laut.de-Kritik

Goth-Pop mit Opernstimme und Gender-Theorie-Anleihen.

Review von

Zwei Elemente prägen diese Band. Einerseits die an der Oper ausgebildete, monolithische Gesangsstimme von Katie Stelmanis. Andererseits ihr ausdrücklich queeres Selbstverständnis.

In Kombination dieser Elemente setzen sich die nun zum Sextett erweiterten Austra erneut von der sonstigen Gothpop-Menge ab. Wo Künstlerinnen wie Zola Jesus oder Chelsea Wolfe das Siouxsie-Erbe bereits könnerhaft verwalten, stechen ein derart geschultes Organ sowie Gender-Theorie-Anleihen eben noch deutlich hervor.

Dabei droppen die Kanadier Referenzen nicht nur im Plattentitel, der auf Olympia, Washington, verweist, wo bekanntlich die Riot-Grrrl- und Queercore-Bewegung entsprang. Auch ein Songname wie "I Don't Care (I'm A Man)" sucht nach Distinktion. Die knapp vorgetragenen Zeilen des Zwischenstücks sollen vermutlich männliche Ignoranz hinsichtlich der Marginalisierung weiblicher Positionen in der heutigen Gesellschaft sarkastisch umreißen.

Ähnlich zynisch könnte man fast glauben, Austra veröffentlichten ihre elegisch-düsteren Popsongs aus schierer Queerness regelmäßig im Sommer, wenn manchem der Sinn weniger nach Synthiegoth steht. Nichtsdestotrotz nähern sie sich diesmal auch aufgehellten Soundstimmungen. Am nächsten ans Tageslicht rückt das zentrale Midtempo-Stück "We Become", das mit Cowbells und überhaupt viel Tropical Percussion beinahe zum Afterwork-Cocktail passt.

Generell ziehen Austra etwas verstärkt das Tanzregister. "Annie (Oh Muse, You)" ist als luftige House-Nummer das konkreteste Beispiel dafür, dass Gigs mit Hercules And Love Affair bleibende Spuren hinterlassen können. Auch "Painful Like" durchbricht das sonst eng geschnürte Opernkorsett: Mit Stelmanis' so typischen, pausenreich vorgetragenen Versen wird das Minimal-Electro-Gerüst aufgefüllt und dann in herrlichem Call&Response-Gesang vom Richtfest zur Dark Wave-Vollendung getragen.

Der neue rhythmische Impetus zeigt sich an anderer Stelle mittelbarer, um den doomy Synths und dem sirenenhaften Sopran immer noch genügend Raum zu lassen. In "Sleep" etwa erzieht man den Industrial-Beat ganz sachte von der Krippe zu 80er-Depeche Mode, während "What We Done?" mit clickigem Microhouse und Lykke Li-Refrain öffnet.

Der spürbar hochgeschaltete Dancefloor-Boost zeichnet jedoch kein von "Feel It Break" grundverschiedenes Album. Wichtiger als Kick und Snare, wichtiger noch als die zusätzlichen Hörner, Windspiele und Marimbas ist das makellose Songwriting. "Wir wollten sichergehen, dass jeder einzelne Sound auf 'Olympia' perfekt ist", erklärt Stelmanis dazu.

Tatsächlich sitzt hier der Beat stets wie angegossen im Takt. Derweil dient jede Synthiefläche dem szenischen Raum, den die ehemalige Opernsängerin einfordert. Wir sagen: Danke for the drama! Nächste Spielzeit aber vielleicht doch besser im Winter? Der Sommer ist schließlich kurz genug.

Trackliste

  1. 1. What We Done?
  2. 2. Forgive Me
  3. 3. Painful Like
  4. 4. Sleep
  5. 5. Home
  6. 6. Fire
  7. 7. I Don't Care (I'm A Man)
  8. 8. We Become
  9. 9. Reconcile
  10. 10. Annie (Oh Muse, You)
  11. 11. You Changed My Life
  12. 12. Hurt Me Now

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