laut.de-Kritik
Der hoch fliegende Holländer pendelt zwischen Genie und Wahnsinn.
Review von Yan VogelOb Fantasy-Epen, kosmische Zeitreisen, Psychodramen oder groteske Zukunftsvisionen - was Arjen Lucassen bislang vertonte, gelang musikalisch erstklassig und bestach mit brillierenden Vocalisten. Der Gefahr, das Höher, Schneller und Weiter der letzten Ayreon-Platte "01011001" mit einer weiteren Symphonie der Tausend beantworten zu müssen, entzog sich der geistig hochfliegende Holländer durch seine Arbeit an den im Vergleich zu Ayreon einfacher gestrickten Star One sowie an seinem ersten Soloalbum "Lost In The New Real".
Bei "The Theory Of Everything" verzichtet Lucassen nun auf jede metallische Schwere und integriert einen musikalischen Backround, der eher in Richtung Seventies Prog tendiert. Beim Plot beschränkt sich der Mastermind mit Ausnahme einiger Rückblenden auf die Geschehnisse eines Tages, verbleibt thematisch auf der Erde und verabschiedet sich von den überladenen Sci-Fi-Themen.
Was bleibt, ist Lucassens Faszination für naturwissenschaftlich angehauchte Sujets. Insofern überrascht es nicht, dass er sich der Theory Of Everything widmet.
Hauptcharakter ist die Gestalt eines jungen, autistischen Zahlengenies (Tommy Karevik, Kamelot) der mit Psychopharmaka gezähmt wird und seinem Senior (der noch unbekannte Michael Mills), einem verdienten und mittlerweile ideenlosen Wissenschaftler, bei der Formulierung der Vereinheitlichung der Naturgesetze zur Hand geht. In weiteren Rollen brillieren John Wetton (Asia) als Psychotherapeut, Grand Magus-Fronter J.B. als Lehrer und Marco Hietala (Nightwish) als keifender und streitsüchtiger Rivale.
Leider zeichnet Lucassen die beiden Frauenrollen zu stereotyp, was durch die stimmgewaltigen und mitreißenden Darbietungen von Christina Scabbia (Lacuna Coil) und der Newcomerin Sara Squadrani teilweise aufgefangen werden kann. Hoch anrechnen muss man Lucassen, dass er nicht einer langweiligen wissenschaftlichen Diktion verfällt, sondern sein Hauptaugenmerk auf die irreduzible menschliche Innenwelt legt. Brachiale Saitenhiebe, nocturne Traumwelten, Dronescapes, filigrane Folkpassagen, Classic Rock, Progressiv Zauber, symphonische Synthesizer-Orgien, Singalongs und Quintenzirkel-Trainings sowie stolpernde und steppende Rhythmen finden nun ihren jeweiligen poetologisch stimmigen Einsatz im Plot, teilweise in atemberaubendem Wechsel.
Verteilt auf vier Longtracks wie auf dem 73er Yes-Opus "Tales From Topographic Oceans" folgt man gebannt der zwischen Genie und Wahnsinn pendelnden Story. Auch wenn man ein wenig Aufmerksamkeit mitbringen sollte, um Text und Musik zu entwirren, verliert man sich nach kurzer Zeit vollends im musikalischen Schmelztiegel. Bezogen auf den Ayreon-Kosmos vereinheitlicht Arjen Lucassen die zahlreichen mit Strings und Synthies gewebten Songwriting-Konstanten zu seiner ganz persönlichen Theory Of Everything.
3 Kommentare
Ganz großes Album. Vielleicht sogar das beste Ayreon Album bislang, und mit Sicherheit eines der besten Alben die in diesem Jahr veröffentlicht wurden und noch werden.
Den einzigen Vorwurf, den man dem Projekt machen kann, ist dass es immer wieder Passagen gibt, die zu sehr an alte Alben erinnern.
Sonst wie immer ein absolutes Highlight im Jahr! (Viel) Besser gehts nicht!
Ich hätte nicht gedacht, dass Arjen Lucassen nochmal zu Höchstform auflaufen wird. Tatsächlich ist er sogar noch besser geworden. Das Album ist nicht nur stark, sondern gibt dem Opera-"Genre" völlig neue Nuancen, welche es bisher im Metal und Prog nicht gab. Auch bei mir eines der Highlights des Jahres 2013.