laut.de-Kritik
Politik, Kirche, Konformisten, nehmt euch in Acht.
Review von Alex Klug"Die größte Plattenschau der Welt": So vollmundig wirbt der Saturn-Markt am Kölner Hansaring für sich selbst. Und tatsächlich, für Kölner Musikbegeisterte führt hier 1982 kein Weg vorbei. So auch am Morgen des 23. August. Schon bevor sich die Ladentüren des heiligen Plattentempels öffnen, stehen sich draußen 2.000 zahlungswillige Kölsch-Rock-Fans die Beine in den Bauch. Für den heutigen Tag hatte EMI Electrola das neue BAP-Album "Vun Drinne Noh Drusse" angekündigt. Drinnen staunen die Fans nicht schlecht: Denn die vierte BAP-Scheibe steht noch gar nicht im Regal. Das Label hatte Auslieferungs- und Erscheinungsdatum verwechselt. Mit leeren Händen gehts – na klar – wieder noh drusse.
Immerhin: Sie kommen wieder. Einen Tag später gehen alleine am Hansaring 6.000 Exemplare über den Tisch, insgesamt verkauft sich "Vun Drinne Noh Drusse" bis heute über eine Million Mal. Fast so, als besäße jede Kölnerin und jeder Kölner ein persönliches Exemplar. Ganz so einfach ist die Rechnung aber nicht. Denn in Wahrheit hört man BAP längst auf jeder Kellerparty der Bundesrepublik.
Das Album profitiert vom typischen 'Was kommt nach dem großem Durchbruch'-Effekt: Denn schon "Für Usszeschnigge!" sicherte Wolfgang Niedecken und Band bundesweite Aufmerksamkeit – und die Spitze der Charts. "Jupp", "Müsli Män", "Jraaduss" und natürlich "Verdamp Lang Her" erzählten damals (zwischen)menschliche Küchentisch- und Thekengeschichten. Die Monate, in denen "Vun Drinne Noh Drusse" entsteht, verbringen BAP damals aber weniger in der Kneipe, sondern vielmehr auf Tour. Glückshormone und Alltagsfrust statt Bierchen und Gemütlichkeit – Einflüsse, durch die der Nachfolger ernster, aber auch abwechslungsreicher tönt.
Mit dem eröffnenden "Kristallnaach" stellen BAP gleich zu Beginn die Hörgewohnheiten ihrer Anhänger auf den Kopf: Statt mit "Verdamp Lang Her"-Klavier beginnt der Spannungsbogen hier mit bedrohlich tiefen Synthesizern. Niedeckens einsetzender Vers stellt dann aber auch Muttersprachler vor eine Herausforderung: Wer bitte hätte noch ein Jahr zuvor mit dieser unerhört lyrischen Tiefe rechnen können? In einem Strudel aus Franz-Kafka-Kirchenuhr-Metaphern, Lynch-Mob-Dystopien und Hosianna-Rufen rechnet Niedecken ab mit den Spätfolgen misslungener Entnazifizierung und dem nicht nur deshalb wieder an Fahrt gewinnenden Rechtsextremismus im Land. Ein Strudel, dessen bombastisches Instrumental-Finale dem zwei Jahre später erscheinenden "Ride The Lightning" bereits alle Ehre gemacht hätte.
Mit "Wellenreiter" folgt dann bereits der zweite alles überdauernde BAP-Evergreen. Apropos alles überdauern: Seine Zeitlosigkeit verdankt das Album wohl vor allem dem glücklichen Umstand, dass die Band erst Anfang der Neunziger anfing, mit aalglattem 80er-Zelluloid-Sound zu experimentieren. "Vun Drinne Noh Drusse", erstmals ohne das bezeichnende "Wolfgang Niedecken's"-Präfix veröffentlicht, meistert hingegen den Spagat zwischen Blues-Rock-Hallenhymnen ("Zehnter Juni", "Wenn Et Bedde Sich Lohne Däät") und Wandergitarren-Songwritertum ("Ahn 'Ner Leitplank"). Und wie schon "Kristallnaach" trägt so auch das lagerfeuertaugliche "Wellenreiter" eine Missbilligung bedingungsloser Angepasstheit und Prinzipienlosigkeit in sich, die sich durch das gesamte Album zieht. ("Wie du jetz bess / pass du dänne janz prima enn't Konzept / die dich su hann wollte / halt als Depp.")
