laut.de-Kritik

Astreine Hip Hop-Tracks mit Gitarre, Bass und Schlagzeug.

Review von

Wenn einen das Leben mit Zitronen versorgt, ist guter Rat teuer. Limonade machen schließlich alle, außerdem ist Zuckerplörre längst nicht jedermanns Sache. Warum also die Scheiße nicht golden anstreichen und sehen, was passiert?

Nun, bei Rhymesayers freut man sich über mehr als 35.000 verkaufte Exemplare allein in der ersten Woche nach der Veröffentlichung sowie den Einstieg in die Top Ten der amerikanischen Billboard-Charts. Nicht gerade übel für ein Untergrund-Rap-Label.

Moment: Von welcher Scheiße ist eigentlich die Rede? "When Life Gives You Lemon ..." erweist sich von "Shit" so weit entfernt, wie es die uni in Gold gehaltene, überaus edle Verpackung ahnen lässt. Tatsächlich bescheren Atmosphere der Welt mit ihren sechsten Studioalbum ein hochkarätiges Rap-Juwel, das der noblen Covergestaltung durch und durch gerecht wird.

Während Slug am Mikrofon den Eindruck erweckt, als sei Rap die einzige von der Natur vorgesehene Form, in der Silben einen Mund zu verlassen haben, bastelt Anthony Davis, die produzierende Hälfte des Duos, aus vereinzelten, durch Live-Instrumente ergänzten Versatzstücken unglaublich stimmige Beats zusammen.

Weniger ist eben so oft mehr. Die musikalische Basis von "When Life Gives You Lemons ..." erstrahlt auf ganzer Länge in schlichter Eleganz. Mit der klassischen Band-Besetzung Gitarre, Bass und Schlagzeug lassen sich, wie "Dreamer" eindrucksvoll beweist, astreine Hip Hop-Tracks bestreiten. Wabernde Synthies dagegen wallen durch "Shoulda Known".

Ein Piano löst in "Like The Rest Of Us" die dünnen Töne einer Spieldose ab. Den dunkleren Klängen von "Puppets" verleihen Claps einen Gospel-Anstrich. Erst gegen Ende geben die Drums der Nummer heftigeren Nachdruck, die Reime ziehen, entsprechend energischer nun, gleich. Hie und da haut mich ein Chorus nicht vom Stuhl, viel mehr Grund zur Beanstandung bieten Atmosphere allerdings nicht.

"You" hebt mit melodischem Gitarreneinsatz und funky groovendem Basslauf an, als sei man versehentlich in "Come On Eileen" gelandet. "Painting" setzt, auch nicht gerade Genre-typisch, auf dezente Drums, orgelnde Keyboards und Steel Guitar, um alkoholgeschwängerte Hoffnungslosigkeit angemessen in Schallwellen zu hüllen.

Slug brilliert durchweg als exzellenter Geschichtenerzähler, der besonderes Augenmerk auf unscheinbare, vermeintlich nebensächliche Begebenheiten richtet. "Your Glasshouse" skizziert die Kehrseite der anderenorts beständig glorifizierten Partywut. Breit daher brummende Synthies illustrieren beklemmende Orientierungslosigkeit: Die Situation erscheint erschreckend vertraut.

In "Dreamer" ist es die mehr oder weniger allein erziehende junge Mutter, im von einer Flöten durchwehten "The Waitress" die kleine Kellnerin und deren unerwünschter Gast, auf die Slug, ausgerüstet mit dem Brennglas seines Mundwerks, die Aufmerksamkeit bündelt. Eine flüchtige Begegnung auf der Straße weckt vergessen geglaubte Erinnerungen an "Yesterday". Dem Hamsterrad des täglichen Überlebenskampfes erschütternd realistisch gezeichneter Figuren trotzt Slug Story um Story ab.

Der Widmung "Dedicated To All Dads" hätte es nicht bedurft: "When Life Gives You Lemons, You Paint That Shit Gold" dreht sich um Kinder und ihre Väter, ums Erwachsenwerden, um Abnabelungsprozesse, ums Verlieren und Wiederfinden, um möglicherweise verschenkte, aber auch sich statt dessen auftuende zweite Chancen.

Dieses zu allem Überfluss noch grandios witzige, unterhaltsame, kein bisschen moralisierende Album gebührt keineswegs nur den Vätern. Zur Zielgruppe zählt jeder, der einen hat. Vielleicht sollte man mal wieder zu Hause anrufen.

Trackliste

  1. 1. Like The Rest Of Us
  2. 2. Puppets
  3. 3. The Skinny
  4. 4. Dreamer
  5. 5. Shoulda Known
  6. 6. You
  7. 7. Painting
  8. 8. Your Glasshouse
  9. 9. Yesterday
  10. 10. Guarantees
  11. 11. Me
  12. 12. Wild Wild Horses
  13. 13. Can't Break
  14. 14. The Waitress
  15. 15. In Her Music Box

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13 Kommentare

  • Vor 15 Jahren

    (nach langem) mal wieder eine vernünftige review!

    album ist grosses kino! wenn nicht erst mai wäre, würde ich jetzt platte des jahres schreien! .. bestes hiphop album seit monaten (jahren?) wenn man die anderen Rhymesayers- und Atmosphere veröffentlichungen mal weglässt..

    paint that shit gold!

    btw: deluxe version kommt als hardcoverbook daher! sehr schöne aufmachung mit einer kindergeschichte (von slug geschrieben) die sich durchs book(let) zieht.. dazu gibts noch eine stunde live dvd .. hier in der schweiz für nur CHF 3.- mehr.. noch fragen?

  • Vor 15 Jahren

    puh, da hat sich aber jemand mühe gegeben.. eine der besten reviews hier! :) mal gucken, wann es yesterday als single gibt - geniales piano, aber gehört wahrscheinlich zu den sachen, die in den us nicht so gut ankommen, dafür in europa.

    ich schließe mich einfach mal den vorrednern an und sage - eins der besten hip hop-alben seit langem.

    wovon ist es eigentlich abhängig, welche platten auf der startseite von laut.de angezeigt werden?