen ein, daran ist wohl mein Magen (in diesem Wort steckt übrigens anagrammatisch Amen-G, der Gott, nachdem sich Ali-G sowie der G-Punkt benannt haben) schuld.

    • Vor 10 Jahren

      Mein neuer Name sei Amanemḥáb.

      Dennoch: Amun beginnt in der Hieroglyphenschrift stets mit einem später in der Aussprache wohl geschwundenen halbvokalischen I (die Schilfrohr-Hieroglyphe, bei Gardiner M17), obwohl die Ägypter ein Analogon zum hebräischen Aleph durchaus besaßen, und die Wurzel j-m-n ist eindeutig nicht dieselbe wie (Glottisschlag)-m-n. Das Einzige, was auf eine Verbindung schließen ließe, ist der keinesfalls belegte Verdacht, dass die semitischen Sprachen ein Aleph (und nicht Yod) als Platzhalter für das betreffende ägyptische Phonem benutzten.

    • Vor 10 Jahren

      Dieser Kommentar wurde vor 10 Jahren durch den Autor entfernt.

    • Vor 10 Jahren

      Das war voreilig von mir: Der Verdacht ist durchaus begründet. Jeremiah 46, 25:

      "amer yehova tsevaot elohim yisrael, hinni foqed et-amon minno, (...)"

      wobei Amon aus No, wie er hier genannt wird, mit Aleph geschrieben wird. Allerdings heißt das nicht, dass die Wörter miteinander verwandt sein müssen, genauso wenig, wie deutsch "Kutsche" mit bulgarisch "kutsche" direkt verwandt ist, obwohl es die Sprachen selbst sind.

      Alle Linguisten und Patrioten mögen mir meine extrem schlampigen Transliterationen nachsehen.

    • Vor 10 Jahren

      Der Spaß hört nicht auf: Nachum 3, 8 benutzt für denselben Amon feminine Endungen. Wasser auf die Mühlen.

    • Vor 10 Jahren

      wann kommt der bus?

    • Vor 10 Jahren

      Letzter Nachtrag: es heißt "el-amon" bei Jeremiah. Ich sollte um Mitternacht vielleicht keine Bibeln mehr wälzen :trusty:

    • Vor 10 Jahren

      Er müsste jeden Augenblick da sein. Danke der Nachfrage.

    • Vor 10 Jahren

      amen kommt von amendefährstdudochtaxi und ist eine bezeichnung für klugscheißende germanistikstudenten. #realschulswag #straßenschläue

    • Vor 10 Jahren

      Ich hole jetzt einfach mal Occam's Heckenschere raus und behaupte, dass bei einem vorliegenden, semantisch sinnvollen hebräischen Wortstamm eine Verwandtschaft mit Amen-Ra nicht gerade wahrscheinlich ist. Schöne Ironie, die notwendigen Unschärfen in der Etymologie zu instumentalisieren um eine Instrumentalisierung von Religion anzuprangern. Davon abgesehen, dass Synkretismus als religionsgeschichtliche Realität ein alter Hut ist.

      Der Track ist allerdings ganz gut - was man von SOD's recycelten Pöbelattacken nicht sagen kann.

    • Vor 10 Jahren

      Wenn man mir hier schon die Rolle des rauhfasertapezierten Rollkragens zuschieben will, brauche ich tatsächlich dringend einen Imagewechsel. Freut euch in Kürze auf eurem Lieblingssender auf den geheimnisvollen Neuen "Bebeto" (Profilbild: Franklin Delano Roosevelt), der jeden seiner Kommentare als akrostisch verschlüsseltes Lehrgedicht auf Aramäisch verfasst.

      Wo ist mein Agent.

  • Vor 10 Jahren

    Bestes Album! Hättest aber ruhig mehr Tracks vorstellen können, Stefan...da gibts noch einige Highlights! :)

  • Vor 10 Jahren

    Das Album ist auf jeden Fall richtig stark!

  • Vor 10 Jahren

    Sehr dickes Ding geworden.
    Gibt echt sooo viele erfolgreichere Amirapper die nichtmal einen Bruchteil von dem können was Ras Kass kann. Egal...
    Generell kann man sagen: 2014 War ein Megajahr für Rap.

  • Vor 7 Jahren

    "....in "Please Don't Go" natürlich auch beten. Mit "Don't Let Me Be Misunderstood" von Elvis Costello im Loop...."

    Stimmt leider nicht. Titel richtig, Artist falsch.
    "Nina Simone - Don't Let Me Be Misunderstood" wäre richtig gewesen.