Und ihr Fett kriegen sie alle weg: Kirche, Politik, Uniformfetischisten – und manchmal sogar der im Nachwuchs-Rockstar-Dasein gefangene Autor selbst. Der schnörkellos lospolternde Live-Opener "Wenn Et Bedde Sich Lohne Däät" ist nicht nur die ohrwurmgewordene Antwort auf Kritiker, die zuletzt Druck und adoleszente Unverschämtheiten der ersten beiden BAP-Platten vermisst hatten, sondern provoziert zudem noch eine Rekordzahl an empörten bzw. semiempörten Schmähbriefen aus dem erzkatholischen Kölner Fanraum. ("Jott, wöhr't Bedde doch bloß nit su sinnlos, denn off denk ich, wir wöhren bahl schon / Ahn däm Punkt, wo ejal weed, wer Rääsch hatt, wo Beziehung un Kohle nit zällt").
Wen das nicht abschreckt, der muss sich aber trotzdem mit einem noch viel größeren Sakrileg auseinandersetzen: Seit Jahren live gefeiert, spielen BAP für "Vun Drinne Noh Drusse" endlich ihre eingekölschte Studioversion von Dylans "Rolling Stone" ("Wie 'Ne Stein") ein. Klar: Wären seit "Für Usszeschnigge" nicht nur zehn knappe Monate vergangen, hätte sich die Nummer wohl allenfalls auf einer Single-B-Seite wiedergefunden. Doch das verdammt gewagte Experiment gelingt: Nicht nur wirkt "Wie 'Ne Stein" im Albumkontext auch vierzig Jahre später nicht wie ein Fremdkörper, auch lassen die Fans "ihrer" Band den Anflug von Größenwahn durchgehen – "Vun Drinne Noh Drusse" thront nach einer Woche auf Platz 1 der deutschen Hitparade. Aufm zweiten Platz dahinter? Klar, "Für Usszeschnigge".
BAP = die Rock'n'Roll-Hoffnung der Republik? Wie konnte das gelingen? Sieben Typen, die im kölschen Heimatdialekt in Kinks- und Stones-Manier musizieren, als Hitparaden-Dauerbrenner?
Es lief einfach. Vielleicht trotz, vielleicht wegen dieses merkwürdigen Zungenschlags zwischen genuscheltem Lokalkolorit und aufgepeitschtem Sprechsingsang, mit dem Wolfgang Niedecken in den späten Siebzigerjahren zunächst in wechselnden Besetzungen durch die Kölner Südstadtkneipen zog. Was BAP und Niedecken auch außerhalb des Rheinlands zu Identifikationsfiguren macht, ist die authentische Naivität, diese nonchalante Unbekümmertheit, mit der sie ihrem Publikum Musik und Texte vor den Latz knallen. Und zwar regelmäßig. Trotz Dutzender Konzerte im Vorjahr geht die europaweit übertragene Rockpalast-Albumpremiere auf der Loreley am 28. August 1982 quasi ungeprobt über die Bühne. Ob es nun die Scheißegal-Mentalität oder die extravertierte, weltoffene Herzlichkeit des Kölschen ist, die die Menschen damals abholt – Fakt ist: Zwischen Kopenhagen und Wien hört ein jeder, dass hier jemand etwas zu sagen hat.
