laut.de-Kritik

Metalcore-Requiem voller Hymnen und Stilvarianz.

Review von

Als eine Reise durch den Trauerprozess, mit all seinen Facetten vom Tiefpunkt bis zur Überwindung, beschreiben Architects ihr achtes Studio-Album. Aus gutem Grund: Es ist ihr erstes, das sie ohne den 2016 zu früh verstorbenen Gitarristen und Haupt-Songwriter Tom Searle geschrieben und aufgenommen haben. Musikalisch bleiben die Briten Vorreiter, wenn es darum geht, Metalcore aktuell zu halten. "Holy Hell" ist keine Abkehr vom Band-Sound, aber eine Weiterentwicklung vor allem in punkto Vielseitigkeit und zeigt ganz unverhohlen, dass die in den letzten Jahren enorm gewachsene Band mit ihrem Sound inzwischen mehr Leute erreichen muss und auch will.

Gleich der Opener "Death Is Not Defeat" verlangt nach Arena-Crowds und Massen von Menschen, die sich in den Armen liegen. Der Track dient als Wegweiser, schicken Architects mit ihm doch die positive Kern-Aussage voraus. Eine Stunde später wird man feststellen, dass der Track gerade deshalb zusammen mit "A Wasted Hymn" die ideale Klammer um das Album bildet. Beide Songs prägt Sänger Sam Carter mit hymnischen, emotional aufbauenden Refrains. Interessant dabei:"Death Is Not Defeat" schraubt sich mit dem Breakdown in dunklere Gefühlsregionen hinab, öffnet also gewissermaßen den Abgrund der titelgebenden Trauerhölle, "Wasted Hymn", das noch niedergeschlagen beginnt, versiegelt diesen abschließend wieder.

Den dramatischen Charakter vieler Stücke unterstreicht die Band, indem sie Carters Melodiebögen häufig noch mithilfe dicker Streicher-Backings akzentuiert. Auch elektronische Samples gehören auf "Holy Hell" zum festen musikalischen Vokabular. Das sorgt für neue, oft poppige Klangfarben, etwa in "Royal Beggars". In "Mortal After All", in dem sie hauptsächlich als atmosphärische Textur dienen, klingen sie aber leider nach songschreiberischem Füllmaterial.

Während Kollegen wie Bring Me The Horizon mit zunehmender Neigung gen Alternative Rock ihre aggressiven Wurzeln eine nach der anderen kappen, bleiben sie bei Architects – zumindest noch – intakt. Selbst in stadionkompatiblen Hooks sprüht Carters Stimme oft vor Wut und angestauter Verzweiflung, bei "Hereafter" harmoniert "Oh-oh"-Backgroundgesang wunderbar mit eindringlichem Schreien im Vordergrund. Ein emotionaler Rundumschlag gelingt Carter im bereits vor über einem Jahr veröffentlichten "Doomsday". Beeindruckend, wie er am Ende ohne Luft zu holen aus dem Chorus ins brutale Outro wechselt.

Angesichts des Variantenreichtums, den Architects auf "Holy Hell" in fast jedem Song demonstrieren, erscheint es beinahe logisch, dass sie ab und an etwas übers Ziel hinaus schießen. Im Titeltrack geraten die Streicher etwas zu dick, um voll im Stück aufzugehen. "Mortal After All" wirkt nicht nur wegen überflüssiger Elektronik, sondern vor allem wegen eines scheinbar nur um des seiner selbst Willen eingebauten Breakdowns überladen. Gerade recht kommt da "The Seventh Circle": Aufs Nötigste reduziert, ballert die Band knappe zwei Minuten brutal, kompromisslos und ohne Sperenzchen durch. Carter brüllt sich die Kehle wund, die Instrumentalisten schielen gen Gojira, die Moshpit-Fans jubeln.

Tom Searle wirkte an "Holy Hell" zwar nicht bzw. nur sehr vereinzelt als Songwriter mit, trotzdem prägt er das Album. Carter und Toms Bruder Dan weichen von den sozialkritischen Texten der Vergangenheit ab, wechseln wegen des schmerzlichen Verlustes auf eine persönlichere Ebene. So bildet "Holy Hell" in der Architects-Diskographie nicht nur musikalisch, sondern auch lyrisch eine eigene Entität – mit klaren Bezügen zur Vergangenheit.

Trackliste

  1. 1. Death Is Not Defeat
  2. 2. Hereafter
  3. 3. Mortal After All
  4. 4. Holy Hell
  5. 5. Damnation
  6. 6. Royal Beggars
  7. 7. Modern Misery
  8. 8. Dying To Heal
  9. 9. The Seventh Circle
  10. 10. Doomsday
  11. 11. A Wasted Hymn

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