laut.de-Kritik

Vom Internet-Hype zu Rock-Göttern in acht Jahren.

Review von

Das Internet vergisst nie. Unbarmherzig konfrontiert dieses Medium Politiker mit gefälschten Dissertationen oder betrunkene Musiker mit Clips, wie sie nachts aus dem Club fallen. Tolle Sache. Leider speichert es auch jede dahin geplapperte Äußerung sorgsam ab, zum Beispiel meine zur 2008er "Late Night Tales"-Compilation von Matt Helders: "Arctic Monkeys-Milchgesicht macht auf Rap-Checker", giggelte ich damals vom hohen Thron der Besserwisserei herab. Zu deutlich sah es damals danach aus, als wolle der Arctics-Drummer, dessen Band auf ihrem zweiten Album gerade vor allem den Glanz des Erfolgsdebüts konservierte, hier ein bisschen großspurig Open-Mindedness und Checkertum raushängen lassen.

2013 möchte ich hiermit reuevoll festhalten: Matt Helders ist ein Checker. Wahrscheinlich war er es schon damals, als er MF Doom und die Stooges kreuzte, Roots Manuva mit The Coral. Hintereinander gehört klang das etwas ungelenk. Dafür veröffentlichen die Arctic Monkeys nun "AM": Ein Album, auf dem alle Einflüsse zusammengemixt sind, geölt, gewachst und auf Hochglanz poliert. Style-Clashing im 3.30-Minutenformat. I bet that sounds great on the dancefloor.

Weiß Gott, wie die Jungs drauf kamen, sich ausgerechnet an Rap-Beats zu orientieren, ja, diese fast schon exakt nachzuspielen. Das dunkle "One For The Road" klingt beispielsweise zu Beginn fast schon wie "Gz And Hustlaz" von Snoop Dogg: Knochentrockene Snare, geschlossene Hi-Hats, ein Monster-Bass und später noch eine fein ziselierte Gitarrenline - fertig ist ein minimalistischer Zauber-Groove, den man im Soundbild von "AM" noch öfter antrifft.

Freilich, erhebt Alex Turner erst sein mittlerweile beachtlich volles Organ, klebt der Monkeys-Sticker auf jedem Takt. Helders und Basser O'Malley sind dennoch die heimlichen Stars der Platte. Der Beginn von "Arabella" gerät dermaßen funky, dass man eher damit rechnet, dass ein Rapper oder gleich George Clinton übernimmt. Turner sah das wohl ähnlich und ließ sich vom Beatgerüst in eine Art Sprechgesang hinein geleiten.

Doch keine Angst, liebe Arctic-Fans, die Gruppe hat keine kompositorische oder soundtechnische Kehrtwende hingelegt. Es mag höchstens verwundern, dass dieses Album nicht schon nach "Humbug" erschienen ist, dem ebenfalls recht schnörkellosen Rock-Album. Von der weitgehend fröhlichen 60s-Pastiche-Vorstellung auf "Suck It And See" ist kaum mehr etwas übrig.

"AM" klingt hochgradig modern, frisch und leistet sich endlich keine Durchhänger mehr. Ferner spielt die Gruppe mit dem Hörer Katz und Maus, dreht Songs immer wieder in eine ungeahnte Richtung: In "R U Mine" singt Turner sekundenlang die Bridge acapella, bevor die Band gemeinsam zügellos ins Finale stürmt - sicher einer ihrer größten Rock'n'Roll-Momente. Dann integrieren sie lupenreine, wie für Prince geschriebene R'n'B-Backgroundchöre ("One For The Road"), smarte "Uhh-la-la-la"-Chöre im Stile alter Soul-Songs ("Mad Sounds") oder sie huldigen gleich augenzwinkernd Black Sabbath mit einem kleinen "War Pigs"-Riff ("Arabella"), bevor Jamie Cook seiner Vorliebe für Josh Hommes Gitarrenspiel freien Lauf lässt.

Apropos: Natürlich ist auch Alex Turners Biker-Kumpel wieder dabei: In "One For The Road" übernimmt der QOTSA-Sänger mit Helders noch harmlose Falsetto-Späßchen, bevor er in "Knee Socks" für einen der wahnwitzigsten Breaks seit langem sorgt, der dem Song eine völlig neue Richtung verleiht, bevor die Band dennoch die Akkorde des ursprünglichen Themas dort irgendwie wieder hineingepfriemelt bekommt.

Auch die Balladen gelingen der Band geradezu traumwandlerisch. "No. 1 Party Anthem" könnte auch ein Morrissey-Klassiker sein, zugeschnitten auf einen Ausnahmesänger, so betörend setzt sich Turner zu dem schmachtenden Stück in Szene. Ein bisschen erinnert Turner hier sogar an Lennon. So oder so ein echter Höhepunkt. Genau wie "Why'd You Only Call Me When You're High?", das eine längst fällige Anschlussfrage an den älteren Pet Shop Boys-Klassiker "You Only Tell Me You Love Me When You're Drunk" darstellt.

Ob der rollende Groove von "Fireside" aufs Konto des Gastgitarristen Bill Ryder-Jones geht, ist mir leider nicht bekannt. Dagegen fällt das Glamrock-infizierte "I Want It All" etwas ab, vielleicht der einzige gute Track unter lauter herausragenden. Lässig und abgeklärt beendet das seduktive "I Wanna Be Yours" ein großes Album, auf das nicht mal der in seiner Langsamkeit alles zermahlende Vorabtrack "Do I Wanna Know" hoffen ließ.

Come on, come on, come oh-oh-on: Die Arctic Monkeys geben sich mit einmal erreichten Großtaten scheinbar nicht zufrieden. Mittlerweile in ihrem achten Profijahr klingen sie spannender denn je. Ihr Debütalbum scheint meilenweit entfernt.

Trackliste

  1. 1. Do I Wanna Know?
  2. 2. R U Mine?
  3. 3. One For The Road
  4. 4. Arabella
  5. 5. I Want It All
  6. 6. No. 1 Party Anthem
  7. 7. Mad Sounds
  8. 8. Fireside
  9. 9. Why'd You Only Call Me When You're High?
  10. 10. Snap Out Of It
  11. 11. Knee Socks
  12. 12. I Wanna Be Yours

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