Das Besondere: Niedecken diktiert nicht, Niedecken denkt laut. Mehr als einmal bündeln BAP das Zeitgefühl der von Atomkriegsszenarien tierisch abgetörnten jungen Generation. Am deutlichsten erklingt das wohl in "Zehnter Juni", mit dem BAP Bezug auf die NATO-Ministerkonferenz in Bonn und die 400.000 Menschen starke Antwort der Friedensbewegung nehmen. Was Musikfreaks in diesen Zeiten suchen, ist kein predigender Politagitator, sondern einen von ihnen. Einer mit denselben Gefühlen, mit denselben Ängsten. Niedecken und BAP als Stimme der vielen, das rechtfertigt wohl auch die extensiven Refrain-Chöre, die das Major Heuser-Riffing schon zu überlagern drohen.
"Wat ihr logisch nennt, dat nenn ich pervers" – pervers ist in diesem Fall der NATO-Doppelbeschluss, dessen neue Aufrüstungsstrategie angesichts des Reagan-Besuchs dieser Tage erneut aufs Tapet kommt. Trotzdem: Kein Bock auf Politrock! Niedecken hebt nicht den Zeigefinger und schreibt Dagegensein vor, noch verliert er sich im hedonistischen Eskapismus wie es der Synthiepop zur selben Zeit so schön vormacht. Nein, er steht bewusst zum eigentlich recht kleinen "Ich" und seinem pazifistisch-naiven Unverständnis über die Falschheit der politischen Klasse. Durch die sieht er sich – wie viele andere – nämlich nicht vertreten: "Plant mich bloß nit bei üch en / Sick ich üch durchschaut hann / Weiß ich, dat ich nit om allerfalschste Dampfer benn." Seine Sicht, seine Angst, seine Wut. Die Chöre stimmen ein.
Konformismus und Angepasstheit lauern aber noch in anderen Lebenslagen: Auch die im verdammt penetranten Ohrwurm "Nit Für Kooche" propagierte Ablehnung des Kölschen Karnevals lässt sich hierauf runterbrechen. Niedecken, als Kind durchaus Freund von närrischen Verkleidungen, beantwortet im Tourtagebuch von 1982 die viel gestellte Frage, was er denn eigentlich gegen Karneval habe: "Gegen Karneval nix, nur gegen das, was sie draus gemacht haben."
Flashback: Stellen wir uns mal Karneval ohne junge Rockbands und Mallorca-artige Sauftourismus-Randerscheinungen vor: Was bleibt, sind die elitären Vereins- und Sitzungskreise, in denen sich "benerzte Omas und ordenbehangene Vereinsmeier" die Klinke in die Hand drücken – und womöglich noch ihr Hierarchiedenken "von damals" ausleben: "Ich kann echt nit drövver laache, wenn die froore, die sons nix / ohne Schlips un Kraare maache, ob ihr Pappnaas richtig setz." Wer schon mal eine Weiberfastnachtsfeier mit dem Firmenvorstand mitmachen durfte, fühlt es. Sehr.
Als BAP 1982 die das Cover zierende Güterhalle des Bahnhofs Ahrdorf in Blankenheim ver- und die neuen Songs in die Welt entlassen, legen sie einen letzten Schalter um, der jedes Umkehren unmöglich macht. Die kommende Tour wird die längste ihrer Karriere, ein Interview jagt den nächsten Promotermin, mitten auf der Tour wechselt man Drummer Wolli Boecker aus – und jeden Abend stehen tausende Menschen bereit, deren Leben BAP schon jetzt nachhaltig geprägt haben. Vielleicht mit "Kristallnaach", vielleicht mit "Do Kanns Zaubere", der bis heute beliebtesten Kölsch-Rock-Ballade.
Denn so gerne BAP auch musikalisch und textlich austeilen, die ruhigen Momente dürfen gerade bei einer so im Tourneerausch entstandenen Platte nicht fehlen. Sowohl "Do Kanns Zaubere" als auch das vergessene "Eins Für Carmen Un En Insel" gehören zu den wohl einprägsamsten BAP-Songs aus der Feder von Gitarrist Major Heuser. Dessen Kompositionen ermöglichen Niedecken nämlich erst die thematische Vielfalt – und die Ohrwürmer. Zeigt sich nicht zuletzt in den äußerst dopamingeschwängerten Gitarren- und Mandolinen-Licks der genannten Nummer. Ein nötiger Gegenpol für dieses oft so empörte Album.
Dass in all dem politischen Trubel und der erfolgsbedingten Heiterkeit übrigens gerade die Bravo zum energischsten Nervfaktor auf Tour heranwächst, hätte sich auch "Verblödungspresse"-Gegner Niedecken wohl vorher nicht träumen lassen. Dabei hatte alles noch so harmlos mit einer fehlenden Akkreditierung und einer von Bassist Steve Borg zerstörten Kamera angefangen ... Doch auch ohne Starschnitt setzt bei Band und Texter unterwegs längst der Reflexionsprozess, die Frage nach der eigenen Rolle in dem ganzen Bühnenspiel ein: "Ich will se nit sinn, die Maschin wie en Art Musikbox / Enn die wer sing erbärmliche Nüselle (Groschen) schmieß, die laut opjedrieht artig lossrotz."
Das abschließende "Koot Vüür Aach" (und später auch "Hundertmohl") deutet es an: Das allabendliche Scheinwerferlicht kann nicht immer projizierte Empörung oder verkrampfte Lustigkeit verlangen dürfen. Auf der "Vun Drinne Noh Drusse"-Tour spielt die Band in Ravensburg erstmals vor 5.000 Menschen, anderswo müssen sich BAP plötzlich mit Drängelgittern vor der Bühne abgeben und überhaupt bekommt die Tournee einen etwas weniger klamaukig-anarchistischen Anstrich als frühere Konzertreisen. Aber: 1982 performt hier noch ein Hand in Hand funktionierendes Band- und Crewkonstrukt (Eigenbezeichnung: "die Firma".)
Und als solche Einheit funktioniert auch "Vun Drunne Noh Drusse", jenes vierte Studioalbum, mit dem BAP den Drahtseilakt zwischen unvermeidlicher Bühnen-Professionalität und jugendlicher Sturm-und-Drang-Anti-Alles-Naivität gemeistert haben. Mit zunehmender Entspannung im Kalten Krieg hält in späteren Jahren auch bei BAP etwas mehr Sachlichkeit und Gediegenheit Einzug – was nicht das nachfolgende, noch bravourös bissige, aber leider letzte All-Killer-No-Filler-Album "Zwesche Salzjebäck Un Bier" ausblenden soll.
War "Für Usszeschnigge", der erste Teil dieser heiligen Trilogie, noch eine unverschämt gute Hitsammlung, die bis heute das Rückgrat einer jeden BAP-Setlist bildet, lohnt sich hier ein zweiter Blick auf die bis heute weniger rezipierten Lieder. Denn dort versteckt "Vun Drinne Noh Drusse" eine sprachliche und musikalische Finesse, die man damals nicht immer am ersten Gitarrenriff oder der ersten Zeile erkannte. Und selbst wenn die westdeutsche Jugend von der Kölschen Sprache damals nicht mehr behalten haben mag als "Verdamp Lang Her" und "Do Kanns Zaubere" – verstanden haben sie BAP doch irgendwie alle.
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
4 Kommentare mit 5 Antworten
mit den Texten hat er sich in die Loge hochgedient
"Kristallnaach" ist ein großartiger Song und -musikalisch wie textlich- fast schon klassischer Post Punk. Wer hätte damals wie heute gedacht, dass BAP zu so etwas fähig wären?
Textlich ganz groß, nur leider ist die Musik dazu furchtbar altbacken. War sie damals schon.
Jeder hat seine eigene Meinung zur Musik ???? aber ich finde Textlich und Musikalisch ist es sehr gut ???? gealtert.
Der arme Jeudi, so voller Zweifel.
Vor allem hat er nicht den Jupiter-Kuchen erkannt, den Der Baske ihm vor die Füße geknallt hat. Diese Art von Zugeständnis ist schon fast strafbar - und genützt hat es ja auch nicht mal was. Somit komplett sinnlos die Aktion hier.
Dieser Kommentar wurde vor 3 Jahren durch den Autor entfernt.
Man nennt das "oldschool", im besten Sinne